Monika Ehrhardt-Lakomy und Hadmut Fritsche im Interview DDR-Zusatzrenten: "Wir haben uns durch alle Instanzen geklagt - ohne Erfolg"
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01. April 2021, 19:19 Uhr
Zwischen sieben und neun Jahren Ausbildung, tägliches Training und mit Mitte 30 schon wieder raus aus dem Beruf: BalletttänzerIn sein, ist und war, schon immer ein Ausnahmeberuf. Auch in der DDR. Im Westen federte eine Versorgungswerk die schmale Rente auf Grund der fehlenden Arbeitsjahre ab. In der DDR gab es eine staatliche Ballettrente. Bis zu 400 Mark bekamen diejenigen, die bis zu 15 Jahre durchgetanzt hatten, zusätzlich pro Monat. Doch diese "berufsbezogene Zuwendung" wurde 1992 vom Bund gestrichen. Die Betroffenen fingen an zu klagen. So wie Monika Ehrhardt-Lakomy und Hadmut Fritsche.
Frau Ehrhardt-Lakomy, Frau Fritsche, Sie kämpfen seit 30 Jahren für die Anerkennung der berufsbezogenen Zuwendung für ehemalige Balletttänzer/innen der DDR, die am 1. Januar 1992 ersatzlos gestrichen wurde. Wie fing dieser Jahrzehnte währende Kampf an?
Monika Ehrhardt-Lakomy: Lothar de Maizière war ja damals beim Runden Tisch mit dabei. Er war ein alter Kollege von mir, Bratscher im Orchester. Und kurz vor dem Zusammentreffen am Runden Tisch rief ich ihn an und sagte: "Lothar, vergiss nicht unsere berufsbezogene Zuwendung. Die muss mit in den Einigungsvertrag." Das geschah auch - bis zum 31. Dezember 1991. Dann sollte neu verhandelt werden, aber alle Versorgungen und Ansprüche wurden einfach gestrichen. Auch unsere. Im Westen gab es damals etwas Ähnliches wie unsere berufsbezogene Zuwendung – aber per Versicherung. In der DDR war das per Gesetz geregelt. Und mit Gesetzen aus der DDR hatten die Politiker in den Wirren der Wende ihre Schwierigkeiten.
Was hätten denn die Politiker der Wiedervereinigung in diesem konkreten Punkt anders machen müssen?
Hadmut Fritsche: Die hätten dann gleich sagen müssen, wir schieben die DDR-Balletttänzer in die Künstlerversicherung des Westens mit rein. Dann hätte es keine neue Gesetzgebung gebraucht, um unsere erworbenen Ansprüche aufrecht zu erhalten. Diese waren ja ins Leben gerufen worden, um nach dem Ende des Berufslebens bis zum Eintritt ins Rentenalter einen gewissen Lebensstandard zu gewährleisten. Denn diesen Beruf kann man in aller Regel höchstens 20 Jahre ausüben.
Monika Ehrhardt-Lakomy: Die Politiker 1992 hätten statt der ersatzlosen Streichung auch ein Gesetz erarbeiten können, warum nicht gleich auch für alle Tänzer aus Ost und West, für Deutschlands Ballettberufler insgesamt. Das wäre eine Anerkennung dieses Ausnahmeberufes, den nur eine ausgewählte Elite an Begabung leisten kann. Wir haben damals noch geglaubt, die Einigung beider deutschen Staaten wäre eine Chance, vieles anders und besser zu machen.
Also zusammengefasst, die Frage in unserem Falle hätte lauten müssen: Wie gehen wir mit den Ost-Zusatzversorgungen um? Denn das war doch Eigentum, wie jeder Trabi, den man ja auch nicht einfach konfiszierte.
Wie erklären Sie sich denn, dass Ihre Zusatzversorgung nicht mit übernommen wurden?
Monika Ehrhardt-Lakomy: Anfangs schon, eben bis Ende 1991. Aber jedes Gesetz kann man mit einem neuen Gesetz überschreiben, und so fanden wir uns wieder unter "Ungerechtfertigte Leistungen". Alle Fraktionen im Bundestag waren erstaunt und meinten, hier sei Handlungsbedarf. Wir hatten mit allen Fraktionen zu tun, es wurden unglaubliche Modelle entwickelt. Die einzig vernünftigen und möglichen Vorschläge kamen von der Linken, damals noch PDS. Die anderen Fraktionen waren sich aber nur darin einig, jegliche Vorschläge der PDS abzulehnen.
Und warum haben Sie angefangen zu kämpfen?
Monika Ehrhardt-Lakomy: Medial hat das im Januar 1992 überhaupt keine Relevanz gehabt. Im Grunde hat keiner in der Öffentlichkeit etwas davon erfahren, nur, wenn man sich für den Ballettberuf interessierte. Also haben zwei Kolleginnen und ich die "Interessengemeinschaft ehemaliger Balletttänzer/innen der DDR", damals noch mit 900 Mitgliedern, gegründet und uns einen Anwalt genommen für Sammelklagen. Die wurden abgelehnt, jeder musste einzeln Klage einreichen.
Wir sammelten Berge von Akten an, kannten alle Urteile. Die glichen sich in Versatzstücken wie ein Ei dem anderen. Die Politik hatte uns abgeschoben, uns auf die Instanzenschiene geschickt. Das war eine Gemeinheit. Wir haben uns 20 Jahre durch alle Instanzen geklagt. Es gab auch Musterklagen, die lagen acht Jahre beim Bundesverfassungsgericht. Und wir konnten gar nicht Recht bekommen, weil es ja gar keine gesetzliche Grundlage für diese Thematik gab.
Alle Rechte der DDR sind mit diesem Land untergegangen. Es gibt keine Rechte.
Das ist ja ein beachtlicher Weg durch sämtliche Instanzen und Gerichte. Sogar bis zum Europäischen Gerichtshof haben Sie sich geklagt. Woran erinnern Sie sich heute noch aus dieser gesamten Zeit?
Hadmut Fritsche: Es gab eine Szene beim Bundesverfassungsgericht, die mir sehr in Erinnerung geblieben ist. Der Arzt Moritz Mebel, der bekannt war durch seine Leistung beim Ausbau des Nierentransplantationswesens in der DDR, war bei der Gerichtsverhandlung in Karlsruhe als Kläger anwesend. Es ging darum, dass auch Ärzten wie ihm die Zusatzversorgung gestrichen worden war. Es blieb eine kleine Rente übrig nach einem erfolgreichen Berufsleben. An dem Tag waren 35 Grad und vom Gericht war keine Pause eingeplant. In dem Saal saßen sehr viele DDR-Rentner, alle in der Hoffnung, dass ihre Ansprüche gerecht verhandelt würden.
Monika Ehrhardt-Lakomy: Ja, und dann wurde der Vertreter der Bundesregierung gefragt, was denn die DDR in die Vereinigung mit eingebracht habe. Der Vertreter nannte eine Summe in lächerlicher Millionenhöhe. Und der Richter, Dieter Grimm, fragte daraufhin weiter nach dem Wert des Grund und Bodens. Der Vertreter meinte lapidar, das könne er bislang nicht genau sagen, denn der ganze Boden sei ja verseucht, das Land eine verölte Immobilie.
Hadmut Fritsche: Da war plötzlich eine Spannung im Saal, als würde sich das Dach abheben. Der Richter erkannte die explosive Stimmung und ordnete eine Pause an. Und Moritz Mebel ging raus und sagte zu dem Vertreter der BRD: "Schämen Sie sich. Schämen Sie sich in Grund und Boden."
Monika Ehrhardt-Lakomy: Die BRD ist in dem Punkt der Zusatzrenten nie auf die Rechte der DDR-Bürger auch nur einen Schritt zugegangen.
Es gab nie jemanden, der Ihnen Recht gegeben hat?
Monika Ehrhardt-Lakomy: Nein. Obwohl wir zu dem geschilderten Zeitpunkt in Karlsruhe einen Teilerfolg erzielt hatten, denn die Bundesregierung war vom Bundesverfassungsgericht beauftragt worden, ein Gesetz zu schaffen. Viele Monate später erhielten wir von der Bundesregierung fünfzig Seiten mit der Quadratur des Kreises, aber kein Gesetz.
Der nachfolgende Präsident des Bundesverfassungsgerichtes - Hans-Jürgen Papier - sagte mal zu mir: "Alle Rechte der DDR sind mit diesem Land untergegangen. Es gibt keine Rechte." Und ja, doch, es gab schon Anwälte und Richter, die gesehen haben, dass wir moralisch im Recht sind. Aber die konnten nicht. Es gab keine gesetzliche Grundlage. Und wir haben als Interessengemeinschaft damals sogar einen guten Gesetzesentwurf eingebracht - aber der wurde ignoriert.
Gesetze sind doch eine Folge von gesellschaftlichen Prozessen. Gesetze laufen immer hinterher – nur bei uns kam eben keines hinterher.
Welches Motiv vermuten Sie denn, dass bis heute, 30 Jahre nach dem Mauerfall, keine politische Lösung gefunden wurde?
Monika Ehrhardt-Lakomy Naja, zum einen ist wohl hier eine biologische Lösung erhofft, zum anderen beharren hier Politiker auf einem einmal festgelegten Standpunkt.
Sie haben sich inzwischen für einen anderen, einen nicht-juristischen Weg entschieden …
Monika Ehrhardt-Lakomy: Ja, wir haben uns der Initiative des Runden Tisches angeschlossen, der voriges Jahr unter der Leitung des ehemaligen Gewerkschaftsvorsitzenden der Eisenbahner - Dietmar Polster - gegründet wurde. Dort sind nun 17 Berufs- und Personengruppen versammelt, die sich für eine Befriedung entschieden haben. Wir alle fordern eine einmalige Abfindung. Das ist bei allen Gruppen nur ein Bruchteil der Summe anstelle der eigentlich bestehenden Ansprüche.
Denn absolut unverständlich ist, dass es in 30 Jahren nicht möglich gewesen sein soll, dieses Unrecht, das bei der Überführung in Bundesrecht entstanden ist, zu korrigieren. Es geht um Gerechtigkeit nach 30 Jahren Deutsche Einheit.