DDR-Zusatzrenten Entwurf für Härtefallfonds sorgt für Empörung bei Betroffenen
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03. Mai 2021, 15:18 Uhr
Der seit 2018 im Koalitionsvertrag verankerte Härtefallfonds für DDR-Zusatzrenten scheint auf den Weg zu kommen. MDR Zeitreise liegt der Entwurf, der derzeit noch auf Bund- und Länderebene diskutiert wird, exklusiv vor. Laut dem Eckpunktepapier soll eine Stiftung eingerichtet werden, die das Geld in einem zweistufigen Verfahren im Sommer 2023 auszahlen soll. Betroffene sprechen allerdings von einer "Mogelpackung". Politiker wie Daniela Kolbe (SPD) werben dafür, den Fonds anzunehmen.
Aktuell liegt der Entwurf für einen Fonds "zur Abmilderung von Härtefällen in der Rentenüberleitung sowie für Spätaussiedler und jüdische Kontingentflüchtlinge" auf dem Tisch im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Nach 30 Jahren Kampf um die Auszahlung von Zusatzrenten-Ansprüchen, die in der DDR erworben wurden, soll dieses Papier nun für Befriedung sorgen. Doch es zeichnet sich bereits jetzt innerhalb der Betroffenen-Gruppen ab, dass das genaue Gegenteil eintreten wird. Denn der Fonds in der vorgesehenen Form ist eine Minimallösung. Einige Gruppen werden gar nicht berücksichtigt und die Hürden, das Geld überhaupt ausgezahlt zu bekommen, sind hoch.
Worum geht es?
Nach dem Beitritt zur Bundesrepublik wurde 1991 mittels Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) auch das DDR-Rentenrecht in bundesdeutsches Recht überführt. DDR-spezifische Rentenelemente wurden - anders als im Staatsvertrag zur Wirtschafts- und Währungsunion sowie teilweise im Einigungsvertrag zugesichert - nicht mit ins bundesdeutsche Versicherungsrecht mitgenommen, sondern modifiziert oder gestrichen. Außerdem wurden bestimmte Gruppen vergessen, Wortlaute falsch interpretiert, Festlegungen des Einigungsvertrages wenige Monate nach der Wiedervereinigung aufgeweicht, was das Bundesverfassungsgericht 1999 auch als teilweise rechtswidrig bezeichnete. Diese 1991 entstandenen Regelungen werden, so steht es im Härtefall-Entwurf, "als nicht hinreichende Anerkennung von Lebensleistung und dauerhafte Benachteiligung wahrgenommen."
Zu den durch Ausnahmeregelungen im Rentenüberleitungsgesetz betroffenen Gruppen gehören u.a. in der DDR-geschiedene Frauen, Eisenbahner, Postler, Krankenschwestern, Bergmänner und Ballettänzerinnen. Doch auch Spätaussiedler sowie jüdische Kontigentflüchtlinge oder Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion müssen Abstriche bei der Rente hinnehmen. Aus diesem Grund soll der Fond einen Ausgleich von "Härten" schaffen.
Worum geht es beim Streit um DDR-Zusatzrenten? Etwa 1,3 Millionen Menschen haben in der DDR eine Anwartschaft auf eine Zusatzrente erworben, die ein wesentliches Element ihrer späteren Rentenversorgung sein sollte. Mit dem Beitritt zur Bundesrepublik wurde auch das DDR-Rentenrecht in bundesdeutsches Recht überführt. Die zusätzlichen Ansprüche wurden aber nach einer kurzen Übergangsfrist gekürzt oder gestrichen.
Was steht im Entwurf - und was nicht?
Zuerst einmal: Der Entwurf schließt einige Gruppen aus. Das sind die Leistungssportler, die bildenden Künstler und die technische Intelligenz. Dann sind die Hürden, Geld aus dem Fond zu erhalten, sehr hoch. So müssen die in der DDR-geschiedenen Frauen, die aufgrund fehlenden Versorgungsausgleichs eine sehr niedrige Rente im Bereich der Grundsicherung bekommen, laut Entwurf mindestens zehn Jahre durchgängig verheiratet gewesen sein - und mindestens ein Kind haben.
Um es gleich auf den Punkt zu bringen - ich bin zutiefst enttäuscht. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese geplante Minilösung zu einer weiterhin großen und anhaltenden Politikverdrossenheit bei der überwiegenden Zahl von betroffen Menschen in den östlichen Bundesländern führen wird [...] Aus meiner Sicht wird diese Tatsache zu einem weiteren Vertrauensverlust gegenüber den (einstmals) großen Volksparteien führen und damit zu einer weiteren Stärkung der rechten, populistischen 'Rattenfänger'.
Balletttänzerinnen bekommen das Geld nur, wenn sie nach dem 31. Dezember 1996 in Rente gegangen sind. Eisenbahner, Postler, Krankenschwestern oder Mitarbeiter aus dem Sozialwesen der DDR müssen mindestens zehn Jahre ununterbrochen beschäftigt gewesen sein. Für alle Gruppen gilt: Sie müssen am 1. Januar 1992 das 40. Lebensjahr vollendet haben. Außer die Spätaussiedler. Die müssen laut Rohfassung des Papiers bei der Aufnahme ins Bundesgebiet das 50. Lebensjahr vollendet gehabt haben.
Die Gesellschaft steht in diesem Jahr auf der Kippe. Wir können uns keine weitere Politikverdrossenheit mehr leisten in diesem Land.
Auszahlungshürden relativ hoch
Das Geld soll in einem zweistufigen Verfahren im Sommer 2023, "sofern die o.g. Voraussetzungen vorliegen", gezahlt werden. Für viele der 70- bis 80-jährigen Betroffenen könnte das zu spät sein. Immerhin: Das Geld soll, wenn es bewilligt wurde, in einem solchen Fall an die Erben gehen. Und: Es wird nicht als Einkommen bei Leistungen der Sozialhilfe und bei existenzsichernden Leistungen berücksichtigt und ist unpfändbar. Über die Summe der Zahlungen sowie die Gesamtleistung steht nichts im Entwurf. Die Stellen sind noch mit [xxx] versehen. Der Grund: Man wolle erst einmal ermitteln, wie viele es denn überhaupt betreffen würde, um sich dann auf eine Summe festzulegen, hieß es aus Betroffenen-Kreisen nach einer internen Schalte am Gründonnerstag. Klar ist aber bereits jetzt: Die Länder müssen 50 Prozent der Gesamtsumme zahlen. Eine weitere Schwierigkeit: Die Verantwortung für den Fond wird nach der kommenden Bundestagswahl in die nächste Koalition geschoben. Und ob diese den umsetzt, könne seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht garantiert werden, wurde nach den letzten Beratungen klar.
Das ist moral-ethischer Sozialbetrug. Ich glaube, die Politik verarscht uns nur noch.
"Das trägt nicht zur sozialen Wiedervereinigung bei"
Der Entwurf löste bei den betroffenen Gruppen Empörung aus. Dietmar Polster, ehemaliger Gewerkschaftsvorsitzender der Eisenbahner, kämpft seit 2017 dafür, dass die in der DDR erworbenen Ansprüche ausgezahlt werden. Und zwar fair. Aber was jetzt aus Berlin käme, sei eine Mogelpackung. "Die soziale Wiedervereinigung Deutschlands findet dadurch nicht statt", so der 70-jährige. "Eine Befriedung im Sinne der Anerkennung der Lebensleistungen auch nicht." Nach Ansicht von Polster ist der Härtefallfond, der sich an der Grundsicherung im Alter orientieren soll, ein Affront.
Auch geschiedene Frauen stimmen Entwurf nicht zu
Dabei würde die vorgeschlagene Lösung gerade den geschiedenen Frauen helfen. Sie bekommen Mini-Renten weit unter der Armutsgrenze, die aktuell bei 1.300 Euro pro Einpersonenhaushalt liegen. Doch auch diese Gruppe stehen dem Entwurf kritisch gegenüber. "Zuerst einmal: Es liegt endlich ein Entwurf vor. Das ist großartig. Aber so können wir dem nicht zustimmen. Wie sollen wir denn vermitteln, dass eine Frau, die 1992 erst 39 Jahre alt war, aus dem Fonds nichts erhält? Mit dem, was jetzt vorliegt, können wir arbeiten. Es ist ein Anfang, aber keine optimale Lösung", sagt Monika Knappe, Sprecherin dieser Gruppe.
Das bekannt gewordenen Eckpunktepapier zum Härtefallfonds ist aufgrund der vielen Ausschluss- und Deckelungskriterien nicht zufriedenstellend. Es verringert die Anzahl der Anspruchsberechtigten gravierend. [...] Der Verein appelliert an Bund und Länder, an alle an der Beschließung der Lösung Beteiligten, diese Kriterien noch einmal zu bedenken und auch den Auszahlungzeitraum vorzuverlegen.
SPD: Historische Chance ohne Alternative
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Kolbe, die sich seit Jahren für die Betroffenen einsetzt, schrieb in einer Mail an Polster, sie wisse, dass viele der Betroffenen einem Härtefallfond gegenüber kritisch stünden. Auch sie hätte sich einen Gerechtigkeitsfond gewünscht. Doch sie würde dafür werben, den Fonds anzunehmen. Denn die Alternative zu diesem Entwurf sei, gar nichts zu bekommen. Es sei eine historische Chance, einen überpolitischen Konsens zu finden.
Das sieht der Eisenbahner Polster anders. Denn wenn die vorgeschlagene Lösung kommt, dann "ist alles vorbei. Dann haben wir nie wieder eine Chance, hier in diesem Staat Gerechtigkeit zu erlangen." Ursprünglich war der Fonds als "goldene Brücke" für diejenigen gedacht, die seit 30 Jahren um eine Anerkennung ihrer DDR-Zusatzrenten kämpfen - und zwar als "Gerechtigkeitsfonds" für alle. Doch "alle" sind im derzeitigen Entwurf nicht bedacht.
Die Grundproblematik der DDR-Zusatzrenten Für die in der DDR in der Sozialpflichtversicherung und in der Freiwilligen Zusatzversicherung (FZR) Versicherten wirkte sich die Überführung in die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik durch das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) durchaus günstig aus. Die Rentenumwertung führte dank Bestandsgarantie und Auffüllbeträgen nur für weniger als ein Prozent der Betroffenen zu niedrigeren und für über 90 Prozent zu höheren Zahlbeträgen in der Rente. Doch was sollte mit den Menschen passieren, die Anwärter oder Bezieher von DDR-Zusatz- und Sonderversorgungssystemen waren? Weder politisch noch gesetzlich fand man dafür in den vergangenen 30 Jahren befriedigende Lösungen.
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | Thüringen Journal | 04. April 2021 | 19:00 Uhr