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1964: Reisefreiheit für DDR-Rentner Als die Mauer Löcher bekam

02. November 2024, 07:00 Uhr

1964 öffnete sich die Grenze für DDR-Rentner. Zwei Monate zuvor hatte der Ministerrat beschlossen, dass Rentner in Zukunft einmal im Jahr für höchstens vier Wochen in die Bundesrepublik und nach West-Berlin reisen dürfen, um dort ihre Verwandten zu besuchen. Zugeständnis oder Kalkül?

Am 2. November 1964 war es endlich soweit. Erstmals seit dem Mauerbau 1961 war die Tür in den Westen wieder auf - aber nur für Rentner. Auf Einladung durften die nun ihre West-Verwandschaft besuchen. Die Regelung galt für Frauen ab dem 60. und für Männer ab dem 65. Lebensjahr.

Hatte die DDR-Führung mit diesem Zugeständnis und den niedrigen Renten im Land spekuliert, ihre Rentner loszuwerden? Nein, sagt Dierck Hoffmann vom Berliner Institut für Zeitgeschichte (IfZ), der sich mit der Lage der Rentner in der DDR befasst: "Es gab vor Jahren auch mal die These in der Wissenschaft, dass das Rentenniveau bewusst so niedrig gehalten wurde, um die Menschen in den Westen zu treiben. Das ist meines Erachtens unzutreffend, das lässt sich nicht nachweisen."

Rentenreform - Fehlanzeige

Die DDR hatte ein Rentenproblem: 1979 stellte die ZK-Abteilung Finanzen und Planung fest, dass das Rentenniveau in der DDR dem von Bulgarien und Polen entspricht. Denn die DDR-Führung hatte andere Prioritäten.

Im Januar 1957 beschloss der Bundestag in Bonn eine Rentenreform. Die Renten wurden an die Löhne gekoppelt und stiegen fortan automatisch. Die Rentenreform setzte die SED unter Zugzwang. Doch die Ideen aus dem Politbüro wurden nie umgesetzt.

Altersarmut - schon damals ein Problem

"Für sie waren vornehmlich wirtschaftliche Ziele zu erreichen, Planziele des Fünf-Jahresplanes und Sieben-Jahresplanes. Und da spielte die erwerbstätige Bevölkerung eine Rolle und die nicht erwerbstätige fiel dann hinten durch", erklärt Hoffmann vom IfZ. Und so wurde der Wirtschaftspolitik in der DDR eine höhere Bedeutung beigemessen, als dem Problem möglicher Altersarmut.

DDR-Rentner: Mindestrente und Sonderzahlungen

1962 erhielten mehr als die Hälfte der DDR-Rentner nur eine Mindestrente. Auch die Subventionierung von Mieten, Heizstoffen und Lebensmitteln konnte das nicht abfedern. Geholfen hätte eine dynamische Anpassung der Renten an die Bruttolohnentwicklung. Aber es gab bis zum Schluss keine Klarheit, wie eine Dynamik finanziert werden sollte. Und so blieb es bei Sonderzahlungen – mal 30 Mark mehr, mal 50 Mark. Punktuelle Befriedung der Rentner. Verbunden mit einer Rundumversorgung in der staatlich finanzierten Volkssolidarität: vom täglichen Mittagessen bis zum musikalischen Nachmittag für die Senioren.

Rentner beschweren sich

Immer wieder erreichen die Staatsführung in Berlin Beschwerden ihrer Rentner. In einer SED-Hausmitteilung an den für Wirtschaftsfragen zuständigen Sekretär Günter Mittag heißt es 1971:

Ich sehe mich veranlasst, dich erneut davon zu informieren, dass die Eingaben zu Rentenfragen weiterhin in großer Zahl bei uns eingehen. […] Der Inhalt der Briefe wird zunehmend fordernder und aggressiver.

Bundesarchiv

Angesichts der niedrigen Renten sehen sich viele gezwungen, etwas dazuzuverdienen. 1980 waren eine halbe Million Rentner berufstätig. Mit der Wiedervereinigung steigen die Renten massiv an. Doch die alten Menschen treibt nun anderes um: die Erhöhung der Lebenshaltungskosten.

Der Artikel war erstmals 2019 online und wurde 2024 überarbeitet.