Staatsbesuch in Ostdeutschland Als die Dresdner die Queen mit Äpfeln bewarfen

17. September 2022, 05:00 Uhr

Das Wetter ist ungemütlich, als Queen Elizabeth II. am 22. Oktober 1992 zum ersten Mal Dresden besucht. Dennoch haben sich hunderte Menschen vor der voll besetzten Kreuzkirche versammelt. Viele wollen einen Blick auf die blaublütige Regentin werfen - aber manche auch Eier und faule Äpfel.

Erster Besuch eines Royals im Osten

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands hegte Queen Elizabeth II. den Wunsch, auch den Osten des Landes zu bereisen. Zwei Mal hatte sie zuvor schon Westdeutschland besucht, 1992 ergab sich die Möglichkeit, auf das bisher unbekannte Terrain östlich der ehemaligen innerdeutschen Grenze vorzudringen.
Am 21. Oktober durchschreitet ihre Majestät dazu das Brandenburger Tor in Berlin von West nach Ost und stattet dann dem Pergamon-Museum einen Besuch ab.

Besuch in Dresden als Versöhnungsgeste

Dresden nach dem Luftangriff vom 13. Februar 1945 Zerstörung Bombardierung Zweiter Weltkrieg
Bombenhagel auf Dresden: Blick auf die zersörte Stadt nach dem verheerenden Luftangriff vom 13. Februar 1945. Bildrechte: IMAGO

Am Tag darauf geht es mit dem Flugzeug nach Dresden, auf Wunsch der Königin und entgegen der Ratschläge aus der Heimat. Der Besuch soll eine Versöhnung im Gedenken an das Grauen des Zweiten Weltkriegs darstellen. Viele haben hier nicht verziehen, dass Dresden zum Ende des Krieges, besonders vom 13. bis 15. Februar 1945 von amerikanischen und britischen Bombern ins Ziel genommen wurde.

Zerstörung von Dresden - ein Kriegsverbrechen?

Die Bombardierung der sächsischen Landeshauptstadt forderte zwischen 22.700 und 25.000 Todesopfer und legte neben der militärischen und industriellen Infrastruktur auch weite Teile der Innenstadt in Schutt und Asche. Ob es sich dabei um militärisch notwendige Operationen oder Kriegsverbrechen handelt, wird von Historikern bis heute diskutiert.
Zu den zahlreichen Kriegsverlusten in der historischen Altstadt Dresdens gehören sowohl die Kreuz- als auch die Frauenkirche. Während erstere zehn Jahre nach ihrer Zerstörung wieder aufgebaut wurde, blieb die Ruine der Frauenkirche in der DDR als Mahnmal gegen Krieg erhalten. 1994 begann der Wiederaufbau der barocken Kirche, 2005 war er beendet.

Schuldeingeständnis unbedingt vermeiden

Auf ausdrücklichen Wunsch ihrer Majestät führt die Fahrt vom Flughafen zur Kreuzkirche, wo ein Gedenkgottesdienst stattfinden soll, vorbei an der Ruine der Frauenkirche. Das Foreign Office hatte von diesem Umweg abgeraten, konnte aber nur durchsetzen, dass die Monarchin nicht auch noch ausstieg und einen Blumenkranz ablegte. Zu sehr hätte das nach einem Schuldeingeständnis ausgesehen!

Lautstarke Proteste und Eierwürfe

Trotz ihrer Versöhnungsgesten schlägt der Queen nicht nur Jubel entgegen, als sie vor der Kreuzkirche aus dem Auto steigt. Da scheint es auch nicht zu helfen, dass sie sich mit ihrem grünen Kleid und Hut in die Landesfarben des jungen Freistaates hüllt. Deutlich hörbar sind Pfiffe und Buhrufe. Außerdem sind einzelne Plakate zu sehen, auf denen z.B. "Majestät, erinnern Sie sich an den 13ten und 14ten Februar" oder "Weg mit dem Harris Schandmal" stehen. Die Stimmung in der Menge scheint zu kippen und als Eier und Äpfel in Richtung der Majestät geworfen werden, wird diese schnell in die Kreuzkirche geleitet.

Bomber Harris bekommt ein Denkmal

Arthur Harris, hochrangiger Offizier der Royal Air Force, hatte das Flächenbombardement von Städten während des Zweiten Weltkrieges angeordnet und wird damit direkt mit Dresdens Untergang in Verbindung gebracht. Der damalige Oberkommandierende des Bomber Command der RAF ist in England auch als "Butcher" Harris bekannt und umstritten, da fast die Hälfte der Besatzungen der Flugzeuge von ihren Feindflügen nicht zurückkehrten. Dennoch enthüllte die Queen Mum Elizabeth I. eine Statue für den zum Baronet erhobenen Harris. Keine 24 Stunden später war das Denkmal mit Farbe übergossen und wurde auch später noch mehrmals beschädigt.

Gedenkgottesdienst mit Partnerstadt Coventry

Kathedrale von Coventry nach deutschem Bombenangriff vom 14. November 1940
Kathedrale von Coventry nach deutschem Bombenangriff vom 14. November 1940. Bildrechte: imago images/United Archives International

In der Dresdner Kreuzkirche begeht Elizabeth II. zusammen mit ihrem Ehemann Prinz Philip, Bundespräsident Richard von Weizsäcker und dem sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf einen Gedenkgottesdienst, der an die Opfer der Bombardierung von Dresden und Coventry erinnern soll. Dazu singen der Kreuzchor und der Chor der Coventry Cathedral gemeinsam. Die Kathedrale der mittelenglischen Stadt wurde zerstört, als diese in der Nacht vom 14. November 1940 massiven Bombenangriffen der deutschen Luftwaffe ausgesetzt war. 60.000 Gebäude wurden dabei beschädigt, etwa 1.000 Menschen verletzt.

Freundlicher Empfang in Leipzig

Als die Queen nach dem Gottesdienst wieder vor das Kirchenportal tritt, sind die Protestierenden schon abgezogen, oder zumindest verstummt. So kann sie ohne weitere Vorfälle zum Hauptbahnhof gelangen, von wo ein eigens auf dieser Strecke eingesetzter ICE sie nach Leipzig bringt.


Hier wird sie auf dem Marktplatz ausschließlich freudig begrüßt. Während des Empfangs im Alten Rathaus würdigt Elizabeth II. die Schlüsselrolle der Bevölkerung von Leipzig und Sachsen "bei der demokratischen Umgestaltung unseres halben Kontinents."

Wir haben jetzt die einzigartige Chance, ein friedliches, wirtschaftlich blühendes und geeintes Europa aufzubauen. Ich hoffe, dass mein Besuch im Freistaat Sachsen im Herzen des Kontinents das Bekenntnis Großbritanniens zu diesem Ziel unterstreichen wird und ebenso seine Entschlossenheit, eine enge Beziehung zu diesem historischen Teil Deutschlands aufzubauen.

Queen Elizabeth II.

Reaktionen in England

Nach ihrem Besuch in Leipzig besichtigt die Queen noch Potsdam, bevor sie in ihre Heimat zurückkehrt. Während sie sich selbst zufrieden mit dem Besuch gibt, titelt die britische Presse "Dresden schlägt die königliche Hand der Versöhnung aus" (Daily Express), "Tapfere Queen bietet Nazi-Rowdies die Stirn" (Daily Mirror) oder "Königin bei Protest gegen Bomber Harris in Dresden mit Eiern beworfen - Hohngelächter stört königlichen Versöhnungsversuch" (Times).
Einen weiteren Besuch wird es nicht geben: Queen Elizabeth II. stirbt am 08. September 2022 im Alter von 96 Jahren auf ihrem Schloss Balmoral.

Der MDR berichtete am 09.09.2022 darüber.

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