Erblast Zweiter Weltkrieg Beutekunst in Russland
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01. Februar 2011, 12:18 Uhr
In Russland heißt sie Trophäenkunst, in Deutschland Beutekunst. Im Sommer 2009 ist es zehn Jahre her, dass in Moskau ein Gesetz in Kraft trat, das kriegsbedingt verlagerte Kunstgegenstände aus Deutschland zu russischem Eigentum erklärte.
Die Beutekunst-Frage - eine Erblast des 2. Weltkrieges. Mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion begann die Zerstörung russischer Kulturgüter mit dem Ziel, die slawische Identität zu vernichten. Bald darauf bekamen der systematische Raub und Abtransport russischer Kunstschätze Vorrang. Die Rote Armee ließ ihrerseits von 1943 an deutsche Kunstgegenstände aus den besetzten Gebieten abtransportieren – als Kompensation für die im Krieg erlittenen Verluste.
Nach dem Sieg über den Nationalsozialismus beauftragte Stalin so genannte Trophäenbrigaden. Sie sollten in Deutschland Kunstwerke aufspüren, die ein geplantes Museum voller Weltkunst Moskau schmücken sollten. Das Museum wurde nie eröffnet, sondern die abtransportierte Trophäenkunst verschwand größtenteils in den Depots Moskauer, Leningrader und Kiewer Museen. Bis 1952 wurden von russischen Kunstexperten in Uniform etwa 900.000 deutsche Kunstobjekte in die Sowjetunion gebracht. Ideologisch blieb nur die Legende von der heldenhaften "Rettung" deutscher Kunst durch die Rote Armee, denn – so die sowjetische Darstellung – die Nazis beabsichtigten, die weltbekannten Gemälde und Pretiosen aus Dresden beispielsweise durch Sprengung zu vernichten.
Tauwetter für die Kunst in der 1950er Jahren
Mitte der 1950er Jahre, nach dem Tod Stalins, erlebte die DDR-Öffentlichkeit die große Überraschung: Chrustschow veranlasste die Rückgabe der Kunstschätze, zumindest an die Museen im sozialistischen Bruderland. Ab 1956 konnte beispielsweise die Gemäldegalerie "Alte Meister" in Dresden wieder die "Sixtinische Madonna" Raffaels, den "Zinsgroschen" Tizians oder die "Schlummernde Venus" Giorgiones zeigen. Aber nur etwa die Hälfte der Kunstschätze wurde an die DDR zurückgeben - das blieb ein bestens gehütetes Geheimnis unter "sozialistischen Brüdern". Die Westalliierten hatten bereits nach Kriegsende über "Collecting Points" etwa eine halbe Million von den Nationalsozialisten geraubte Kunstobjekte an die Herkunftsländer zurückgegeben.
Russland hat weiter große Bestände an Beutekunst
Erst Anfang der 1990er Jahre wurde bekannt, dass allein in Dresden noch etwa 450 Gemälde fehlen. Kunsthistoriker wie zum Beispiel Alexander Rastorgujew, Konstantin Akinscha und Grigori Koslow bescherten der erstaunten Kunstwelt eine Glasnost-Kampagne der Trophäenkunst-Depots. Couragiert veröffentlichten sie, was sie mit eigenen Augen in Depots russischer Museen sahen: Tausende Kunstgegenstände und Archivalien, die aus Bremen, Hamburg, Berlin oder Dresden stammen.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass sich noch rund eine Million Kunstwerke, davon 200.000 mit musealem Wert, aus deutschen Museen und Sammlungen in russischen Depots befinden sowie zwei Millionen Bücher und 3.000 laufende Meter Archivgut.
Russische und deutsche Sicht zur Beutekunst-Frage
1993 sah es noch so aus, als ließe sich die Frage der Trophäen- bzw. Beutekunst zwischen Russland und der Bundesrepublik einvernehmlich lösen. In Dresden wurde eine russisch-deutsche Museumskommission ins Leben gerufen, die die Frage mit frischem Schritt anging, aber bald ins Stolpern geriet. Das russische Parlament, die Duma, verabschiedete 1996 ein Gesetz, das die Beutekunst zu Eigentum Russlands erklärt. Nach längeren politischen Auseinandersetzungen trat dieses Gesetz vor zehn Jahren in Kraft.
Juristisch erscheint die Beutekunst-Problematik auf den ersten Blick klar: Die Haager Landkriegsordnung von 1907 schützt Kulturgut bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Das jahrtausende alte Beuterecht des Siegers ist damit abgeschafft. Die Zarenregierung stimmte diesem Abkommen zu und auch die heutige Verfassung der Russischen Föderation bekennt sich zum Völkerrecht. Insofern verstößt der Duma-Beschluss gegen international gültige Bestimmungen.