"Kunstschätze können keine Toten ersetzen"
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10. März 2010, 12:06 Uhr
Peter Escher war für die Sendung "Spur der Schätze" in Russland und hat mit Michail Schwydkoi gesprochen. Der promovierte Kunstwissenschaftler und Politiker sorgte mit seiner Haltung zur Beutekunstfrage in Russland für viel Unmut.
Sind Sie der Meinung, dass die Kunst, die im Moment hier in Russland ist, auch in Russland bleiben soll oder können Sie der deutschen Seite Hoffnung machen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass das neue Russland ein Land ist, welches ohne Vorbehalt im Geltungsbereich des internationalen Rechts existiert und somit der internationalen Gesetzgebung folgen muss, unter anderem auch in der Frage der nach dem Krieg verlagerten Kunst. Ich habe einige Kraft aufgewendet, damit das erfüllt wird.
Andererseits muss man verstehen, dass sich Deutschland 1990 vereinigt hat, verdankt es in vielerlei Hinsicht der Position der Sowjetunion. Sowohl russische als auch deutsche Politiker werden sich erinnern, dass die Sowjetunion keine Gegenleistung dafür bekommen hat. Von meinem Standpunkt aus, war das eine rein humanitäre Aktion. Nach dem Zerfall der UdSSR hatten die russischen Bürger das starke Gefühl, diskriminiert worden zu sein und sich in der Rolle der Verlierer zu befinden.
Man hört immer wieder, dass eine Art Memorialbau in Russland geplant ist. Eine Ausstellung, in der über die Gräueltaten der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, berichtet wird. In der aber auch Kunstschätze gezeigt werden sollen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Sowjetarmee abtransportiert und nach Russland gebracht wurden.
Wissen Sie, in unserem Land ist jeder Quadratmeter ein Memorial. Leider hatten wir zu viele Opfer zu beklagen und deshalb haben wir sehr viele Gedenkstätten zu Ehren der Kriegstoten.
Aber ich glaube nicht, dass man Kunst mit menschlichen Opfern vermischen sollte, das ist nicht richtig. Als man mich fragte, wieso ich Kunstschätze an Deutschland zurückgeben will, obwohl so viele Menschen im Krieg ihr Blut vergossen haben, habe ich immer eine einfache Aussage dagegen gehalten: Keine Kunstschätze können unsere Toten ersetzen.
Als Kulturminister haben Sie mit der deutschen Seite sehr intensiv über die Rückgabe von Kunstwerken verhandelt. Nun gibt es in Russland einige Hardliner, die sagen, dass schon Verhandlungen zu diesem Thema kriminell wären. Dass diese Kunst nach Russland gehört und quasi Volkseigentum ist, dass Sie sie verhökern wollten, um dafür Millionen zu kassieren. Was sagen Sie dazu?
Ich bin der Meinung, dass wir gemeinsam mit den deutschen Kollegen etwas sehr Wichtiges geschafft haben. Wir haben die Sachen, die scheinbar verschwunden waren und sich in den sowjetischen Geheimdepots befanden, wieder in die Öffentlichkeit gebracht. Heute sind sie allen zugänglich, sowohl den russischen als auch den deutschen Experten und auch dem Publikum. Für weitere Lösungen in dieser Frage braucht man auf beiden Seiten vor allem Vernunft und guten Willen.
Aber wie gehen Sie mit den Vorwürfen um, die Sie ja auch persönlich treffen? Ausverkäufer, Verräter, Millionen-Kassierer. Was sagen Sie dazu?
Ich lasse mich da auf keine Streitigkeiten ein. Ich habe nur einmal Klage gegen die Zeitung "Prawda" erhoben, die mich beschuldigt hatte, ein deutscher Spion zu sein und Geld zu bekommen. Diesen Prozess habe ich gewonnen. Tatsächlich trete ich jedoch als russischer Patriot auf, denn ich bin der Meinung, dass ein positives Bild von Russland, das rechtsstaatliche Strukturen besitzt und alle internationalen Verpflichtungen erfüllt, für uns, für unsere Zukunft und für unsere Kinder sehr wichtig ist. Und ich sage das mit voller Überzeugung, denn auch in meiner Familie hat es durch den Krieg Tragödien gegeben. Die erste Familie meines Vaters wurde während des Krieges verbrannt, seine Frau und meine Geschwister. Meine Urgroßeltern wurden 1941 einfach auf der Straße erschossen. Und wenn man mich beschuldigt, nicht den Schmerz und die Tragödie des Krieges zu fühlen, so ist das schlicht und ergreifend nicht wahr, ich fühle sie sehr wohl. Aber gerade deshalb finde ich, dass wir nach vorn blicken müssen, natürlich ohne dabei die Vergangenheit zu vergessen.
Nun ist der Krieg seit über 60 Jahren vorüber und unsere beiden Länder leben heute in einer guten nachbarschaftlichen Beziehung. Aber in der Frage der Beutekunst spielen die Ereignisse der 40er Jahre offenbar noch eine entscheidende Rolle. Wäre es nicht besser, auch hier einen Punkt zu setzen?
Wissen Sie, für die Menschen der Kriegsgeneration ist der Krieg nach wie vor in ihren Herzen präsent, er ist nicht vorbei. Und ich kann das auch in keiner Weise verurteilen. Auf der anderen Seite hätte ich niemals gedacht, dass eine Zeit kommen wird, in der russische und deutsche Kriegsveteranen sich treffen und miteinander reden, wie das in den letzten Jahren der Fall ist. Es gibt bei uns in Russland ein Sprichwort: Wenn du den Herrgott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen für morgen. In diesem Sinne, denke ich, dass die Bemühungen von Kunstexperten beider Länder über kurz oder lang helfen werden, eine würdige Lösung dieses Problems zu finden, die beiden Seiten gerecht wird.