DDR-Zusatzrenten Beraterin für Menschenrechte verlangt neue Kriterien für Renten-Härtefallfonds
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07. April 2021, 16:02 Uhr
Der UN-Überprüfungsausschuss für Frauenrechte fordert Deutschland seit Jahren auf, rentenrechtliche Benachteiligungen der in der DDR geschiedenen Frauen zu beenden. Doch der aktuell im Entwurf vorliegende Härtefallfonds würde weiterhin rund 70 Prozent der Frauen von Zuschüssen in der Rente ausschließen. Damit bleiben sie weiter armutsgefährdet. Die Beraterin für Menschrechte, Marion Böker, fordert daher im Namen des "Verein der in der DDR geschiedenen Frauen e.V" Bund und Länder auf, die Kriterien zur Auszahlungsberechtigung zurück zu nehmen.
Rund 210.000 in der DDR geschiedenen Frauen würden nach den Kriterien des Entwurfs für den Härtefallfonds weiterhin ihren Versorgungsausgleich nicht bekommen und damit weiter Renten unter der Armutsgrenze bekommen.
"Scheidung ist kein Verbrechen"
Die Armutsrenten geschiedener Frauen rufen Marion Böker, Beraterin für Frauen- und Menschenrechte, regelmäßig auf den Plan. Sie macht sich nun gemeinsam mit dem "Verein der in der DDR geschiedenen Frauen e.V." gegen den neuen Entwurf stark: "Diese Diskriminerung gegen Frauen geht bereits seit der Wiedervereinigung von staatlicher Seite aus", sagt die Beraterin für Menschenrechte und Genderfragen.
Kinderlosigkeit darf kein Ausschlusskriterium sein
Böker unterstützt seit Jahren den Verein. "Wir fordern Bund und Länder auf, die Kriterien zurückzunehmen", sagt Böker unter Berufung auf den Vereinsvorstand. "Die zugrundegelegten Kriterien müssen der Lebensrealität der Frauen gerecht werden." Nach aktuellem Entwurf der Bundesregierung muss eine Frau am 1. Januar 1992 40 Jahre alt, mindestens zehn Jahre verheiratet gewesen sein und mindestens ein Kind haben, um anspruchsberechtig zu sein. "Eine frühe Heirat war in der DDR üblich und es kann sein, dass eine Frau 1992 bereits im Alter von 38 Jahren sechzehn Ehejahre mit Kindererziehung hinter sich hatte. Diese würde durch den Ausschluss von der Fondsleistung bestraft werden. Oder anders: Frauen ganz ohne Kinder gehen ebenso leer aus. Kinderlosigkeit darf ebenfalls kein Ausschlusskriterium werden."
Ein weiterer Punkt ist der Zeitraum der Auszahlung. Der Entwurf sieht eine Beantragung ab 31. Dezember 2022 und Auszahlung ab Januar 2023 vor. Das könnte für viele der Frauen zu spät sein, die aktuell zwischen 70 und 80 Jahre alt sind. "Diese Frauen haben nur noch wenig Lebenszeit. Jeder Monat zählt", so Böker. "Scheidung ist kein Verbrechen. Scheidung ohne finanzielle Ungleichbehandlung ist ein Menschenrecht."
UN beobachtet Frauen-Altersarmut in Deutschland genau
Bereits 2011 trug Böker mit den geschiedenen Frauen dem UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen (CEDAW) das Problem der DDR-Geschiedenen vor. Mit Erfolg. "Die UN hat seit Jahren ganz genau auf dem Schirm, dass wir hier in Deutschland ein Problem haben", sagt Böker.
Was ist CEDAW? CEDAW (engl. Committee on the Elimination of Discrimination against Women) ist der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau, der sich für die Umsetzung der "Frauenrechtskonventionen" einsetzt. Die CEDAW-Allianz "Frauen, Frieden Sicherheit" wird durch den UN-Sicherheitsrat koordiniert. Dieses internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung gegen das weibliche Geschlecht trat am 3. September 1981 in Kraft. Alle Länder in Deutschland haben dieses Abkommen ratifiziert und müssen damit UN-Recht verbindlich umsetzen.
Die Konventionen der UNO sind zwar rechtsverbindlich für alle Länder und die darin festgelegten Ziele umzusetzen. Allerdings gibt es keine strengen zeitlichen Vorgaben, bis wann die Probleme beseitigt werden müssen. Bislang sind zehn Jahre vergangen, seit Marion Böker den Antrag vorgelegt hat. 2017 gab es eine Sitzung des UN-Überprüfungsausschusses zum Stand der Umsetzung des CEDAW-Abkommens. In dieser "schriftlichen Zwischeninformation zum Umsetzungsstand" war Frauenarmut einer der vier Punkte, die zur Prüfung auf der Liste standen:
- Änderungen beim Schwangerschaftsabbruch - Abschaffung der Pflichtberatung und Wartezeit nach Beratung
- Sicherstellung adäquater Kindesunterhalt
- Umsetzung der EU-Asyl- und Integrationvorgaben für weibliche Geflüchtete
- Errichtung eines Entschädigungsmodells zur Ergänzung der Renten für in der DDR geschiedene Frauen
UN-Forderung nach "Wiedergutmachungsmodell"
Der UN-Ausschuss, so steht es im Bericht, sei "besorgt darüber, dass ein staatliches Entschädigungsmodell fehlt, um Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu gewähren für die Gruppe von Frauen, die sich in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik scheiden ließen und denen die Anerkennung ihrer Lebensbeschäftigungszeit von bis zu 40 Jahren Berichten zufolge im Einigungsvertrag und im Rentenüberleitungsgesetz verwehrt wurde." 2017 antwortet die Bundesregierung an CEDAW:
Eine rentenrechtliche Sonderregelung nur für DDR-Geschiedene wäre – auch in Form eines Fonds – schon aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen vom Ansatz nicht möglich, weil eine solche Regelung zu einer Ungleichbehandlung anderer Gruppen führen würde. Eine Umsetzung der Empfehlung in der vom Ausschuss geforderten Form kann daher nicht in Aussicht gestellt werden.
Doch schon ein Jahr später - 2018 - erfolgte dann doch die Verankerung eines Härtefallfonds im Koalitionsvertrag, sowie die Errichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Doch der in dieser Gruppe erarbeite Entwurf für das "Wiedergutmachungsmodell" löst nun Empörung aus.
Deutschland mit Rentensystem im OECD-Vergleich Schlusslicht
Im Ranking der Industrieländer belegt Deutschland (Stand 2019) mit seinem Rentensystem den letzten Platz. Frauen erhalten in Deutschland im Durchschnitt 46 Prozent weniger Rente als Männer. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 25 Prozent. In der Studie "Renten auf einen Blick" von 2019 heißt es: "Da das geschlechtsspezifische Lohngefälle über dem OECD-Durchschnitt liegt und viele Frauen in Deutschland Teilzeit arbeiten, dürften zukünftige Rentenansprüche von Frauen im Vergleich zu Männern niedrig bleiben." 2021 liegt die Armutsschwelle laut Statistischem Bundesamt bei einem Einpersonenhaushalt bei einem jährlichen Einkommen von 14.109 Euro. Das sind im Monat 1.175,75 Euro. Mitte August 2020 meldete das Bundesamt außerdem, dass die Bedrohung durch Armut zwischen 2009 und 2019 in Deutschland deutlich gewachsen sei. Besonders bei Frauen.
Der Versorgungsausgleich: Gab es ihn in der DDR?
In der BRD profitierten geschiedene Frauen von den Rentenanwartschaften ihrer früheren Ehemänner. 1977 wurde der Versorgungsausgleich im Westen eingeführt. Doch in der DDR gab es diese Festlegung nicht, da mehr als 92 Prozent der Ost-Frauen erwerbstätig waren und das Rentensystem der DDR sehr frauenfreundliche Regelungen enthielt. Wer als Frau 40 und mehr Jahre gearbeitet hatte bekam 210,- DDR-Mark zur normalen Rente dazu. Außerdem gab es rentensteigernde Zurechnungsjahre für Kinder. Diese Posten wurden alle zum Durchschnittsverdienst der letzten 20 Jahre zur Rente dazu berechnet. Doch im Einigungsvertrag und im Rentenüberleitungsgesetz 1991 wurden diese Unterschiede nicht beachtet und die überwiegend Frauen begünstigenden DDR-Regelungen einfach gestrichen. Doch während die Renten ihrer ehemaligen Männer bis heute Bestandsschutz genießen, müssen viele der betroffenen Frauen im hohen Alter arbeiten.
Eine rückwirkende Einführung ist aus verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Gründen nicht möglich, da andernfalls rückwirkend in die Rechte des ausgleichspflichtigen Ehegatten eingegriffen worden wäre.
"Die Hälfte dieser Frauengruppe bekommt 800 Euro oder weniger. Das sind Armutsrenten. Diese Frauen müssen im Alter auf die Ämter und Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter beantragen. Das ist unwürdig nach 40 Jahren Arbeitsleben", meint Böker.
Bis Ende des Monats müssen sich die Länder zu dem Entwurf positionieren. Dann soll das Papier noch in der Legislaturperiode verabschiedet werden.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 21. Mai 2023 | 22:20 Uhr