Beate Klarsfeld
Beate Klarsfeld Bildrechte: imago/Sven Simon

Aus Liebe zur Gerechtigkeit Beate Klarsfeld - Die Nazi-Jägerin

27. Januar 2022, 02:16 Uhr

Am 7. November 1968 ohrfeigte Beate Klarsfeld Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. Sie klagte den CDU-Politiker wegen seiner einstigen NSDAP-Mitgliedschaft an und forderte ihn auf, von seinem Amt zurückzutreten. Es war der Auftakt zu einer rastlosen und beinahe lebenslangen Jagd auf unbehelligt lebende NS-Täter.

In Deutschland stand im November 1966 Kurt Georg Kiesinger (CDU) kurz davor, der dritte Bundeskanzler der Bundesrepublik zu werden. Zu dieser Zeit veröffentlichte Beate Klarsfeld Artikel über das ehemalige NSDAP-Mitglied Kiesinger, in denen sie klar machte, wie unerträglich sie es fände, einen hohen Nazipropagandisten als Regierungschef zu haben: "Da sagte mein Mann, das können wir nicht auf uns sitzen lassen! Und dann kam die Entscheidung: Wir müssen was tun. Also die Vergangenheit von Kiesinger aufdecken und dann auch die Kampagne führen, seinen Rücktritt fordern."

Der Skandal als Waffe

Kiesinger war in intellektuellen Kreisen umstritten, aber die breite Öffentlichkeit wusste kaum etwas über dessen NSDAP-Mitgliedschaft und Rolle im Nationalsozialismus. Beate und Serge Klarsfeld wollten das ändern. Nach mehreren kleineren Aktionen trat Beate Klarsfeld am Vormittag des 7. November 1968 auf dem West-Berliner Parteitag der CDU aufs Podium und ohrfeigte den Bundeskanzler. In einem Schnellverfahren wurde sie zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die Haftstrafe wurde aber nicht sofort vollstreckt und später auf vier Monate mit Bewährung abgemildert.

Leider ist es so, dass man mit verbalen Aktionen nichts mehr erreichen kann. Um einen Skandal aufzudecken, muss man auch mit einem Skandal antworten.

Beate Klarsfeld

Aus Langeweile nach Paris

Beate Klarsfeld wurde am 13. Februar 1939 in Berlin als Beate Auguste Künzel geboren. Eher aus Langeweile ging sie mit 21 Jahren als Au-pair-Mädchen nach Paris. Eigentlich wollte sie dort nur ein Jahr verbringen, doch als sie den drei Jahre älteren Serge Klarsfeld kennenlernt, blieb sie. Der französische Geschichtsstudent erzählte der jungen Deutschen vom verbrecherischsten Kapitel der deutschen Geschichte, der nationalsozialistischen Herrschaft. Es war ein Thema, über das in Beate Klarsfelds Schulzeit in den 1950er-Jahren kaum gesprochen wurde. Serge erzählte ihr auch vom KZ Auschwitz, in dem sein Vater 1943 ermordet wurde. Serge, der jüdische Student, wurde so zum Mentor der deutschen Protestantin und 1963 auch ihr Ehemann.

Lebensaufgabe

Beate Klarsfeld hatte spätestens nach der Ohrfeige für den Bundeskanzler ihre Lebensaufgabe gefunden. Auch nachdem Kiesinger 1969 von seinem Amt als Bundeskanzler zurückgetreten war, blieb das Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld auf der Suche nach ehemaligen Nazi-Größen, denn nach wie vor lebten unzählige von ihnen weitestgehend unbehelligt in der ganzen Welt - in der Bundesrepublik, in Südamerika und sogar in der sich als strikt antifaschistisch darstellenden DDR. In Archiven in den USA und der DDR studierte das Ehepaar Klarsfeld Akten und sammelte Beweise.

Versuchte Entführung

1971 versuchten die beiden, den einstigen SS-Mann Kurt Lischka aus Köln nach Frankreich zu entführen. Lischka lebte als Getreidehändler in Köln, er war ein angesehener, wohlsituierter Bürger. Seine Vergangenheit als Gestapochef von Köln und später als SS-Obersturmbannführer, sein Aufstieg zum Befehlshaber und Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) in Paris kümmerte in Köln offenbar niemanden. In Frankreich war das hingegen anders: Dort war Lischka, der die Deportation zehntausender Juden angeordnet hatte, schon 1950 zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt worden. Die deutschen Gesetze besagten aber, dass man im eigenen Land nicht noch einmal für eine Tat verurteilt werden kann, für die man in einem anderen Land schon bestraft wurde. Lischkas Entführung misslang. Erst 1980 wurde ihm der Prozess gemacht. Das Landgericht Köln verurteilte den einstigen SS-Mann zu einer Haftstrafe von zehn Jahren.

Enttarnung von Klaus Barbie

Klarsfelds größter Erfolg aber war die Enttarnung des früheren Lyoner Gestapo-Chefs Klaus Barbie, bekannt als "Schlächter von Lyon". Dieser leitete eine Sektion des SD in Lyon und war berüchtigt für seine ungeheure Brutalität. Anfang der 1970er-Jahre spürte das Paar Barbie in Bolivien auf. Ein Entführungsversuch scheiterte, aber 1983 wurde Barbie nach Frankreich ausgeliefert und 1987 zu lebenslanger Haft verurteilt.

Erich Honecker um Unterstützung gebeten

Schon bei der Kampagne gegen Kiesinger hatte die DDR Beate Klarsfeld unterstützt. 1988 kam es zu einem letzten Zusammentreffen mit DDR-Politikern. Beate Klarsfeld war auf der Jagd nach Alois Brunner, einem der größten Nazi-Schreibtischtäter nach Adolf Eichmann. Er war unter anderem für die Razzia in Nizza verantwortlich, bei der Serges Vater verschleppt und später ermordet wurde. In Abwesenheit war Brunner in Frankreich bereits zum Tode verurteilt worden. Doch Syrien, wo Brunner seit Mitte der 1950er-Jahre lebte, wehrte alle Auslieferungsgesuche ab und bestritt, dass Brunner in Damaskus sei. Klarsfeld wendete sich 1988 direkt an Staatschef Erich Honecker.

Adolf Eichmann 3 min
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Ich hatte Herrn Honecker in Paris zu einem Abendessen getroffen, das war unter Präsident Mitterrand, der uns eingeladen hat in den Élysée-Palast. Ich ging auf Herrn Honecker zu, er wusste natürlich schon, wer ich war. Ich sagte dann: 'Herr Honecker, ich war mehrere Male bei Ihnen in der DDR, der Fall Alois Brunner muss gelöst werden.'

Beate Klarsfeld

Noch kurz vor dem Mauerfall schickte die DDR ein Auslieferungsersuchen an Damaskus ab. Doch Alois Brunner wurde nicht ausgeliefert. Er lebte bis zu seinem Tod unbehelligt in Damaskus.

Zwischen Heldentum und Verfolgung

Zu Hause in Frankreich sind Beate und Serge Klarsfeld Helden. In den 1970ern formierte sich eine Gruppe von Nazi-Jägern um das eloquente Ehepaar. Aber ihre Aktionen brachten ihnen nicht nur den Unmut deutscher Politiker ein, sondern führten sie auch in Lebensgefahr: 1972 explodierte ihr Auto. Sie bekamen Morddrohungen, Personenschutz und ein gefährliches Paket ins Haus - 500 Gramm Dynamit, 300 Gramm Tapeziernägel. Dem Ehepaar passierte wie durch ein Wunder nichts. Die westdeutsche Presse versuchte Beate Klarsfeld – im Gegensatz zur Studentenbewegung um Rudi Dutschke - als durchgeknallte bourgeoise Frau aus Frankreich darzustellen.

Man hatte alles mögliche versucht, mich als Stasi-Gesandte, als Mossad-Gesandte zu diskreditieren. Wir haben es lächelnd abgetan, denn wir wussten, was wir tun. Wir haben uns nie von irgendeiner Gruppe oder Partei einwickeln lassen.

Beate Klarsfeld

"Wunderbares Familienleben"

Inzwischen ist es ruhiger geworden um die Klarsfelds. Das Paar engagiert sich vor allem für die Opfer des Nationalsozialismus, schreibt die Lebensgeschichten von französischen Juden auf. Wenn man Beate Klarsfeld heute fragt, wie sie all die Rückschläge und Anfeindungen wegstecken konnten, sagt sie: "Wir haben ein wunderbares Familienleben mit zwei wunderbaren Kindern, was uns wahrscheinlich auch gerettet hat. Ich muss sagen, das ist ein Glücksfall und wahrscheinlich auch ziemlich selten."

Späte Anerkennung für Beate Klarsfeld

2012 stand Beate Klarsfeld als Kandidatin der Linkspartei für das Amt der Bundespräsidentin wieder in der Öffentlichkeit. Bei der Wahl unterlag sie allerdings Joachim Gauck. 2015 wurde sie für ihr lebenslanges Engagement mit dem Bundesverdienstorden 1. Klasse ausgezeichnet. Frankreichs Präsident François Hollande würdigte Beate Klarsfeld bereits ein Jahr zuvor, indem er sie in den Rang einer "Kommandeurin der Ehrenlegion" versetzte. 2016 verlieh ihr der Staat Israel in Würdigung ihrer Verdienste die israelische Staatsbürgerschaft.

Über dieses Thema berichtete der MDR Aktuell auch im: TV | 18.03.2012 | 21:45 Uhr

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