Nach Kriegsende in Thüringen Bye Bye Amis, willkommen Sowjets!
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02. Juli 2022, 11:54 Uhr
Im April 1945 nahm die US-Armee die Stadt Gera in Thüringen ein. Wie in allen besetzten Städten suchten die amerikanischen Kommandeure auch dort nach geeigneten und vom Nationalsozialismus unbelasteten Personen, die sie an die Spitze der städtischen Verwaltungen stellen konnten. In Gera war das der Jurist Rudolf Paul. Nur wenige Wochen später stand er vor der Aufgabe, in Gera für den Einmarsch der Roten Armee gute Stimmung zu machen. Wie die Stadt die sowjetische Armee willkommen hieß, verbreitete sich in ganz Thüringen.
Neuer Oberbürgermeister für Gera nach Kriegsende
Der nationalliberale Jurist Rudolf Paul hatte in der Zeit der Weimarer Republik die NSDAP bekämpft. Sofort nach deren Machtübernahme 1933 hatten sie ihm die Zulassung als Anwalt entzogen. Paul wurde Landwirt, zog in ein Dorf bei Gera und ging in die innere Emigration.
Am 6. Mai 1945 wendete sich das Blatt. Der amerikanische Stadtkommandant Major Ritterspacher ernannte den bekennenden Antifaschisten Paul zum Oberbürgermeister der Stadt und des Landkreises Gera.
1945: Angriffe auf Gera Als letzte große Stadt in Thüringen traf es am 6. April 1945 Gera. Alliierte Bomberverbände warfen an diesem Freitag über 2000 Spreng- und Brandbomben auf die Stadt. Mehr als 100 Menschen starben, etwa 8.000 verloren ihre Wohnungen. Nur eine Woche später standen am 14. April amerikanische Panzer vor dem Rathaus. Doch die Besatzer sollten nicht lange bleiben.
Aufteilung in Besatzungszonen: Abzug der Amerikaner
Paul nahm unter dem Kommando der Amerikaner sofort seine Arbeit auf. Nazis wurden aus der Verwaltung entfernt, vor allem aber musste das tägliche Leben im Chaos der Nachkriegszeit organisiert werden. Was er nicht ahnte: Den Amerikanern war klar, dass sie die Stadt bald wieder verlassen würden.
Bereits im Februar 1945, auf der Konferenz von Jalta, hatten sich der amerikanische Präsident Roosevelt, der britische Premier Churchill und der sowjetische Staatschef Stalin über die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen geeinigt. Thüringen sollte nach diesen Plänen zur sowjetischen Zone gehören. Die Amerikaner bereiteten darum die Übergabe ganz Thüringens an die Sowjets für Anfang Juli vor, hielten diese Pläne aber geheim. Auch Oberbürgermeister Rudolf Paul erfuhr erst einen Tag zuvor, dass die Amerikaner Gera am 1. Juli 1945 verlassen.
Die Rote Armee kommt nach Gera
Noch am 1. Juli, die Amerikaner verließen gerade die Stadt, erschien der Offizier eines Vorauskommandos der Roten Armee bei Oberbürgermeister Paul. In seinen Erinnerungen schrieb er später, der Offizier hätte übermittelt:
Mein General läßt Sie wissen: So wie wir empfangen werden, wird die Bevölkerung von uns behandelt.
Für Rudolf Paul und seine Mitarbeiter war das die Aufforderung schnell zu handeln. Noch am gleichen Tag ließ er Flugblätter drucken und einen Plakataufruf kleben. Darin wurde die Bevölkerung Geras aufgefordert, die neuen sowjetischen Besatzer nicht zu fürchten, sondern diese als die Befreier vom Faschismus freudig zu begrüßen. Zusätzlich ließ Paul noch in der Nacht Transparente malen und aufhängen. Auf diesen Bannern wurden die sowjetischen Truppen herzlich willkommen geheißen.
Blumen für die Rote Armee
Als am Montag, den 2. Juli 1945, die Rote Armee in Gera einzog, standen tausende Einwohner Geras, darunter natürlich viele Kommunisten, auf dem Marktplatz und begrüßten die neue Besatzungsmacht mit Blumen. Die Frau des Oberbürgermeisters, Louise Paul, überreichte dem Kommandeur im Namen der Mädchen und Frauen der Stadt einen Blumenstrauß.
Der sowjetische General war beeindruckt. Paul hatte diesen Montag für ganz Gera zum arbeitsfreien Tag erklärt. Und wirklich entstand eine gelöste, fast volksfestartige Stimmung. Den neuen Kommandeuren wurden sofort Quartiere und Versorgung angeboten. Der Wechsel vollzog sich reibungslos und ohne Zwischenfälle.
Was sich am 2. Juli in Gera abspielte, verbreitete sich schnell in ganz Thüringen. Auch in anderen, weiter westlich gelegenen Städten versuchte man in den darauffolgenden Tagen den Geraern nachzueifern und die sowjetischen Truppen freundlich zu begrüßen. Bis zum 7. Juli waren alle Amerikaner aus Thüringen abgezogen und das Land nun fest in sowjetischer Hand.
Rudolf Paul überzeugt die Rote Armee
Es wäre sicher falsch zu behaupten, Rudolf Paul organisierte den freundlichen Empfang für die Rote Armee, um daraus einen persönlichen Vorteil zu ziehen. Er ging auf die in weiten Teilen der Bevölkerung gefürchteten Sowjets zu, um Repressionen von Seiten der neuen Besatzer gegenüber der Bevölkerung seiner Stadt zu vermeiden. Richtig aber ist, sein Handeln beeindruckte und die sowjetische Generalität überzeugte.
Pauls Agieren in Gera wird deshalb auch eine Rolle gespielt haben, als der Oberkommandierende der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, Marschall Schukow, ihn am 16. Juli 1945 zum Landespräsidenten des Landes Thüringen ernannte. Paul trat zwar noch 1946 der neugegründeten SED bei. Doch den zunehmend von den Kommunisten beherrschten Kurs in der thüringischen Landesregierung trug er bald nicht mehr mit. 1947 flüchtete Paul in die amerikanische Besatzungszone.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR ZEITREISE | 08. Mai 2022 | 22:20 Uhr