Bedingungslose Kapitulation 8. Mai 1945 - Als in Europa endlich die Waffen schweigen
Hauptinhalt
08. Mai 2020, 07:25 Uhr
Am 8. Mai 1945, um 23:01 Uhr, schweigen in Europa die Waffen. Ab diesem Zeitpunkt tritt die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht in Kraft. Doch während im Westen längst Ruhe herrscht, wird im Osten bis zum Schluss erbittert gekämpft. Auch Sachsen trifft noch einmal die Wucht des Krieges.
Am 9. Mai 1945, um 20:03 Uhr, vermeldet der Reichssender Flensburg, wo seit dem 1. Mai 1945 die letzte Reichsregierung unter Großadmiral Karl Dönitz ihren Sitz hat, den letzten Wehrmachtbericht des Zweiten Weltkrieges. Nach viel Pathos über die deutschen Soldaten, die bis zuletzt in Ostpreußen, Kurland, Norwegen und auf den Ägäischen Inseln ihre Position gehalten haben, heißt es: "Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen. Auf Befehl des Großadmirals hat die Wehrmacht den aussichtslos gewordenen Kampf eingestellt."
Erste Unterzeichnung in Reims
Genau genommen schweigen die Waffen an den europäischen Fronten des Zweiten Weltkriegs bereits seit dem 8. Mai um 23:01 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt tritt die bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht offiziell in Kraft. Der Chef des Wehrmachtführungsstabens, Generaloberst Alfred Jodl, hatte sie im Auftrag von Dönitz bereits am frühen Morgen des 7. Mai im Hauptquartier der Westalliierten im französischen Reims unterzeichnet. Zwar besteht deren Oberkommandierender Dwight D. Eisenhower ausdrücklich auf einer Gesamtkapitulation gegenüber allen Alliierten, also auch gegenüber der Sowjetunion. Doch de facto wirkt die Kapitulation von Reims zunächst nur gegenüber den Westalliierten.
Krieg gegen Sowjetunion geht weiter
Während nämlich an den Fronten im Westen, Norden und Süden bereits seit dem 2., 4., 5. oder 6. Mai verschiedene Teilkapitulationen deutscher Truppen gelten und die Gesamtkapitulation von Reims für diese Frontabschnitte somit nur noch eine Formalie ist, geht der Krieg gegen die Sowjetunion auch am 6., 7. und 8. Mai mit unverminderter Härte weiter. Das liegt nicht zuletzt an der Existenz und der Führung der deutschen Heeresgruppe Mitte. Mit rund 800.000 relativ gut ausgerüsteten Soldaten in Sachsen, Böhmen und Mähren ist sie gegen Kriegsende die mit Abstand stärkste deutsche Kräftegruppierung. Ihr Oberbefehlshaber, Generalfeldmarschall Ferdinand Schörner, ein für seine rücksichtslose Kriegführung bekannter Nationalsozialist, der obendrein von Hitler per Testament noch zum Oberbefehlshaber des Heeres gemacht wurde, verkündet Anfang Mai vollmundig, seine Heeresgruppe sei in der Lage Böhmen und Mähren zu halten.
Durch Sachsen nach Prag
Als am 5. Mai in Prag ein Volksaufstand gegen die Deutschen ausbricht und am selben Tag US-Truppen im westböhmischen Pilsen einrücken, fürchtet der sowjetische Diktator Josef Stalin, die US-Amerikaner könnten vor ihm in Prag sein. Getrieben von dieser Angst, befiehlt er seinen Marschällen, Schörners Heeresgruppe Mitte möglichst schnell zu zerschlagen und die tschechische Hauptstadt einzunehmen.
Ohne die sonst üblichen akribischen Feindaufklärungen und technischen Vorbereitungen werden über zwei Millionen Rotarmisten dreier Fronten - das sind die sowjetischen Heeresgruppen - am 6. Mai zur letzten sowjetischen Großoffensive getrieben. Mit der "Prager Operation" trifft das Kampfgeschehen kurz vor Kriegsende noch einmal mit voller Wucht Sachsen. Am 8. Mai nimmt die 2. Polnische Armee Bautzen in der Oberlausitz ein, von wo sie erst zwei Wochen zuvor durch die letzte erfolgreiche deutsche Panzeroffensive des Krieges vertrieben worden war. Am selben Tag besetzen sowjetische Truppen auch die tags zuvor geräumten Städte Görlitz und Löbau. Auch Dresden wird am 8. Mai durch die Rote Armee besetzt. Drei wichtige Elbebrücken stehen schon nicht mehr. Die hatte die Wehrmacht am Vortag gesprengt.
Vorstoß ins Erzgebirge
Den Hauptstoß durch Sachsen führt die zuvor an der Schlacht um Berlin beteiligte 1. Ukrainische Front. Sie tritt am 6. Mai aus ihren Konzentrierungsräumen um Oschatz, Döbeln, Riesa und Großenhain zum Angriff nach Süden an. Über den Raum zwischen Dresden im Osten und Chemnitz im Westen stoßen ihre Armeen bis zum Abend des 7. Mai auf das nördliche Erzgebirge vor. Dabei verzeichnen die sowjetischen Panzertruppen nicht nur Verluste durch den teils hartnäckigen deutschen Widerstand. Viele ihrer Panzer fallen auch einfach mit Motorschäden aus, weil zwischen der Berlin-Operation und der voreilig befohlenen Prag-Operation keine Zeit war, die verschlissenen Dieselmotoren zu wechseln.
Endlose Panzerkolonnen
Dennoch ist die materielle Überlegenheit der sowjetischen Truppen so groß, dass sie solche Verluste leicht wegstecken können. Aus Wilsdruff, wo mehrere sowjetische Gardepanzerarmeen durchziehen, berichten Zeitzeugen von endlosen Panzerkolonnen. Mancherorts sind die sowjetischen Vorausabteilungen schneller als die deutschen Marschkolonnen auf ihrem Rückzug nach Böhmen. Diese werden zudem immer wieder durch sowjetische Schlachtflieger attackiert. Das gilt auch für jene Orte, in denen sich deutscher Widerstand organisiert. Der ist bis zuletzt extrem hartnäckig, was vor allem daran liegt, dass die deutschen Soldaten eine Gefangennahme durch die Rote Armee unbedingt vermeiden wollen.
12.000 tote Sowjetsoldaten in drei Tagen
Vor allem Angehörige der Waffen-SS oder von Wehrmacht-Eliteverbänden wie der Fallschirm-Panzerdivision "Hermann Göring" sind nicht selten bereit, eher kämpfend zu sterben als sich in sowjetische Gefangenschaft zu begeben. Dies sowie das von Stalin erzwungene überhastete Vorgehen der Roten Armee erklärt die extrem hohen Verluste, welche die sowjetischen Soldaten seit dem Beginn der "Prager Operationen" am 6. Mai erleiden. Als die ersten Vorausabteilungen der Roten Armee am 9. Mai 1945, um 10 Uhr, Prag erreichen, sind in den drei Tagen der Offensive 12.000 sowjetische Soldaten gefallen und rund 40.000 verwundet worden.
Ratifizierung in Karlshorst
Zu dem Zeitpunkt ist die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht bereits in Kraft. Unmittelbar nach der Unterzeichnung der Kapitulation von Reims am 7. Mai hatte Stalin auf einer Wiederholung der Zeremonie in seinem Machtbereich bestanden. Dies geschieht am 9. Mai, um 0:16 Uhr, am Sitz des Oberkommandierenden der Roten Armee in Deutschland, Marschall Georgi Konstantinowitsch Schukow, in Berlin-Karlshorst. Dort ratifizieren Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel für das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) und das Heer, Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg für die Kriegsmarine und Generaloberst Hans-Jürgen Stumpff als Vertreter der Luftwaffe die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht. Das bereits in Reims festgelegte offizielle Ende der Kampfhandlungen am 8. Mai 1945, 23:01 Uhr, wird dabei rückwirkend bestätigt.
Kapitulationen der Truppen verzögern sich
Offiziell war der Zweite Weltkrieg in Europa damit beendet. Die tatsächlichen Kapitulationen der verstreuten deutschen Truppen verzögern sich jedoch. So strecken die Soldaten der Heeresgruppe Mitte in Böhmen erst am 10. und 11. Mai ihre Waffen. Ebenfalls erst am 10. Mai kapitulieren die 200.000 Soldaten der Heeresgruppe Kurland. Am 11. Mai kapituliert die "Festung" Dünkirchen in Französisch-Flandern. Am 16. Mai werden die deutschen Besatzungstruppen auf den zur britischen Krone gehörenden Kanalinseln entwaffnet. Als letzte deutsche Soldaten überhaupt gehen am 4. September 1945 - also fast vier Monate nach der bedingungslosen Kapitulation - die Angehörigen eines Meteorologen-Trupps auf dem zu Norwegen gehörenden Spitzbergen-Archipel in alliierte Kriegsgefangenschaft.
Sowjets und Amerikaner in Chemnitz
In Chemnitz in Westsachsen übernehmen die sowjetischen Truppen erst zwischen dem 12. und 15. Mai das alleinige Kommando. Bei ihrem Vorstoß am 8. Mai waren sie hier auf US-Truppen gestoßen, die halbkreisförmig um die Stadt Stellung bezogen hatten. Eine Woche lang organisieren beide Seiten danach gemeinsam notdürftig die Besetzung und Verwaltung der teils schwer zerstörten Industriestadt.
42 Tage "Freie Republik Schwarzenberg"
Im Westerzgebirge bleiben nach der Kapitulation am 8. Mai sogar sechs Wochen lang rund 1.500 bis 2.000 Quadratkilometer des damaligen Landkreises Schwarzenberg und von Teilen des damaligen Landkreises Stollberg komplett von alliierten Soldaten unbesetzt. Ob sich Sowjets und US-Amerikaner nicht sicher waren, ob die als Demarkationslinie vereinbarte Mulde für die Zwickauer oder Freiberger Mulde gelten sollte, oder ob das Gebiet bei den vorherigen Absprachen der Alliierten schlichtweg vergessen wurde, weiß man nicht. Fakt ist, dass sich in den 42 Tagen bis zur endgültigen Besetzung des Gebiets durch die Rote Armee in vielen Orten sogenannte antifaschistische Aktionsausschüsse bilden, welche die Verwaltung in dem Gebiet irgendwie organisieren.
Die Verhaftung der letzten Reichsregierung
Die erst Jahrzehnte später so bezeichnete "Freie Republik Schwarzenberg", die es in dieser konkreten Form aber nie gibt, wird am 9. Juni durch sowjetische Truppen endgültig besetzt. Zu dem Zeitpunkt hatten die Briten die "Provisorische Reichsregierung" in Flensburg-Mürwick längst aufgelöst. Am 23. Mai 1945 verhaften sie Reichspräsident Dönitz und die anderen Regierungsmitglieder. Bereits zehn Tage zuvor war der Reichssender Flensburg für immer verstummt. Ein britischer Nachrichtenoffizier hatte den Starkstromanschluss versiegelt und die Sende- und Verstärkerröhren ausgebaut.