Porträt eines DDR-Klassikers "Nackt unter Wölfen" – eine berührende KZ-Geschichte
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10. April 2023, 05:00 Uhr
1958 veröffentlichte Bruno Apitz seinen Roman über die Rettung eines Kindes im KZ Buchenwald. Das Buch, das sich an wahren Begebenheiten orientiert, wurde schnell zum Bestseller, nicht nur in der DDR. Es dauerte daher nicht lange, bis der Roman auch als Kinofilm adaptiert werden sollte. Am 10. April 1963 feierte die erfolgreiche Verfilmung des Klassikers der DDR-Literatur Premiere.
Am 10. April 1963 wurde die DEFA-Verfilmung des Bestseller-Roman "Nackt unter Wölfen" uraufgeführt. Der Autor der literarischen Vorlage, Bruno Apitz, hatte das Drehbuch verfasst und eine kleine Rolle gespielt. Unabhänngig von dieser Nebenrolle war er auch sonst bei den Dreharbeiten immer anwesend.
Bruno Apitz am Filmset: Verfechter des Details
"Er war ein leidenschaftlicher Verfechter aller Details", erinnert sich der Schauspieler Armin Müller-Stahl. "Er wusste schließlich, wie es in Buchenwald ausgesehen hatte. Und er war die ganze Zeit über dabei und kontrollierte uns. Eine bessere Informationsquelle konnte es nicht geben." In der Tat bescheinigten Kritiker dem Film von DEFA-Regisseur Frank Beyer "realistische Wirklichkeitsnähe". Für den Schriftsteller Bruno Apitz war die Verfilmung seines Romans eine wunderbare Zeit, erinnerte sich seine Witwe Kiki Apitz: "Das war ein Triumph für ihn. So etwas hat es im Leben meines Mannes nicht noch einmal gegeben, eine solche innere Genugtuung."
Erfolgsgeschichte einer wahren Tragödie
1958 erschien Apitz’ Roman "Nackt unter Wölfen" im Mitteldeutschen Verlag Halle. Es ist die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte eines jüdischen Kindes, das von kommunistischen Häftlingen des KZ Buchenwalds auf wundersame Weise gerettet wird – eine Geschichte biblischen Ausmaßes.
Er hat schon im Lager gewusst, lieber Gott, wenn du mich hier rauslässt, dann muss ich die Geschichte dieses Kindes aufschreiben für die Jugend.
Das Buch avancierte schnell zu einem Bestseller, nicht nur in der DDR - in mehr als 30 Sprachen wurde es übersetzt und erreichte eine Gesamtauflage von mehr als zwei Millionen Exemplaren. In der DDR war "Nackt unter Wölfen" bis 1990 Schullektüre – kaum ein Kind, das das Buch nicht gelesen hatte. Doch nicht nur das: Die Staats- und Parteiführung instrumentalisierte den Roman überdies als einen wesentlichen Bestandteil des antifaschistischen Gründungsmythos der DDR.
Apitz: Schon früh politisch interessiert
Bruno Apitz, 1900 in Leipzig als zwölftes Kind einer Arbeiterfamilie geboren, war schon früh politisch interessiert. Mit 17 kam er für neun Monate das erste Mal wegen "Antikriegspropaganda" gegen den Ersten Weltkrieg in Untersuchungshaft, mit 18 musste er wegen "Landesverrats" anderthalb Jahre ins Gefängnis. In dieser Zeit begann seine Beschäftigung mit Literatur, er schrieb erste Gedichte. Aber er musizierte und schauspielerte auch. Vor allem aber war er ein politischer Mensch: 1927 trat er der KPD bei, übernahm verschiedene Parteifunktionen und war als Vorsitzender der Leipziger Bezirksgruppe des "Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller". Mit der Machtübernahme der Nazis setzte sich sein Weg durch Gefängnisse und Zuchthäuser fort, bis er 1937 ins KZ Buchenwald deportiert wurde, wo er bis zur Befreiung im April 1945 Häftling blieb.
Schwere Bedingungen für einen KZ-Roman
Nach 1945 wurde Apitz Gründungsmitglied der SED und arbeitete als Hörspielautor und als Feuilletonist bei der "Leipziger Volkszeitung". Das Sujet der Rettung des Buchenwaldkindes Stefan Jerzy Zweig hatte er dabei immer im Kopf. Zunächst wurde es von der DEFA, dem Filmstudio der DDR in Potsdam-Babelsberg, wo Apitz ab 1952 als Dramaturg arbeitete, als "unzeitgemäß" abgelehnt. Auch sein Antrag an den Schriftstellerverband, ein Darlehen zu bekommen, um seinen Buchenwald-Roman zu schreiben, wurde abgelehnt: Man sehe "keine Gewähr, dass der Autor den vorliegenden Stoff zum Roman gestalten kann", hieß es. Drei Jahre lang schrieb er auf eigene Kosten. Dann legte er das Manuskript dem Antifa-Komitee vor. Es wurde zensiert und Apitz strich und veränderte geduldig. Unter anderem schilderte er ausschließlich den heroischen Widerstandskampf der Kommunisten im KZ Buchenwald. "Er machte Helden aus Menschen, die vielleicht gar keine waren", kritisiert der britische Historiker Bill Niven.
Er machte Helden aus Menschen, die vielleicht gar keine waren.
Fiktion und Wirklichkeit
Zwischen den tatsächlichen Vorgängen um Stefan Jerzy Zweig und Apitz' Roman – der ja kein Tatsachenbericht, sondern ein künstlerisch gestaltetes Werk ist – gibt es einige Unterschiede. Die wesentlichen: In "Nackt unter Wölfen" wird das "Buchenwaldkind" in einem Koffer ins Lager gebracht und die SS weiß nichts von seiner Existenz. In Wirklichkeit war es mit seinem Vater unter den Augen der SS ins Lager gekommen. Bei Apitz sind es ausschließlich kommunistische Häftlinge, die dem Kind das Leben retten, der Vater spielt dabei keine Rolle. Tatsächlich aber war es der Vater, der seinem Sohn immer wieder das Leben rettete.
Apitz erklärt das so: "Ich wollte keinen Vater im Roman haben, weil ein Vater sein Kind natürlich beschützen will. Aber wenn andere das tun, ist das etwas Heldenhaftes, etwas fast Übermenschliches." Ein weiterer und entscheidender Unterschied ist der sogenannte "Opfertausch". In Wirklichkeit war das "Buchenwaldkind" von der SS auf eine Transportliste gesetzt worden, Zielort: Auschwitz. Die Häftlinge konnten das Kind vor dem Abtransport retten, allerdings um einen grausamen Preis – ein anderes Kind wurde stattdessen in den Tod geschickt. Darüber schweigt Apitz in seinem Roman, obwohl er von den tatsächlichen Ereignissen wissen musste.
Bruno Apitz nach dem Bestseller-Erfolg
Nach dem Welterfolg seines ersten Romans hatte Bruno Apitz finanziell ausgesorgt. Von der SED wurde er fortan als Vorzeigedichter benutzt, was ihm allerdings lästig war. Anknüpfen konnte er an sein berühmtes Werk nie wieder. Zwar schrieb er noch einige Bücher, die Resonanz aber war gering. Besonders traurig stimmte ihn, dass sein Verhältnis zu dem realen Buchenwaldkind Stefan Jerzy Zweig stets unterkühlt blieb. "Mein Mann hätte gern einen Sohn in ihm gesehen", erinnert sich Kiki Apitz. "Aber das ergab sich leider nicht ..."
Bruno Apitz starb 1979 kurz vor seinem 79. Geburtstag in Berlin und wurde auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt.
Wanderausstellung zum Film "Nackt unter Wölfen" (bitte aufklappen)
Zum 60. Jubiläums der Uraufführung des DEFA-Klassikers "Nackt unter Wölfen" wurde von Studenten der Universität Erfurt eine Wanderausstellung vorbereitet. Sie ist derzeit noch bis zum 27. April 2023 in der Universitätsbibliothek Weimar zu sehen. Weitere geplante Stationen sind Jena, Nordhausen, Gotha und Erfurt.
Dieser Artikel erschien erstmals im April 2010 und wurde im April 2023 überarbeitet.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nackt unter Wölfen | 11. April 2022 | 23:10 Uhr