Advent mit Traditionen Wenn es Raachermannl nabelt...
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26. November 2022, 05:00 Uhr
Kurz vor dem 1. Advent werden zu Hause die Kisten mit dem Weihnachtsschmuck rausgeholt. Besonders im sächsischen Raum zieren dann zur Adventszeit Figuren aus dem Erzgebirge die Stube. Was garantiert nicht fehlen darf: das Raachermannl.
Das "Raachermannl" ist das Räuchermännchen und stellt man eine Räucherkerze hinein, dann "nabelt" – erzgebirgisch für "nebelt" – qualmt oder dampft es eben aus der kreisrunden Mundöffnung. Der Mundart-Dichter Erich Lang hat den rauchenden Holzfiguren mit den staksigen Beinen in den 1930er-Jahren ein musikalisches Denkmal gesetzt. Hier der Refrain eines Liedes von 1937:
Wenn es Raachermannel nabelt un es sat kaa Wort drzu,
un dr Raach steigt an dr Deck nauf,
sei mr allezamm su fruh.
Un schie ruhig is in Stübel, steigt dr Himmelsfrieden ro,
doch im Harzen lacht's un jubelt's;
Ja, de Weihnachtszeit is do.
Und hier die Übersetzung:
Wenn das Räuchermännchen nebelt und es sagt kein Wort dazu,
und der Rauch steigt an die Decke hinauf,
sind wir alle zusammen so froh.
Und schön ruhig ist's im Stübchen, steigt der Himmelsfrieden herunter,
doch im Herzen lacht's und jubelt's,
ja die Weihnachtszeit ist da.
Von Engel mit Test-Set und Virologe bis zur Ampelkoalition
Längst gibt es die Räuchermännchen in verschiedensten Formen - die Fantasie der Drechsler kennt keine Grenzen. Wer Räuchermännchen sucht, trifft nicht nur auf die bekannten Klassiker, sonder auch auf Inspirationsquellen aus der heutigen Gesellschaft und Politik: Sei es ein Engel mit Test-Set oder der Virologe Christian Drosten mit Kittel und Maske. Sogar die Vertreter der aktuellen Ampelkoalition sind im erzgebirgischen Holz verewigt wurden. Dass die großen und kleinen Räuchergestalten mit dem kreisrunden Schmauchmund tatsächlich handgefertigte Originale aus dem Erzgebirge sind, zeigt sich beim Blick auf die Unterseite – hier vermerken die Herstellerfamilien ihre Namen. Viele dieser Familiennamen stehen für eine lange Tradition der Handwerkskunst.
Am Anfang war... die qualmende Teig-Figur
Die munter qualmenden Holzgestalten, die im Lied von Erich Lang besungen werden, sind allerdings älter als sein Musikstück. Die ersten gedrechselten Räuchermännlein in Form von Pfeifenrauchern werden Ferdinand Frohs und Friedrich Haustein zugeschrieben, die sie etwa um 1850 herum im erzgebirgischen Seiffen herstellten.
Dabei kamen die ersten rauchenden Figuren schon in den 1820er-Jahren aus dem thüringischen Sonneberg - sie bestanden aber nicht aus Holz. Die Thüringer Rauchgestalten wurden aus einem Spezialgemisch aus Schlämmkreide, Knochenleim, Roggen- oder Sägemehl geformt, der tagelang trocknen musste. Die "Raachermannln" aus dem Erzgebirge wurden dagegen aus Holz gedrechselt. Dass sich eine richtige Industrie bzw. Handwerkskunst daraus entwickelte, war auch dem Niedergang des Bergbaus durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert geschuldet. Viele Bergleute wechselten vom Stollen ins Holzhandwerk.
Später, in der DDR, wird der Räuchermann aus dem Erzgebirge zum Weltbürger und Exportschlager gleichermaßen. Helfried Dietel, ehemals Vorstand der Seiffener Genossenschaft DREGENO, erinnert sich:
Die Verhältnisse waren so, dass von der örtlichen Versorgungswirtschaft, sprich dem Handwerk, dass in etwa 60 Prozent für den Export war und 40 Prozent wurde in der DDR verkauft. Wir haben nach Amerika exportiert und auch nach Japan, in die Schweiz, Österreich, Italien, der größte Teil ging in die Bundesrepublik.
Trabireifen fürs Raachermannl
Matthias Merten, der 1985 eine Räuchermann-Manufaktur in Seiffen gründete, erinnert sich, wie schwierig es für DDR-Bürger war, einen Holzmann zu ergattern. An den Wochenenden im Advent strömten Scharen von Besuchern nach Seiffen zu den offenen Verkäufen. Wählerisch sein konnte man nicht, Schlange stehen und nehmen, was da war, lautete die Devise. Apropos Devise, mit einem Seiffener Räuchermann konnte man Merten zufolge mehr als nur schöne Gerüche und Weihnachtsstimmung verbreiten:
Wir nannten das die 'Seiffener' Währung. Für 'n Nussknacker oder mal 'n Räuchermann bei uns, da konnten sie schon mal was dafür kriegen. Ob 's mal 'n Trabi-Reifen war, oder auch zum Beispiel Obst kam immer einer aus der Lommatzscher Gegend, weil er dort 'n Geschäft hatte, unsere Sachen dort verkaufte und der brachte immer mal was mit.
Warum wird eigentlich geräuchert?
Das "Räuchern" selbst ist ein uraltes Ritual, das weltweit bekannt war und überall ähnlichen Zwecken diente: Rauch - erzeugt aus verschiedensten Substanzen - wurde zu spirituellen Zwecken benutzt, als flüchtiges Bindeglied zwischen Himmel und Erde, als Verbindung von Menschen mit dem Überirdischen, oder "höheren Wesen“. Es wurde aber auch zum Wohlbefinden geräuchert oder zur Krankheitsbekämpfung. Schon im Mittelalter stellten Dufthändler Gerüche her. Zum einen, um üble Dünste zu verdecken, zum anderen zum Inhalieren zur Krankheitsbekämpfung. Die Menschen glaubten früher, dass krankheitserregende Stoffe die Luft verpesteten und durch die Dämpfe hoffte man, die Ansteckungsgefahr "auszuräuchern".
Weihrauch, Fichtenwald und Drachenduft
Düfte, die Wohlbefinden verbreiten, gehören bis heute zum Alltag. Ob daheim im Wohn- oder im WG-Zimmer, mit einem Sandelholzstäbchen, zu hohen kirchlichen Feiertagen in katholischen Kirchen, wenn Ministranten Gefäße, in denen Weihrauch abgebrannt wird, schwenken und der typische "Feiertagsgeruch" durchs Kirchenschiff wabert. Oder eben zur Weihnachtszeit, wenn die Raachermannl aus ihren Kisten auf dem Dachboden gekramt und mit neuen Räucherkerzen gefüllt werden.
Wie bei den Figuren gilt übrigens auch für die Düfte der Räucherkerzen. Die Fantasie der Räucherkerzenhersteller kennt auch keine Grenzen: Längst "stinken" Butterwaffel-, Drachen- oder Dampflok-Duft gegen Klassiker wie Weihrauch oder Fichtennadel an. Hier geht es dem Räucherkerzchen wie dem Räuchermannl: Hauptsache, es vertreibt den Alltagsmief und verschönert den Advent.
Dieser Artikel erschien erstmals im Dezember 2016.
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV: MDR | 25. Januar 2019 | 20:15 Uhr
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