Engel im Sozialismus Weihnachten ohne Christkind: Wie die DDR religiöse Symbole verbannte
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13. Dezember 2022, 15:35 Uhr
Wenn es um Weihnachten in der DDR geht, ist gerne von der "geflügelten Jahresendfigur" die Rede. Obwohl der Begriff wahrscheinlich nur Legende ist - er bringt die verkorksten Sprachregelungen der DDR auf den Punkt. Denn in der atheistischen DDR sollte nichts an den christlichen Glauben erinnern.
1971 soll es gewesen sein, in einem Katalog der DDR-Werbeagentur DEWAG, der die "Waren täglichen Bedarfs" anpries. Da soll es gestanden haben, das Wort: "geflügelte Jahresendfigur" – einen Weihnachtsengel meinend, der aber nicht Engel heißen durfte in einem Land, das sich auf den dialektischen Materialismus berief und dessen "Obere" einen atheistischen Groll gegen alles Christliche pflegten. In der Nachwendezeit wurde die "Jahresendfigur" oft zitiert, nun als Beleg für die Unbeholfenheit des SED-Staates, die Sprachregelungen selbst bis in den privaten Bereich des Weihnachtsfestes hinein vorschrieb. Ein Schenkelklopfer, der nun beiden Seiten zur Belustigung diente – den ehemaligen DDR-Bürgern, die sich über die "Oberen" erheiterten, den Bundesbürgern, die sich über den "Ossi" an sich amüsierten.
Dabei ist – zumindest nach den Recherchen des Rochlitzer Museologen Franz Schmidt – die "geflügelte Jahresendfigur" eine Legende, nicht nachweisbar in Quellen. Nachweisbar ist, dass der Autor des Satire-Blattes "Eulenspiegel", Ernst Röhl, den Begriff verwendete, nachweisbar ist auch, dass Kabaretts in der ganzen Republik den Begriff parodierten, und der Volksmund mit seiner Neigung zum Witz sowieso. Einfach genial und abstrus – und damit zugleich wahrscheinlich und pointiert – bringt die "Jahresendfigur" die oftmals verkorksten Sprachregelungen der DDR auf den Punkt.
Der Engel - die Frau des Bergmanns
Tatsächlich hat es auch andere Versuche gegeben, den christlichen Gehalt der Weihnacht zu verdecken, zu überlagern. Das lässt sich festmachen an einer Geschichte aus dem Erzgebirge – traditionelle Region der Volkskunst, Heimat der Nussknacker, der geschnitzten Krippenspiele, Schwibbögen und Engelsfiguren. Letztere wurden regelmäßig zur Adventszeit im Museum Dippoldiswalde ausgestellt, in wunderbaren Exemplaren aus mehreren Jahrhunderten. Als Museumschef Günter Gross 1978 für die Besucher seines Museums einen Weihnachtsbastelbogen mit Engeln drucken lassen wollte, machte ihm die Druckgenehmigungsbehörde Vorwürfe: Wie könne er es wagen, als Direktor eines staatlichen Museums christliche Symbole zu verkaufen.
Gross reagierte gewieft: Die Figuren trügen nicht mal einen Heiligenschein, und im Übrigen symbolisierten die Engel gewissermaßen die Frau des Bergmanns, und niemand könne wollen, dass dieser tüchtige Bergmann ohne Frau sei. Verdattert gaben die Funktionäre schließlich die Druckgenehmigung für "weihnachtliche Bastelbögen."
Christliche Symbole in der DDR unerwünscht
Auch Adventskalender durften in der DDR Anfang der Siebziger offiziell nicht so heißen. Auf Rechnungen und Bestellungen erschien stattdessen der Begriff "vorweihnachtliche Kalender". Christliche Motive durften bis 1973 darauf gar nicht gedruckt werden. Dann erhielt erstmals ein kleiner Verlag in der Lausitz die Erlaubnis, das Christkind und die Heiligen Drei Könige darzustellen. Es gab aber auch sozialistische Varianten, wie etwa einen Adventskalender, auf dem Junge Pioniere mit Halstuch und Käppi zu sehen waren. Verbreitete Motive waren außerdem Weihnachtsmärkte oder Winterszenen mit Kindern oder in der Natur. Durchgesetzt haben sich diese weltlichen Adventskalender allerdings nicht.
Weihnachten mit "U-Boot-Christen"
Für den Wittenberger Theologen und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer steht fest: Das Weihnachtsfest hat sich in der DDR als Familienfest durchgesetzt, die geflügelte Jahresendpuppe sei in der Alltagswirklichkeit kaum vorgekommen. Den Menschen sei die Weihnachtsgans wichtiger gewesen als die Weihnachtsbotschaft und die entscheidende Frage war "Wird es Südfrüchte geben?". Pfarrer konnten sich Weihnachten über volle Kirchen freuen – oder ärgern. Denn die meisten Kirchgänger in der Heiligen Nacht waren sogenannte U-Boot-Christen – das ganze Jahr auf Tauchfahrt, nur einmal im Jahr sichtbar auf offener See.
DDR wird von der Frohen Botschaft heimgeholt
Der Atheismus der DDR hinterließ tiefe Spuren. Anfang der 1950er-Jahre hatte es sogar Versuche gegeben, das Friedensfest Weihnachten propagandistisch umzudeuten. Die FDJ-Zeitung "Junge Welt" etwa schrieb: "Der Friede liegt nicht als Geschenk unter dem Christbaum, er will erkämpft und errungen sein."
Am letzten Montag vor Weihnachten 1989 demonstrierten 100.000 Leipziger, viele mit Kerzen in der Hand. Sie bildeten einen "Adventskranz aus brennenden Herzen." Und als vom Turm der Nikolaikirche "Oh, Du fröhliche ..." trompetet wurde, da brandete Beifall auf.
Nach 1989: Von der Besinnung zum Konsum
Besinnlichkeit, Hausmusik und Weihnachtslieder spielten zu DDR-Zeiten wahrscheinlich sogar eine größere Rolle als heute. Friedrich Schorlemmer zumindest beklagt die Ökonomisierung der Weihnacht, kaum einer kenne noch drei Weihnachtslieder, das sei ein ganz tiefer Traditionsabbruch. Der "Konsumismus", so steht aus dieser Perspektive zu befürchten, schadet dem Gehalt der Weihnacht unter Umständen mehr, als es der marxistische Atheismus tat.