Haftleben in "Bautzen II"
Hauptinhalt
08. Dezember 2009, 14:26 Uhr
Seine Strafe in "Bautzen II" absitzen zu müssen, war für jeden Verurteilten ein Albtraum. Denn in diesem besonderen Knast hatte die Stasi Zugriff auf die Gefangenen, entschied über Wohl und Wehe und vor allem darüber, wer wann entlassen werden durfte.
Auf zwei Gefangene kam in Bautzen ein Bediensteter. Schon dieser enorme Personalaufwand zeigt, wie wichtig dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die einsitzenden Gefangenen waren. Geweckt wurde morgens um halb sechs, der erste Zählappell war um 6 Uhr, der zweite Appell um 14 Uhr. So sollten Abwesende oder gar Flüchtige schnell entdeckt werden. Das Licht ging mal abends um acht nach dem Essen aus, mal später, wenn länger gearbeitet werden musste. Schreibsachen in der Zelle waren zumindest bis in die siebziger Jahre hinein weitgehend verboten. Über die Verpflegung schrieb Walter Janka, ab 1957 Häftling in "Bautzen II", später: "Das Essen war miserabel. Eine zusätzliche Strafe. Brot, Suppe, ein paar Gramm Margarine, jeden zweiten Tag eine Scheibe Leber- oder Blutwurst - immer von der gleichen Sorte."
Die Stasi im Stasi-Gefängnis
Die Stasi hatte einen Verbindungsoffizier in Bautzen II, der alles überwachte - das Personal, den Haftalltag, die Außenkontakte der Gefangenen. In der MfS-Kreisdienststelle gleich neben dem Knast konnten die verwanzten Zellen und Besprechungsräume abgehört werden. Zur perfekten Überwachung setzte die Stasi Spitzel sowohl beim Gefängnispersonal als auch bei den Inhaftierten ein. Die Bespitzelung wurde nicht einmal verheimlicht, sondern bewusst eingesetzt, um etwa bestimmte Gefangene bei ihren Mithäftlingen zu diskreditieren. So konnte sich der Häftling keinen Moment unbeobachtet fühlen und hatte keine Person, der er sicher vertrauen konnte. Zudem musste er jederzeit damit rechnen, direkten Schikanen oder gar körperlicher Misshandlung durch das Personal ausgesetzt zu sein. All das sollte bewirken, dass er sich vollkommen ausgeliefert fühlte.
Isolation als Haftprinzip
Die Häftlinge in "Bautzen II" wurden systematisch ihrer Persönlichkeit beraubt. Das fing schon damit an, dass sie, nachdem man sie zumeist nachts in einem verschlossenen Barkas (Transporter) eingeliefert hatte, eine Nummer erhielten. Seine Nummer behielt jeder Gefangene bis zur Entlassung. Der Schriftsteller Erich Loest, der 1959 aus dem Gefängnis "Roter Ochse" in Halle nach Bautzen gebracht wurde, zur Aufnahmeprozedur durch einen Wachhabenden: "Dann hat er gesagt, ich hieße nun ab sofort 23/57, hätte mich damit zu melden, hätte niemand anderem meinen Namen zu nennen, nicht über mich und mein Urteil zu sprechen. Und dann haben sie mich in die Zelle geführt."
Kontaktsperre Bautzen
Bei manchem Gefangenen wurde jeglicher Kontakt zur Außenwelt, also auch zur eigenen Familie, unterbunden - bei dem aus West-Berlin entführten Journalisten Karl-Wilhelm Fricke eineinhalb Jahre lang. Diese Maßnahme verschärfte bei ihm das Gefühl absoluter Hoffnungslosigkeit: "Ich habe sogar einen Selbstmordversuch unternommen, weil ich zunächst einmal von der Überlegung ausging, dass ich nach meiner Entführung kaum jemals die Chance haben würde, wieder entlassen zu werden und nach West- Berlin zurückkehren zu können."
Sondergefangene im Sonderknast
Selbst unter den verschärften Bedingungen in Bautzen gab eine ganz kleine Gruppe von besonders scharf isolierten Gefangenen. Diese musste nicht arbeiten wie seit den sechziger Jahren alle anderen Gefangenen. Zudem sollten sie von den anderen nicht gesehen werden. Das führte zu absurden Situationen, wie Dieter Hoetger, alias "Tunnel-Dieter", berichtet: "Da wurde im Kino das Licht ausgemacht, wenn die rein kamen."
Das Personal
So wie die Gefangenen sich nicht untereinander kennen sollten, so wurde ihnen auch verheimlicht, wer sie in der Haft drangsalierte. Erich Loest erinnert sich: "Ich habe nie durchsickern hören, dass wir auch nur einmal einen Vornamen gehört hätten. Die redeten sich auch untereinander so nicht an, nur mit dem Dienstgrad oder 'Genosse Wachtmeister' oder so." Das hatte für das Personal auch einen anderen großen Vorteil: Bei Misshandlungen blieben sie anonym. Selbst Häftlinge, die vom Westen freigekauft wurden, konnten bei der "Zentralen Erfassungsstelle" für Verbrechen durch DDR-Organe in Salzgitter ihre Drangsalierer nur mit Spitznamen nennen, die diese mit der Zeit von den Häftlingen erhalten hatten. Auch wenn es in den siebziger und achtziger Jahren kleinere Verbesserungen und Erleichterungen im Haftalltag gab, am Grundprinzip der Isolation und an der Willkür bis hin zur Brutalität des Personals änderte sich nichts.
Verschärfter Arrest im "Tigerkäfig"
Die Zellenfenster waren bis auf einen kleinen Schlitz zugemauert. Es gab weder Tisch noch Stuhl oder gar eine Pritsche in der 2,50 Meter mal 1,50 Meter kleinen, nicht beheizbaren Zelle. Nur an der Zimmerdecke eine 40 Watt Lampe, die alle halbe Stunde eingeschaltet wurde, wenn die Aufseher die Zellen durch einen "Spion" kontrollierten. Zweimal am Tag wurde ein Notdurftkübel in den Raum gestellt, am Abend wurde eine Holzpritsche mit einer dünnen Decke in die Zelle geschoben. Die Gefangenen durften nicht sprechen, nicht singen, nicht pfeifen.
Verschärfter Arrest, also Isolierung in einer Einzelzelle, war auch nach DDR-Recht nur für die Dauer von 21 Tagen erlaubt. In Bautzen umging man diese Regelung mit einem Trick. Entweder kam man für einen Tag frei und wurde dann wieder für weitere 21 Tage isoliert, oder man wurde in eine andere Zelle gesteckt und das Zählen begann von vorne. Die Gefangenen nannten diese Isolierzellen "Tigerkäfig".