Musikgeschichte Stefan Diestelmann - Der Blueskönig der DDR

01. September 2016, 14:42 Uhr

Am 29. Januar 1949 wird Stefan Diestelmann in München geboren. Als Anfang der 60er-Jahre Beatles und Stones die Bühnen erobern, hört Stefan davon daheim wenig, denn sein Vater bestimmt, welche Musik gehört wird - Beat und Rock'n' Roll gehören nicht dazu. Allein gegen Bluesmusik wettert der Vater nicht - aber mit der kann der junge Stefan anfangs nicht wirklich was anfangen. Doch irgendwann ist Blues besser als gar nichts - der launig-melancholische Sound geht dem Jungen ins Ohr und Diestelmann verliebt sich in seine unfreiwillige Alternative zu den ungestümen Rhythmen der Pilzköpfe und harten Songs der Rolling Stones. Dass Diestelmann Jahre später die Musikgeschichte der DDR beeinflussen würde – das konnte Anfang der 60er-Jahre kein Mensch ahnen.

Bayrisch sprechen, Lederhose tragen - das geht nicht gut

An eine Musikkarriere oder gar Berühmtheit ist nicht zu denken, als Diestelmann mit seinen Eltern in die DDR übersiedelt. Damals ist er 13 Jahre. Stefans Eltern sind Schauspieler und arbeiten für die DEFA. Für den Jungen aus dem Westen sind die ersten Jahre in der DDR hart. Es muss nach dem Wunsch seiner Mutter eine Lederhose tragen und er spricht bayrisch. Nicht die besten Voraussetzungen, um sich als Teenager unauffällig einzuleben. Stefan "wird zum Opfer", wie man heute sagen würde - und in der Schule verprügelt.

Er ist ein Außenseiter und er rebelliert zunächst gegen die Lehrer und ihre Geschichten über den Westen. Doch er verstummt, als er merkt, dass Widerworte in der DDR sinnlos sind. Als 12-jähriger hatte er seine erste Gitarre geschenkt bekommen - und im Osten besorgt ihm die Gitarre in der Hand schließlich das, was der Heranwachsende dringend braucht: Aufmerksamkeit und Wertschätzung statt Hänseleien und Ausgrenzung. Der Blues wird für Stefan zur Fluchtmöglichkeit aus dem Alltag - im Jahr 1984 auch aus dem Staatssozialismus.

Vom Außenseiter zur Kultfigur

Der junge Diestelmann spielt bald in verschiedenen Amateurbands wie den "Teddys". Er knüpft Freundschaften mit Musikern und Bandkollegen. Stefan Diestelmann studiert Literatur über das Leben und Wirken afroamerikanischer Bluesinterpreten. Heimisch wird er im Osten dennoch nie. Schon in den 1960er-Jahren fällt er aus dem Rahmen und er wird bei den Behörden aktenkundig, weil er nach Fluchtmöglichkeiten sucht. Er muss deshalb sogar eine Haftstrafe in der Besserungsanstalt Regis-Breitingen absitzen. Musikalisch wird er, nachdem er viele Jahre bei Amateurbands spielte, von Axel Stammberger entdeckt. Er wird Mitglied der Band "Vai hu". Damit kommt der Erfolg. Mit seinem Dreitage-Bart und den langen Haaren ist Stefan Diestelmann plötzlich Kult. Zwei Jahre später gründet er seine eigene Combo, die STEFAN DIESTELMANN FOLK BLUES BAND. Mit ihm in der Band spielen Dietrich Petzold (Violine, Perkussion), Rüdiger Phillipp (Bass), Bernd Kleinow (Mundharmonika).

Der in Bayern geborene Frontmann wird so zur Kultfigur des Blues – und das DDR-weit. Diestelmanns Lieder trafen das Lebensgefühl der Freigeister. Er singt ungeschönt über sein Leben, die DDR,Einsamkeit oder das Gefühl von Freiheit. Hunderte kommen, um die Bluesinterpreten zu hören. In den besten Zeiten spielen sie sogar mehrere Konzerte an einem Tag.

Die Stasi im Blues-Publikum

"Politisch zweideutiges Auftreten" und "weist negative Merkmale auf" notieren Mitarbeiter der Stasi in den heute einsehbaren Akten über Stefan Diestelmann. Sogar Auftrittsverbote werden teilweise gegen ihn verhängt. Trotzdem trat er mit Bluesgrößen wie Muddy Waters auf. Doch Stefan Diestelmanns Image als authentischer Blueser lässt sich nicht mehr verbieten. Er arbeitet mit dem Pianisten Gottfried Böttger zusammen. Böttger kommt aus dem Westen und darf sich in Ostberlin eigentlich nur aufhalten. Dieser steht als Musiker an der Seite von Udo Lindenberg in der DDR auf dem Index.

Im Jahr 1984 darf Diestelmann in den Westen und zusammen mit Gottfried Böttger er in einer Talkshow spielen. Nach einem Auftritt bleibt er nach 23 Jahren in Ostdeutschland endgültig drüben. Er lässt vieles, sogar seine Ehefrau, in der DDR zurück. Diestelmann zieht zunächst nach Hamburg und zunächst lässt sich der Ortswechsel gut an: Er spielt und singt auf Konzerten, hat Auftritte. Doch der erste Erfolg hält nicht lange an.

Es ist nicht schwierig, ein Bluespublikum zu finden. Das gibt es immer. Nur man kann damit keine Säle mehr füllen. Das ist klar.

Stefan Diestelmann (1997)


Doch die Konkurrenz im Westen schläft nicht. Hier kennt ihn kaum jemand. Die Erfolge bleiben aus, der Druck wächst. Die Versuche des einstigen Plattenmillionärs als Schlager-Songwriter erfolgreich zu werden, scheitern. Er lässt sich schließlich am bayerischen Ammersee nieder, bricht Kontakte zu Musikerkollegen ab und gibt seine Bühnenkarriere auf. Beruflich geht es für ihn jedoch weiter. Er wird Filmemacher. Seine Firma "Diestelfilm" produziert Dokumentar- und Präsentationsfilme. Unbemerkt von der Öffentlichkeit stirbt Stefan Diestelmann im Jahr 2007, völlig vergessen wie es scheint. Erst Jahre später erfahren ehemalige Kollegen und die Presse davon.