Geschichte eines Berliner Wahrzeichens Der Palast der Republik: Parlamentssitz und Unterhaltungstempel
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15. Mai 2024, 16:00 Uhr
Das Humboldt Forum im wiederaufgebauten Berliner Stadtschloss öffnete nach gut sieben Jahren Bauzeit 2020 seine Pforten. Das Haus schaut auf eine lange Geschichte zurück. Von 1443 bis 1918 war es die Residenz der Hohenzollern. 1950 wurde das Schloss dann von der DDR-Führung gesprengt und es begann die Geschichte des Palastes der Republik am gleichen Standort. 2006 wurde das Stahlgespenst, welches auch "Palazzo Prozzo" genannt wurde, schließlich abgerissen, um einer Schloss-Replik Platz zu machen.
"Wie selten in einem Haus war unter dem Dach des Palasts der Republik die Realität der DDR mit all ihren Widersprüchen vereinigt: der Alltag der kleinen Leute mit ihren Freuden und Kümmernissen sowie die Macht der Partei", notierte 1994 der Dramatiker Rainer Kerndl. Für den Lyriker Durs Grünbein, der in den 1980er-Jahren täglich auf dem Weg zur Universität am Palast vorbeiradelte, war er hingegen "Inbegriff einer muffigen DDR-Kulturgemütlichkeit, eine perfide Mischung aus spießiger Unterhaltung, Politbüro und Wir-sind-jetzt-auch-wer-Gefühl". Der Leiter des Architektenkollektivs für den Palast, Heinz Graffunder, sagte kurz vor seinem Tod 1994: "Er war sicher ein öffentliches Haus. Aber mir bleibt nur die Erinnerung an einen grauen, düsteren Bau. Er hatte wenig Einladendes, daran lässt sich nicht rütteln."
Palast der Republik: Geschlossen wegen Asbestverseuchung
Als Heinz Graffunder das traurige Urteil über das bedeutendste Werk seines Lebens sprach, war der Palast der Republik bereits seit vier Jahren geschlossen. Der Grund: Asbestverseuchung. Um den Brandschutz zu gewährleisten, waren einst sämtliche Stahlträger mit einem aus England importierten Spritzasbest versiegelt worden. Baufachleute hatten vor der Verwendung des krebserregenden Minerals gewarnt - vergeblich. Schließlich galt Asbest in den 1970er-Jahren nicht nur in der DDR als "Wunderfaser". Dass der Asbest in den 1980er-Jahren bei Konzerten von der Zwischendecke im "Großen Saal" auf die Zuschauer rieselte, blieb ein Staatsgeheimnis. Am 19. September 1990, 14 Tage vor der deutschen Vereinigung, verfügte die Volkskammer im Vorgriff auf bundesdeutsche Sicherheitsnormen die Schließung der eigenen Tagungsstätte. Der Palast der Republik sollte nie wieder geöffnet werden.
Walter Ulbricht lässt Hohenzollernschloss abreißen
Die Geschichte des Palastes der Republik hatte im Grunde bereits 1950 begonnen. Damals war auf Geheiß von Walter Ulbricht das Hohenzollernschloss abgerissen worden, das 2020 als Humboldt-Forum seine Wiederauferstehung feiert. Der SED-Chef wollte kein preußisches Relikt in der Hauptstadt, sondern einen großen Platz für Aufmärsche. Am 1. Mai 1951 fand auf der nun "Marx-Engels-Platz" genannten Fläche eine erste Maikundgebung statt. Ansonsten aber war das Areal öde und leer. Diese Situation fand schließlich auch die Parteiführung unbefriedigend, und so wurde 1958 ein Ideenwettbewerb "zur sozialistischen Umgestaltung" des Berliner Stadtzentrums initiiert.
Doch die eingehenden Entwürfe, die ein "Forum der Nation" mit Parlament, Kongresszentrum und turmhohen Verwaltungsgebäuden vorsahen, gefielen den Genossen nicht oder waren zu kostspielig. 1963 wurde der Wettbewerb ergebnislos beendet. Ulbricht verlangte eine kostengünstige Variante, auch wenn, wie er ein Jahr später anmerkte, die Hauptstadt durchaus "eine Sensation" bräuchte. Er schlug vor, einen Fernsehturm und ein Gebäude für die Volkskammer zu errichten.
Palast der Republik: offiziell "ein Haus des Volkes"
Während mit dem Bau des Fernsehturmes bereits 1965 begonnen worden war, zog sich die Errichtung des Volkskammergebäudes noch einige Jahre hin - erst am 2. November 1973 erfolgte die Grundsteinlegung. Hatte Walter Ulbricht noch ein Gebäude vorgeschwebt, das staatliche Macht symbolisieren sollte, wollte sein Nachfolger Erich Honecker ein "Haus des Volkes". Die Volkskammer werde hier "verantwortungsbewusst" tagen, so Honecker bei der Grundsteinlegung. Doch auch "unsere Kultur wird in diesem Haus eine Heimstatt finden, ebenso wie Frohsinn und Geselligkeit der werktätigen Menschen". Natürlich sollte der Palast auch eine Visitenkarte der DDR abgeben - schließlich war sie gerade international anerkannt und gemeinsam mit der Bundesrepublik in die UNO aufgenommen worden. Da passte ein "Haus des Volkes", auch wenn es dessen Herrschaft nur vortäuschte, gut ins Konzept.
Die Architektur des Palastes
Die schwierige Aufgabe, ein Gebäude zu errichten, das Parlament und Volkshaus in einem ist, löste Architekt Graffunder auf verblüffend einfache Weise: Er entwarf ein 86 Meter langes und 42 Meter breites zweigeschossiges Hauptfoyer, das beide Bereiche miteinander verband und gleichzeitig als Gemäldegalerie fungierte. Überhaupt war die Funktionsvielfalt des Palastes damals ziemlich einzigartig auf der Welt: Im öffentlichen Bereich gab es eine Bowlingbahn, eine Diskothek und ein Dutzend Restaurants, Cafés und Nachtbars - alles vom Feinsten. Und der "Große Saal", konzipiert vom Architekten Manfred Prasser, galt wegen seiner Variabilität bis zum Schluss als kleines technisches Wunderwerk.
Die Baukosten waren allerdings dementsprechend: etwa 750 Millionen DDR-Mark. Geld, das anderswo fehlte. Die DDR-Bürger machten sich alsbald ihren eigenen Reim auf den Marmorpalast an der Spree. "Ballast der Republik" wurde er genannt oder, wegen der üppigen Beleuchtung, "Erichs Lampenladen". Der Liedermacher Wolf Biermann sang gar vom "Palazzo di Protzo". Doch die Besucher kamen in Scharen – 70 Millionen bis zur Schließung 1990. Denn in den Restaurants fehlte es an nichts und im "Großen Saal" gaben sich internationale Künstler die Klinke in die Hand: Carlos Santana, Udo Lindenberg, Joan Baez, Mikis Theodorakis, Helen Schneider, Loriot, Miriam Makeba, Katja Ebstein, Karel Gott, Udo Jürgens, Mireille Mathieu, Nana Mouskouri, Juliette Greco, Peter Maffay ... In den späten 1980er-Jahren spielten aber auch halblegale Ostberliner Punkbands im Palast und Heiner Müllers lange verbotenes Stück "Quartett" erlebte hier seine DDR-Uraufführung. Geschlossen war das "Haus des Volkes" nur zu SED-Parteitagen und Volkskammersitzungen.
Abriss oder Weiternutzung?
Nach seiner Schließung starb der Palast der Republik einen langsamen Tod. Nur die Debatten um ihn wurden immer lebhafter: Die einen wollten ihn als Relikt der untergegangenen DDR so schnell als möglich beseitigen und das alte Stadtschloss wieder aufbauen, auf der andern Seite standen die Gegner eines Abrisses. Nach einer Asbestsanierung zwischen 1998 und 2003 hätte der Palast durchaus weiter genutzt werden können, doch der Bundestag beschloss in einer Sitzung ohne Aussprache 2003 kurz und schmerzlos den "Rückbau". Zwei Jahre wurde der Palast danach noch "zwischengenutzt": Bands traten in dem entkernten Gebäude auf und Frank Castorf brachte seine Bühnenfassung von "Berlin Alexanderplatz" zur Aufführung.
Die Abriss-Debatte wurde auch im Ausland mit Interesse verfolgt. 2006 schrieb etwa die "New York Times" in einem Plädoyer für den Erhalt des Palastes: "Das von vielen Menschen wegen seiner kommunistischen Vergangenheit gehasste Haus wäre ideal dazu geeignet gewesen, zu zeigen, wie eine Gesellschaft in die Zukunft schauen kann, ohne sich von den sensibelsten Elementen ihrer Vergangenheit zu trennen."
Palast der Republik weicht dem Humboldt Forum
Ende Januar 2006 aber rückten die Abrissbrigaden an, obwohl zwei Drittel der gesamtdeutschen Bevölkerung sich für den Erhalt des Bauwerks aussprachen. Der Stahl des Palastes wurde abtransportiert und unter anderem im höchsten Gebäude der Welt - dem "Burj Chalifa" in Dubai - verbaut.
Am 12. Juni 2013 wurde an Stelle des Palasts der Grundstein für das Humboldt Forum gelegt, zwei Jahre später feierte man das Richtfest. Äußerlich ahmt das Gebäude das einstige Berliner Stadtschloss nach, doch im Inneren ist es ein moderner Museumskomplex, in dem nichts mehr an die einstige Prachtentfaltung der Hohenzollern erinnert. Über seinen Sinn wurde allerdings nicht nur vor, sondern auch während der Bauarbeiten gestritten, und für manche bleibt der Abriss des Palasts der Republik bis heute einge "geschichtspolitische Dummheit".
Wie der Palast der Republik im Volksmund hieß:
Erhellt wurde der Palast von 9.873 teilweise avantgardistischen "Kugeleffektleuchten", daher bekam er den Beinamen "Honnis oder Erichs Lampenladen." Weitere Spitznamen waren "Palazzo di Protzo" und "Ballast der Republik".
Dieser Artikel erschien erstmals 2011.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 26. April 2024 | 16:00 Uhr