Protest und Verweigerung: Die andere Jugend der DDR
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21. Oktober 2010, 11:41 Uhr
Eine erste Kultur des Protestes entstand unter den Jugendlichen der DDR mit der Beatgeneration Anfang der 60er-Jahre, sehr zum Unmut der SED. Später wurde die Subkultur immer vielfältiger und politischer ...
In der SED-Propaganda galten Jugendliche als die "Hausherren von morgen". Von ihnen wurde die Erfüllung der sozialistischen Normen erwartet. Die einzige staatliche Jugendorganisation in der DDR war die Freie Deutsche Jugend (FDJ). Sie galt als die "Kampfreserve der Partei". In der FDJ wurde auch die Freizeit der Jugendlichen organisiert: Alles sollte seine Ordnung haben und kontrollierbar bleiben. Doch in allen Phasen der DDR versuchten die Jugendlichen, dem staatlichen Anpassungsdruck und den gesellschaftlichen Zwängen zu entkommen und sich eigene Freiräume zu gestalten.
"Heulboje Elvis Presley"
Als Anfang der 1960er-Jahre die Beat-Musik und der Rock 'n' Roll ihren weltweiten Siegeszug antraten, eroberten sie auch die DDR. Die Musik stand für das Lebensgefühl, die Träume und die Wünsche der jungen Menschen. Die SED zeigte sich alarmiert und provoziert. Sie konnte mit den kulturellen Phänomenen aus dem Westen nicht umgehen. Sie befürchtete eine Unterwanderung des Sozialismus. Für die FDJ-Zeitung "Junge Welt" war klar: Die westliche Musik sei "transatlantische Veitstanzmusik" und die "Heulboje Elvis Presley" ein "Geschütz im Kalten Krieg". SED-Chef Walter Ulbricht sagte dem Beat den Kampf an: "Ich bin der Meinung, Genossen, mit der Monotonie des yeah, yeah, yeah, und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen. Ist es denn wirklich so, daß wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen?" Nach der Kampfansage wurden landesweit Beat-Bands verboten und Fans kriminalisiert.
Der Leipziger Beat-Aufstand 1965
Das weckte bei den Jugendlichen Widerstand. Immer wieder kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen ihnen und der Polizei: Am bekanntesten wurde der Leipziger Beat-Aufstand 1965. Mehr als 300 Jugendliche protestierten gegen das Verbot mehrerer Bands. 267 Menschen wurden festgenommen. Einige wurden für ein paar Wochen in den Tagebau geschickt.
Doch der Beat ließ sich nicht verbieten – er zog sich zunächst nur aus dem öffentlichen Raum zurück. Wenn die von der Jugend geliebte Musik nicht im DDR-Rundfunk gespielt wurde, dann wurden eben West-Sender gehört. Die Musik war der Ausgangspunkt einer sich ausweitenden jugendlichen Subkultur. So wurden abgelegene Dorfsäle zu Treffpunkten für Bluesfreaks und Hippies. Musikfans trampten durch die gesamte DDR. Bands spielten die Hits der Originale nach und brachten ihre eigenen Stücke auf die Bühne.
Die Subkultur wird politisch
Ende der 1970er- Anfang der 1980er-Jahre wurde die Subkultur immer vielfältiger und vor allem auch politischer: Kultur-, Friedens- und Umweltgruppen entstanden. Die evangelische Kirche wurde in diesen Jahren zu einer Fluchtburg für bedrängte und systemkritische Christen und Nichtchristen. Unter ihrem Dach entwickelte sich beispielsweise die "Offene Arbeit". Hier trafen sich gesellschaftliche Aussteiger. Einer der wichtigsten Pfarrer der "Offenen Arbeit" war Walter Schilling. Seine Großveranstaltungen "June" in Rudolstadt zogen in den 1970er-Jahren Tausende Jugendliche aus der gesamten DDR an. In Berlin wurden zwischen 1979 und 1987 sogenannte Bluesmessen veranstaltet. Zeitweilig kamen bis zu 9.000 religiöse und nicht religiöse Jugendliche zu den Konzerten, die von Gebeten, Texten und einer unkonventionellen Predigt unterbrochen wurden.
"Schwerter zu Pflugscharen"
Neben der "Offenen Arbeit" entstand in der evangelischen Kirche auch die Friedensbewegung. Unter dem biblischen Motto "Schwerter zu Pflugscharen" sammelten sich Anfang der 1980er-Jahre bis zu einhunderttausend Jugendliche, um gegen das Wettrüsten in West und Ost zu protestieren. Die Forderungen der SED waren ihnen zu einseitig: Die staatliche Friedenspropaganda richtete sich nämlich nur gegen die Raketenstationierung in Westeuropa, nicht aber gegen die Stationierung sowjetischer SS-20-Raketen in der DDR. Das Symbol der kirchlichen Friedensbewegung wurde ein Aufnäher, der einen Schmied zeigte, wie er ein Schwert zu einer Pflugschar umschmiedet. Dieser Aufnäher wurde verboten und seine Träger verfolgt. Gleichzeitig startete die FDJ die Gegenkampagne "Der Frieden muss verteidigt werden – der Frieden muss bewaffnet sein!"
Punks und Skinheads
Anfang der 1980er-Jahre erreichte die Punk-Bewegung auch die DDR. Die Staatsmacht reagierte auf den Protest und die Verweigerungshaltung der Jugendlichen, die sie als "dekadent" und "asozial" bezeichnete, mit Repressionen. Dies führte zu einer Politisierung der Jugendlichen. Viele suchten Schutz unter dem Dach der evangelischen Kirchen. Dort fanden nun auch Punkbands eine Heimstatt. Zu den bekanntesten gehörten "Schleim-Keim" aus Erfurt oder "Wutanfall" aus Leipzig.
Wie die Punk-Bewegung schwappte auch die Skinhead-Bewegung ab Anfang der 1980er-Jahre in die DDR über. Deren Kennzeichen dieser Jugendkultur waren Aggressivität und Gewaltbereitschaft. Teile der Skinheadbewegung bezeichneten sich ganz offen als "Faschos". Punks und Ausländer wurden überfallen, Rechtsradikalismus machte sich in der Szene breit. Traurige Berühmtheit erlangte ein Überfall von Skinheads auf ein Blueskonzert in der Berliner Zionskirche 1987.
Freiräume, fernab von Staat und Partei
Die SED rannte der Entwicklung der Jugend in diesen Jahren nur noch hinterher. Einerseits versuchte sie mit Hilfe der Staatssicherheit die neue und vielfältige Jugendkultur zu überwachen und einzudämmen. Andererseits versuchte sie nach und nach Teile der Jugendkultur in ihre eigene Jugendpolitik zu integrieren. Einige Punk-Bands wurden offiziell als "die anderen Bands" bezeichnet und durften auftreten – solange sie unpolitisch blieben. Westliche Rock- und Popstars wie Bruce Springsteen und Brian Adams durften in der DDR auftreten. Doch gewonnen hatte die SED die Jugend der DDR damit keineswegs. Viele schufen sich bis zum Ende der DDR ihre eigenen Freiräume, fernab von Staat und Partei.