Lexikon Musik in der DDR
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Beatmusik | Liedermacher | Pop | Rock | Schallplattenunterhalter
16. Februar 2010, 11:47 Uhr
Was in den 50ern und noch in den 60ern als westliche Unkultur galt, feierte in den 70ern und 80ern Triumphe: die Rockmusik. Nichts Nachgespieltes aus London oder Übersee, sondern etwas ganz Eigenes. Rockmusik made in GDR wurde zu einem Gütesiegel unter jungen Leuten. Dafür stehen Gruppen wie Puhdys, Karat, City, Stern Meißen oder Lift.
Inhalt des Artikels:
- Von der lukrativen Schlagerszene ...
- ... bis zur devisenbringenden Artistenbranche
- Stasi-Kampf gegen "Abweichler"
- Zur Kulturpolitik der DDR in Sachen Musik
- Walter Ulbricht verteufelt die Beat-Musik
- Singebewegung soll Subkultur auf den richtigen Weg bringen
- Klaus-Renft-Combo wegen "Beleidigung der Arbeiterklasse“ aufgelöst
- Nach Biermann-Ausbürgerung trifft es auch Bettina Wegner
- Zahlreiche Bands verhelfen Ostrock zu Ehren
- Udo Lindenberg darf seinen "Sonderzug" nicht live singen
- Nach und nach entziehen sich einzelne Gruppen der Bevormundung
- Publikumsliebling der U-Musik-Branche – Helga Hahnemann
Mit ihnen ging in den FDJ-Jugendklubs und zu Hause vor dem Radio - beliebt war vor allem der Sender DT 64 - die Post ab, denn die Texte zielten nicht nur ins Herz. Sie sprachen auch das Hirn an und trafen das Lebensgefühl der jungen Leute in der DDR. Der Erfolg schützte nicht alle Bands und Interpreten vor Auftritts- und Veröffentlichungsverboten.
Von der lukrativen Schlagerszene ...
Neben solcher auch international beachteten Pop-Musik - so coverte Peter Maffay den Karat-Hit "Über sieben Brücken" - gab es eine Schlagerszene zum Mitsingen und zum Weghören. Unüberhörbar war die gute musikalische Grundausbildung der Sänger und Musiker, ohne die es keinen Berufsausweis gab. Der war Voraussetzung, um als Profi arbeiten zu dürfen. Spitzenleistungen machten sich auch für den Staatshaushalt bezahlt. Wer was konnte, hatte Chancen, nach Zustimmung des Komitees für Unterhaltungskunst von der Künstleragentur der DDR für Auftritte in den Westen vermittelt zu werden.
... bis zur devisenbringenden Artistenbranche
Einen großen Teil der Westgage behielt der Staat. Und auch die heimische Schallplattenindustrie profitierte von der Beliebtheit der DDR-Bands und -Musiker. Besonders ertragreiche Devisenbringer waren Artisten. Berühmte Aushängeschilder auf diesem Gebiet der Unterhaltungskunst waren die Geschwister Schwenk, die Tierdressuren des VEB Staatszirkus und Magier wie Peter Kersten.
Stasi-Kampf gegen "Abweichler"
Nach außen die Fassade als weltoffener Staat, nach innen Kampf gegen die "Abweichler". Die Stasi rüstet auf und wird zum unkontrollierbaren Staat im Staate. Eines von abertausenden Beispielen für Verfolgung ist der Fall der Gruppe "Klosterbrüder" und des Bandleaders Dierich Kessler. Was Mielke nicht passt: zu lange Haare und schwarze Gewänder, der "reaktionäre" Name "Klosterbrüder" und vor allem aufmüpfige Texte. Jedes Konzert wird beobachtet, Auftrittsverbot angedroht, falls der Name nicht geändert wird.
Auf Kessler werden 30 IMs angesetzt. Die Band nennt sich dann "Magdeburg", kann nur eine LP veröffentlichen. Ein TV-Auftritt in "RUND" fällt aus, weil die Band sich die Haare nicht abschneidet. 1983 stellt die ganze Band Ausreiseanträge. Trotz Druck bleibt Kessler bei seinem Antrag. Die Quittung: drei Monate Gefängnis für die Ehefrau, für Kessler zwei Jahre und zwei Monate. Vorwurf: "Landesverräterische Agententätigkeit". Beweise: keine.
Zur Kulturpolitik der DDR in Sachen Musik
Rockmusik konnte auch in der DDR ihre westlichen Wurzeln nicht verleugnen, dies hat ihr neben einer Art Symbolwirkung auch das Misstrauen der Staatsmacht eingebracht und damit eine eher unfreiwillige gesellschaftspolitische Dimension. Vor allem hinsichtlich der Jugend – die Kampfreserve der Partei – fürchtete die Partei den Verlust eines sozialistischen Persönlichkeitsideals.
Eine Anfang 1958 vom Ministerrat veröffentlichte Anordnung bereitete den örtlichen Kulturbehörden Kopfzerbrechen: künftig sollten mindestens 60 Prozent der auf allen Tanzveranstaltungen, im Radio und Fernsehen gespielten Musikstücke aus der DDR und den anderen sozialistischen Ländern sein. So wurden Platten aus dem Westen zur Mangelware und zum Tauschobjekt. Wer dazu keine Möglichkeiten hatte, saß nachts stundenlang vor dem Radio und schnitt mit dem Tonbandgerät westliche Radiosendungen mit.
Walter Ulbricht verteufelt die Beat-Musik
Das 11. Plenum des ZK der SED 1965 geriet zum Tribunal über die unangepasste Kunstszene: die "Kulturspezialisten" der Partei stellten "schädliche Tendenzen" in allen Bereichen Kultur fest, auch die Beat-Musik wurde als Waffe des kapitalistischen Gegners enttarnt, mit deren Hilfe "Rowdytum" und amerikanische Lebensweise unter den DDR-Jugendlichen verbreitet werden sollten. Die Beat-Bewegung wurde mit staatlichen Anordnungen und massiven Polizeieinsätzen unter Kontrolle gebracht. Walter Ulbricht sah in der Beat-Musik den "Versuch westimperialistischer Drahtzieher, die akustische Kriegsvorbereitung in die DDR zu tragen".
Am 18. Dezember 1965 auf dem 11. Plenum des ZK der SED verkündete Ulbricht:
Ich bin der Meinung, Genossen, mit der Monotonie des Yeah, yeah, yeah und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen!
Singebewegung soll Subkultur auf den richtigen Weg bringen
Auch dem Jazz konnte er nichts abgewinnen und bezeichnete ihn als "Affenkultur des westlichen Imperialismus". Den westlichen Rhythmen wollten die Kulturfunktionäre zudem mit eigenen musikalischen Vorschlägen entgegenwirken, so zum Beispiel mit dem "Lipsi"-Tanz, der aber sehr schnell wieder verschwand. Die FDJ versuchte mit der "Singebewegung" und organisierten Musikwettbewerben, die jugendliche Subkultur auf den "richtigen Weg" zurückzubringen.
Seit 1970 fand regelmäßig das "Festival des politischen Liedes" statt, zu dem Gruppen aus der ganzen Welt anreisten, vor allem linke Gruppen aus der Dritten Welt. Tausende von Jugendlichen fuhren jedes Jahr in den Winterferien nach Berlin und versuchten - manchmal Tage vor der Veranstaltung - an eine der begehrten Karten zu kommen. Vor allem der an der Spitze der "Singebewegung" agierende "Oktoberklub" verhielt sich staatstreu. Nach dem Einmarsch der kommunistischen Truppen in Saigon 1975 sangen sie "Alles auf die Straße! Rot ist der Mai. Alles auf die Straße! Vietnam ist frei". Die DDR-Radiosender spielten den Ohrwurm bis zum Überdruss.
Klaus-Renft-Combo wegen "Beleidigung der Arbeiterklasse“ aufgelöst
Rockbands oder Beat-Gruppen, wie sie damals genannt wurden, hat es auch in der DDR schon Anfang der 60er Jahre gegeben. Die legendär gewordene Klaus-Renft-Combo etwa war schon 1959 als Schülerband gegründet worden und hatte es ab 1962 bis 1969 unter dem Namen "The Butlers" und ab 1970 mit dem Namen "Renft" zu einem beachtlichen Bekanntheitsgrad gebracht. Mit engagiert-kritischen Liedern und Rock´n’Roll hatte sie maßgeblich die DDR-Rockmusik geprägt und konnte Rundfunkproduktionen und mehrere Plattenveröffentlichungen vorweisen.
Die aufmüpfigen Texte des Liedermachers Gerulf Pannach ließen schließlich den Dauerkonflikt der Band mit der Kulturbürokratie eskalieren. 1976, nach der Biermann-Ausbürgerung, musste "Renft" sich aufgrund des Spielverbots wegen "Beleidigung der Arbeiterklasse" auflösen. Gerulf Pannach und Christian Kunert wurden verhaftet.
Nach Biermann-Ausbürgerung trifft es auch Bettina Wegner
Auch die Liedermacherin Bettina Wegner war 1966/67 Mitglied des "Oktoberklubs", fiel jedoch schon zwei Jahre später in Ungnade, als sie sich 1968 an einer Flugblattaktion gegen die Intervention der Warschauer Pakt-Staaten in der CSSR beteiligte. Sie erhielt eine Haftstrafe auf Bewährung. Wegner gehörte auch zu den Künstlern, die sich gegen die Ausbürgerung Biermanns aussprachen, und musste daraufhin Einschränkungen in ihren Arbeits- und Auftrittsmöglichkeiten hinnehmen.
1978 veröffentlichte Bettina Wegner die LP "Sind so kleine Hände" in der Bundesrepublik. 1983 forderte das Kulturministerium die Künstlerin auf, die DDR zu verlassen, gleichzeitig wurde gegen sie ein Verfahren wegen des Verdachts auf Zoll- und Devisenvergehen eingeleitet. Wegner kehrte der DDR im Juli desselben Jahres den Rücken.
Zahlreiche Bands verhelfen Ostrock zu Ehren
"City", "Karat" oder die "Stern-Combo Meißen" verliehen Mitte der 70er-Jahre dem Ostrock sein unverwechselbares Gesicht. Die meist kunstvoll arrangierten Balladen begeisterten auch westdeutsche Musikfans. Mit der LP "Schattenreiter" von den "Puhdys" hielt auch die "Neue Deutsche Welle" in der DDR Einzug. Der Titel "Computerkarriere" wurde zum Propaganda-Song der FDJ. Viele Fans wandten sich den weniger etablierten Bands zu.
Udo Lindenberg darf seinen "Sonderzug" nicht live singen
Mitte der 80er Jahre versagte die Kulturkontrolle der SED gegenüber der Musikszene mehr und mehr. Auch die FDJ versuchte, ihre verlorene Anhängerschaft durch Rockkonzerte zum Beispiel auf der Radrennbahn in Berlin-Weißensee mit internationalen Größen wie Joe Cocker und Bob Dylan wieder zurückzugewinnen. Der Erfolg blieb aus: Das Publikum identifizierte sich mit den Stars, nicht mit den Veranstaltern.
Peinlich wurde es für die Kulturbehörden, die sich liberal geben wollten, um die Subkultur zu entpolitisieren, als Udo Lindenberg sich um einen Auftritt in Berlin bemühte. Er hatte sich mit seinem in der DDR populären Titel "Sonderzug nach Pankow" eine Honecker-Satire geleistet und schickte dem Staatschef zur Krönung eine Lederjacke, dieser revanchierte sich mit einer Schalmei. Doch Lindenberg konnte nicht auftreten, die FDJ fürchtete weitere kritische Lieder.
Nach und nach entziehen sich einzelne Gruppen der Bevormundung
Punkbands wie "Fabrik" aus Berlin, New Wave mit "Die Art" aus Leipzig oder Jazz-Bands wie "Bajazzo" oder "L´art de Passage" und die verschiedensten Rockgruppen machten sich kaum noch die Mühe, kulturpolitische Vorgaben zu erfüllen. Sie verstanden sich als "Undergroundbands" und distanzierten sich damit von der staatlichen Bevormundung. Kompromisse ging man nur ein, wenn öffentliche Auftrittsmöglichkeiten winkten.
Die Bands traten in Kulturhäusern oder Jugendklubs auf - die bekanntesten und unkompliziert agierenden waren die Mensa der Universität Rostock, das Jugendkulturhaus Lindenpark Potsdam oder der Club 29 in Berlin - spielten aber auch in Kirchen und erschlossen sich zunehmend private Räume. Die Fans trampten durch die ganze Republik, um ihre Idole zu hören, die so erfrischend aus der offiziellen DDR-Kulturszene heraus fielen.
Freya Klier und Stephan Krawczyk werden zur Ausreise gezwungen
Bedeutsam für die Oppositionsbewegung war der Weggang des Künstlerpaars Freya Klier und Stephan Krawczyk. Gegen die Arbeit der Theaterregisseurin Freya Klier häuften sich Mitte der 80er-Jahre die Eingriffe, 1985 wurde ihr das Arbeiten an DDR-Bühnen gänzlich verboten. Ähnlich ging es Krawczyk, der 1981 noch einen Preis als bester Chansonsänger der DDR erhalten hatte und 1982 seine einzige Schallplattenproduktion in der DDR mit der Gruppe "Liedehrlich" veröffentlichte.
Seine Texte wurden immer kritischer, zudem sang er auf Veranstaltungen der Friedensbewegung. 1985 trat er aus der SED aus, die seinen Schritt zu einem Ausschluss umdeklarierte, kurz darauf erhielt er Berufsverbot. Im Januar 1988 wurde Krawczyk auf dem Weg zur Berliner Liebknecht-Luxemburg-Demonstration verhaftet und unter Androhung einer langen Haftstrafe wegen "Landesverrats" zur Ausreise gezwungen. Einen Monat später siedelte er gemeinsam mit Freya Klier nach West-Berlin über.
Am 10. Juni 1989 fand in Leipzig ein maßgeblich von Oppositionellen wie Jochen Läßig organisiertes Straßenmusikfestival unter dem Motto "Freiheit mit Musik" statt. Obwohl Straßenmusik in Leipzig nur während der Messe erlaubt war, spielten in der Innenstadt Straßenmusikanten aus der ganzen DDR. Sicherheitskräfte nahmen zahlreiche Musiker und Festteilnehmer fest, ohne diesen eine politische Absicht nachweisen zu können.
Publikumsliebling der U-Musik-Branche – Helga Hahnemann
Aushängeschilder der Unterhaltungsmusik waren Ende der 60er- und in den 70er-Jahren Frank Schöbel und Chris Doerk, deren Song "Heißer Sommer" des gleichnamigen Films von 1968 ein Dauerbrenner war. Helga Hahnemann - "Jetzt kommt die Süße" - wurde vor allem im letzten Jahrzehnt der DDR der Publikumsliebling der Unterhaltungsbranche. Ihre Revuen im Friedrichstadtpalast waren immer ausverkauft, denn sie lieferte neben Moritatenliedern auch in vielen Sketchen Persiflagen auf den Alltag in der DDR.
AWA
Die "Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte auf dem Gebiet der Musik", das Pendant zur heutigen GEMA, war allen tanzwütigen jungen Leuten ein Dorn im Auge, denn sie legte unter anderem fest, dass bei öffentlichen Tanz- und Musikveranstaltungen nur 40 Prozent "Westschlager" gespielt werden durften.
Als rechtlich selbstständige staatliche Einrichtung stand die AWA unter Aufsicht des Ministeriums für Kultur.
Sie nahm für Werke der Musik die Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte wahr und verteilte die eingezogenen Gebühren an die Urheber und Verleger des In- und Auslandes.
Schallplattenunterhalter
Der Feldzug gegen englische und amerikanische Begriffe in der Alltagssprache führte mitunter zu den absonderlichsten Bezeichnungen.
So wurde aus dem international üblichen Diskjockey in der DDR-Funktionärssprache ein "Schallplattenunterhalter", abgekürzt SPU. Nicht jeder konnte als SPU Musik auflegen, man brauchte eine offizielle Genehmigung dafür.
Komitee für Unterhaltungskunst
Das Komitee für Unterhaltungskunst, 1973 ins Leben gerufen, war als Gremium beim Ministerrat der DDR angesiedelt zur Überwachung, Anleitung und Koordinierung von Programmen und Darbietungsformen der Unterhaltungskunst im Sinne der kulturpolitischen Richtlinien der Partei.
Zudem wurde beim Komitee noch eine Generaldirektion eingerichtet, die die politische und künstlerische Kontrolle der Künstler übernehmen sollte.
Ebenso war sie verantwortlich für das Ausrichten von Wettbewerben im Lande, aber auch für die Entsendung zu ausländischen Wettbewerben.
1984 wurde das Komitee aufgrund neuer kulturpolitischer Überlegungen und der Forderung der Künstler nach mehr Mitspracherecht aufgelöst und ein neu strukturiertes konstituiert.
Jetzt gab es einzelne Sektionen für Jazz, Chanson, Liedermacher, Interpreten, Diskotheken, Wortkunst, Rock, Orchesterleiter und Artistik.
Daneben wurden Beiräte und verschiedene Kommissionen gebildet.
Vorsitzende des neuen Komitees wurde die Schriftstellerin Gisela Steineckert.
Als Vizepräsidenten berief der Minister für Kultur bekannte Unterhaltungskünstler wie den Sänger Frank Schöbel oder Gisela Oechelhäuser, Mitglied des Berliner Kabaretts "Distel".