Rockmusiker in der DDR André Herzberg und die Rockband Pankow
Hauptinhalt
29. Mai 2009, 13:58 Uhr
Er war Texter und Frontmann der Rockband "Pankow". Mit provokanten Titeln traf er das Lebensgefühl der jungen Leute in der DDR.
Es ist ein Song des Grummelns, des Grollens. Wie vor einem Vulkanausbruch. "Langeweile" heißt er und wurde ein Teil des Soundtracks, der den Untergang der DDR begleitete: "Dasselbe Land zu lange geseh'n, dieselbe Sprache zu lange gehört, zu lange gewartet, zu lange gehofft, zu lange die alten Männer verehrt." André Herzberg gibt mit seiner Stimme dem Song diesen trotzigen, rebellischen Ton, der nach "Aufruhr in den Augen" klingt. Genau so hieß auch das 1988 beim DDR-Rockmusiklabel Amiga verlegte Album von Pankow - eine Scheibe, die das Lebensgefühl vieler Jugendlicher damals in der DDR traf.
"Kille Kille" - Wider den Stachel kitzeln
Herzberg, 1955 in Berlin geboren, entstammte einer Funktionärsfamilie. Früh begann er mit Geigenunterricht, nach ersten Band-Erfahrungen nahm er Gesangsunterricht und studierte an der Hochschule für Musik "Hans Eisler" Berlin. Mit seiner Gaukler-Rock-Band, gegründet 1979, stieg er mit einem Nummer-Eins-Hit in die Hitparade der DDR ein. Als 1981 Veronika Fischer nach einem Konzert in Westberlin blieb, gründeten die Bandmitglieder die Gruppe "Pankow", zu der André Herzberg als Sänger geholt wurde. Bald schon gehörte er zu den prägenden Köpfen einer Rockband, die mit provokanten Titeln die Grenzen des Kulturbetriebes in der DDR auslotete.
So wurde zum Beispiel der ursprüngliche Coverentwurf für die erste "Pankow"-Platte ("Kille Kille", 1983) abgelehnt, das Rocktheaterstück "Paule Panke" (1981) konnte vorerst nur in der Provinz aufgeführt werden. Der AMIGA-Direktor weigerte sich, die Schallplattenaufzeichnung zu veröffentlichen.
Gepflegter Punk als Rocktheater: "Paule Panke"
Überhaupt, "Paule Panke" - was die Jungs von "Pankow" mit dem Rocktheater boten, das wirbelte die Szene ziemlich durcheinander und vermittelte ein Lebensgefühl, das dem Zeitgeist von Punk und New Wave ziemlich nahe kam.
Keine schwülstigen Gigantrock-Hymnen als billige Imitate auf Genesis, Led Zeppelin oder sonst eine Westband, keine blümelnde, verschwurbelte FDJ-Singeklub-Lyrik im hochkarätigen Rockgewand, sondern Szenen aus dem Leben eines Lehrlings, geschrieben von Herzbergs Bruder Wolfgang alias Frauke Klauke: "Ich komm nicht hoch" beschreibt die Mühe des Aufstehens früh um fünf. Von der Monotonie des tristen Arbeiteralltags ist die Rede, von der Freude auf das Leben nach dem Feierabend. Mit "Inge Pawelczik" zum Beispiel, der "wilden Wahnsinnsmaus". Eine gleichnamige Schuldirektorin setzt ein Aufführungsverbot durch, weil sie sich durch den Musiktitel verunglimpft fühlt.
1987 tritt Pankow in Schwedt mit "Paule Panke" auf. Das Publikum applaudiert 20 Minuten lang. Die Story trifft den Nagel auf den Kopf, dazu die harten Riffs von Gitarrist Jürgen Ehle, weitab vom Kunstrock, der die 70er- und frühen 80er-Jahre dominiert hatte. 1989 erst erscheint die Platte bei Amiga - wie so oft in der DDR das Ergebnis zäher Zickzack-Kurse in der Kulturpolitik.
Die Lauscher vor den Schallschutzwänden
Im Probenraum, erzählt André Herzberg, hätte "Pankow" immer mal gewitzelt über die Stasi, die hinter den schallschluckenden Wandverkleidungen säße und jedes Wort protokolliere. Was Herzberg nicht wusste: Die Stasi saß nicht hinter den Schallschutzwänden, sondern war Teil der Band. Der Drummer Frank Hille hatte 1985 die DDR verlassen - danach lieferte Gitarrist Jürgen Ehle Berichte an die Stasi. Er habe die Band vor der Auflösung bewahren wollen, meint Ehle später, und den Herzberg schützen, der mit seiner großen Klappe häufig bei den Kulturverwaltern aneckte und aus der Band entfernt werden sollte. Die für ihre Geradlinigkeit und ihren Aufruhr berühmte Band war also selbst verstrickt mit der Macht - der Schock saß tief bei den Fans und bei Herzberg. 1990 verließ er die Band und versuchte eine Solokarriere.
Die Einsamkeit des Westens
Mit diesem Versuch geriet Herzberg in eine Phase, in der Ostrock kommerziell am Boden lag. Die Strukturen waren weggebrochen, von der Produktion über den Vertrieb bis zur Promotion. Das Interesse der Fans stürzte sich in der unmittelbaren Nachwendezeit zunächst auf die lange Zeit nur unter der Hand ergatterten Scheiben der westlichen Idole. Herzbergs ambitionierten Soloprojekten fehlte der kommerzielle Erfolg – und der gesellschaftliche Rahmen DDR. "Man kann die alte DDR unmöglich preisen für ihre Behinderungen", schreibt Publizist Christoph Dieckmann, "aber sie hat uns die Musik so teuer wie möglich gemacht. Man liebt doch nur, was man erkämpfen muss und Kunst handelt von dem, was fehlt." Herzberg versucht sich als Theaterschauspieler, als Autor, als Alleinunterhalter – harte Zeiten für einen, der einst Säle füllte und dem das Publikum zu Füßen lag.
Schon 1991 gab die Band wieder ein gemeinsames Konzert in der Urbesetzung – und mit Unterstützung der "Red Army Big Band", einem Orchester der Roten Armee. Anlass war das zehnjährige Bandbestehen. Heute gilt dieses Konzert vom Dezember 1991 als der beginn des Ostrock-Comebacks. Der Rockmusik-Experte Michael Rauhut schreibt: "Es sind die alten Lieder, welche die Säle füllen und die auf unzähligen CDs wieder veröffentlicht werden. Lieder, die den Zeitgeist wie ein Wasserzeichen tragen und in denen jugendliche Alltagserfahrungen genauso gespeichert sind wie die Machtinteressen des Staates."
Zeitgeist verflogen?
1996 trat Herzberg der Band wieder bei, die 1999 ihre Auflösung bekannt gab. 2004, 2006 und 2009 ging die Band dann jeweils auf Tour, zuletzt realisierte Herzberg an der Volksbühne in Berlin eine Fortsetzung seines Stückes "Hans im Glück". Der Band ist es nie wieder gelungen, den Zeitgeist so präzise zu spiegeln wie in den 80er-Jahren. "Man war sich in der DDR schnell einig im 'Wir da unten - Ihr da oben'", kommentiert Herzberg. "In der Antihaltung gegen Normierungen und Verbote konnte man sich leicht zusammenfinden. Schon wähnte man sich auf der gleichen Seite. Heute liegen die Dinge komplizierter, auch die Formen, sich zu äußern, sind sehr unterschiedlich. Die große Einigkeit gegen etwas gibt's so nicht mehr."