Wolfgang und André Herzberg über "Paule Panke"
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15. September 2015, 14:57 Uhr
Vor über 30 Jahren erblickte die Kunstfigur Paule Panke das Licht der DDR-Rockszene und verhalf der Band Pankow zu einem kometenhaften Aufstieg. Das erste Rockspektakel der DDR erreichte Kultstatus bei den Jugendlichen und trieb dem einen oder anderen Kulturfunktionär den kalten Schweiß auf die Stirn.
Die Kunstfigur Paule Panke sprach den DDR-Jugendlichen aus der Seele. Autor Wolfang Herzberg alias "Frauke Klauke" konfrontierte den Schlosserlehrling mit allem, was der real existierende Sozialismus für einen jungen Menschen bereit hielt. Mit Liedern wie dem "Frühstückswalzer", dem "Werkstattsong" oder "Nach der Arbeit" beschrieb Herzberg den Alltag eines jungen Menschen in der DDR so umfassend, das Paule zur Kultfigur wurde. Das erste Rockspektakel der DDR war geboren und machte die Band Pankow in der Rockszene fast unsterblich.
Pankow: Provokation für Ost und West
Anfang der 1980er-Jahre fanden sich die Mitglieder der ehemaligen Veronika Fischer Band "4 PS" mit dem noch jungen André Herzberg zusammen und gründeten die Band Pankow. Schon der Name war eine Provokation für Ost und West.
Weit mehr als der gleichnamige Berliner Stadtteil war der Name auch eine Anspielung auf den Begriff des "Pankow-Regimes", wie die DDR-Führung unter Wilhelm Pieck in den 1950er-Jahren abschätzig genannt wurde. Aber auch das zum Verwechseln ähnlich klingende Wort "Punk" soll bei der Namenfindung Pate gestanden haben. Dabei gründeten die erfahrenen Musiker mit dem Mittzwanziger Herzberg keine wirkliche Punkband, wie sie heute berichten.
Pankow war natürlich ein politisch besetzter Begriff. Wilhelm Pieck hat ja mal in dem Schlösschen hier residiert. Und dann Punk - obwohl das nie eine Punkband war. Nicht City, nicht Silly, sondern was irgendwie schon im Alltag verankert ist.
Dreigroschen-Rockoper
Mit dem jungen André Herzberg bekam Pankow nicht nur einen Sänger. Sein Bruder Wolfang alias "Frauke Klauke" wurde auch Texter der Band. Längst schon hatte er die Geschichte von Paule Panke in der Schublade liegen.
Bereits vor Pankow hatte er für die ehemalige "Gaukler Rock Band" seines kleinen Bruders geschrieben. Inszeniert wurde das Rockspektakel von der Band selbst.
Im Vordergrund stand Sänger André Herzberg, der den Paule gab. Die Bühne verwandelte sich mit wenigen Requisiten zum Schlafzimmer, zur Werkstatt oder zur Disko. In 13 Liedern beschrieb Pankow dabei einen ganzen Tag des Schlosserlehrlings. Von den Schwierigkeiten morgens aufzustehen über die Arbeit bis in Paules Freizeit reichten die treffenden Beschreibungen. Nach sechs Monaten Probe war die "Dreigroschen"-Rockoper fertig. Nur eine Hürde war für Pankow noch zu nehmen: die Abnahme durch die Kommission für Unterhaltungskunst.
Da waren die Augen auf der Kulturkommission und deren Chef. Seine Stellvertreter guckten zu ihm. Ihr Klatschen oder Nichtklatschen hing von seiner Reaktion ab. Und er hat dagesessen und sich nicht bewegt. Und dann, ich weiß nicht was in ihm vorging, nach einer Weile haben alle mit geklatscht.
Paule geht auf Tour
Paule war nun von offizieller Stelle genehmigt worden und durfte in den Kulturhäusern und Freilichtbühnen von Schwerin bis Suhl aufgeführt werden.
Das Rockspektakel wurde ein voller Erfolg für die Band und avancierte zum absoluten Geheimtipp unter den Jugendlichen. Mehrere hundert Mal wurde das Stück aufgeführt.
Das was ich von der Bühne aus wahrgenommen habe war offener Mund, Erstaunen und oft auch die Frage nach dem Konzert: Dürft ihr das? Haben Sie euch das erlaubt?
Die Geschichte von "Paule Panke - Ein Tag im Leben eines Schlosserlehrlings" sprach den Jugendlichen aus der Seele. Mit allen Nöten und Zwängen, auf Arbeit und auch zu Hause oder in der Disco. Noch nie wurde so treffend der Alltag der Jugendlichen beschrieben und als Gesamtwerk auf die Bühnen gebracht. Erste Produktionen im Studio, Aufnahmen für das Radio und Live-Mitschnitte folgten. Selbst eine Auszeichnung durch das Komitee für Unterhaltungskunst gab es für das Werk.
In den Beton der DDR-Kultur gekratzt
Was Paule zur Kultfigur und die Band fast unsterblich machte, trieb den Kulturfunktionären langsam den kalten Schweiß auf die Stirn. Bei so viel Zuspruch konnte es nicht mit rechten Dingen zu gehen und doch war das Stück von offizieller Seite genehmigt worden. Als Regisseur Heiner Carow die Verfilmung der Rockoper plante, wurden Paule Panke allmählich die Grenzen aufgezeigt.
Lediglich ein Dokumentarfilm über den Alltag von Jugendlichen, versehen mit den Liedern des Werkes, entstand. Viel wichtiger für eine Band war es aber Platten zu veröffentlichen, auch in der DDR. Trotz des großen Erfolges und Zuspruches, auch von offizieller Seite, blockte das staatliche Plattenlabel ab. Die Aufnahmen wurden nicht gepresst.
War das Projekt "Paule Panke" damit gescheitert? Die Band musste andere Wege gehen und taktieren. Gerade zwei Paule-Lieder schafften es auf die Debüt-LP, hinein gekratzt in den Beton der DDR-Kultur. Die Platte "Kille, Kille" erschien 1983 und die 110.000 Exemplare waren schnell vergriffen.
Die Selbstverständlichkeit, mit der es abgelehnt wurde, war auch klar. Das findet nicht statt. Das Verbot ist eine tiefe DDR-Erfahrung, da kannst du nichts machen, das ist wie Beton!
Rockspektakel setzt sich durch, erscheint aber nicht bei AMIGA
Der Widerstand gegen das Gesamtkunstwerk führte die Band zu nicht weniger kritischen Liedern. Die Popularität und damit auch der Druck auf die Funktionäre waren gleichzeitig auch ein Schutzraum für die Band. Viele legendäre Songs und Alben sollten noch bis Ende der 1980er- Jahre folgen. Mit einem weiteren Rockspektakel und einem Eklat um einen Auftritt im Westfernsehen zog Pankow die Aufmerksamkeit der Offiziellen nach wie vor auf sich. Paule Panke wurde weiterhin nicht veröffentlicht.
Selbst der Weg der Herzberg-Brüder trennte sich, noch bevor ihr gemeinsames großes Projekt 1989 in Vinyl verewigt werden sollte. Sicherlich wird auch ein Stück Paule in Pankow-Frontmann André Herzberg gewesen sein, als er Mitte der 1990er-Jahre zum 50jährigen Jubiläum dem ehemaligen Chefredakteur des staatlichen Plattenlabels in Berlin begegnete und sich für die lange Zeit der Verweigerung auf Paule-Panke-Art "bedankte".
Diskografie:
2011 "Neuer Tag in Pankow"
2011 "In Aufruhr, Die Anthologie" (best of)
2006 "Nur aus Spass"
2005 "Komm,Karlineken,Komm..." (best of)
2004 "Wieder auf der Straße" (live)
1999 "Rock'n'Roll im Stadtpark" (best of)
1997 "Am Rande vom Wahnsinn"
1996 "Paparazzia"
1995 "Wetten, Du willst" (best of)
1994 "Vierer Pack"
1991 "10 Jahre Pankow"(best of)
1989 "Paule Panke" (live)
1988 "Aufruhr in den Augen"
1986 "Keine Stars"
1984 "Hans im Glück" (live)
1983 "Kille Kille"