Gemüse aus eigenem Anbau DDR-Kleingärten: Parzellen des Glücks
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27. Juli 2024, 05:00 Uhr
Die Idee ist so alt wie die Industrialisierung. Seit dem 19. Jahrhundert decken Kleingärten den Eigenbedarf an Blumen, Gemüse und Obst, schaffen aber auch einen Raum der Ruhe und Erholung in den Städten. In der DDR hatten sie auch eine volkswirtschaftliche Bedeutung: Sie halfen, Versorgungslücken im staatlichen Einzelhandel zu schließen und boten einen guten Zuverdienst. Heute gibt es in Ostdeutschland fast eine halbe Million Parzellen – mehr als die Hälfte aller deutschen Kleingärten.
Die Ursprünge des Kleingartens
1864 wurden nach den Ideen des Arztes und Volkserziehers Daniel Gottlob Moritz Schreber in Leipzig Spielplätze mit Beeten für Kinder eingerichtet. Anfangs steht nicht das Gärtnern im Vordergrund, sondern vor allem gesundheitliche und erzieherische Aspekte – Kinder der ärmeren Bevölkerungsschichten sollen eine möglichkeit bekommen, an der frischen Luft zu sein, sich im Freien zu bewegen, aber auch etwas zu lernen.
Die Idee kommt gut an, wird aber weiterentwickelt, so dass schon bald die ersten Schrebergärten im heutigen Sinne entstehen und dann sogar ganze Gartenkolonien. So wie der in die Stadt abgewanderte Landbewohner sich im Kleingarten ein Stück seiner Identität bewahrt, inszeniert der Städter in seinem innerstädtischen Refugium eine Art Landleben.
40.000 Laubenkolonisten siedelten sich bereits zur Jahrhundertwende in Berlin und näherer Umgebung an. Ihre Gärten hatten besonders nach den beiden Weltkriegen eine immense Bedeutung bei der (Selbst-)Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung.
Der Kleingarten im Sozialismus
In den Anfängen der DDR begegneten die Machthaber Kleingärtnern mit einer gehörigen Portion Misstrauen. Ihre vermeintliche Kleinbürgerlichkeit und Spießigkeit glaubte man im Sozialismus überwunden zu haben. Die Kulturwissenschaftlerin Isolde Dietrich spricht von tief liegenden Ressentiments: "Das war schon ganz massiv. Kleingärtner sollten umerzogen werden, wurden sogar in besonderer Weise dafür verantwortlich gemacht, dass der Nationalsozialismus durchgekommen ist."
"Kollektivierung" im Schrebergarten
So versuchte die SED ganz bewusst, eine andere Art von Kleingartenkultur zu schaffen. Beim Aufbau von Stalinstadt, dem heutigen Eisenhüttenstadt, sollten gemeinschaftliche Obstreviere in einem "Zentrum der Gartenkultur" zusammengefasst werden. Ein Schlag gegen den Individualismus und eine Art "Kollektivierung der Landwirtschaft" zwischen Radieschen und Spalierobst. Versuche, eine Massenorganisation der Kleingärtner zu bilden, scheiterten zwischen 1952 und 1958 mehrfach.
Erst 1959 schwenkte die Parteilinie auf Tolerierung um und ließ die Gründung des "Verbandes der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter (VKSK)" zu – als eine Art Versorgungsagentur für Obst und Gemüse. Ab 1968 gab es im DDR-Fernsehen die Sendung "Du und dein Garten" mit Tipps für Hobbygärtner und Kleintierhalter, die schon bald zu den beliebtesten Sendungen der DDR gehörte.
Aber erst die wachsenden Versorgungsschwierigkeiten in den 1960er- und 1970er-Jahren führten endgültig zum Durchbruch der Kleingartenbewegung. 1976 beschloss die SED auf ihrem IX. Parteitag die Förderung der Kleingärten und ein Jahr später wurden auf Regierungsbeschluss hin überall in der Republik neue Kleingartenanlagen ausgewiesen. Die Parole auch des VKSK lautete fortan: "100 kg Obst auf 100 m² Kleingartenland". Rasenflächen wollte man nicht fördern, sondern Obst- und Gemüseanbau. Und weil die Partei die Bedeutung des Kleingärtners für die Versorgung der Republik anerkannt hatte, wurden diese Siedlungen von den Kommunen oft mit Strom versorgt. Es gab zum Teil sogar gemeinsame Trinkwasseranschlüsse.
Geschäfte, so krumm wie manche Gurke
Mit einem System von Ankaufstellen gelang es, die über den Eigenbedarf hinaus produzierten Früchte aus den Kleingärten in die Kaufhallen umzulenken, um so zumindest saisonweise den Bedarf an Gurken, Aprikosen oder Tomaten zu decken.
Nicht selten aber zeigte sich auch bei diesem Konkurrenzgeschäft zu den staatlichen Erzeugern die Schwäche der subventionierten Planwirtschaft. Um den Kleingärtnern das Geschäft schmackhaft zu machen, waren die Aufkaufpreise nämlich höher als die Einzelhandelspreise in den Geschäften. Findige Kleingärtner nutzten das oft aus: Sie verkauften ihre Ware hinten an der Annahmetheke teuer an den Staat, kassierten das Geld und kauften ihre eigene Ware vorn im Laden billiger wieder ein – um sie dann wieder zur Hintertür an die Annahmetheke zu bringen.
Legendär sind auch die Kleinviehzüchter, für die es manchmal billiger war, subventioniertes Brot zu verfüttern als unverarbeitetes Getreide. Andere leisteten ihren Beitrag zum Export ins kapitalistische Ausland. So landeten Wellensittiche aus der privaten Kleintierzucht der DDR oft im Westen. Wer exportierte, erhielt dafür Sonderkontingente an Tierfutter.
Dank und Anerkennung von Erich Honecker
Bei den letzten Kommunalwahlen im Mai 1989 trat der "Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter" mit eigenen Kandidaten an und errang knapp 3.000 Mandate. Erich Honecker fand entsprechend salbungsvolle Worte: "Ihre in liebevoller Freizeitarbeit über den eigenen Bedarf hinaus erzeugten Qualitätsprodukte, darunter bedeutende Mengen an Obst, Gemüse, Honig, Eiern, Kaninchen und Geflügelfleisch, finden die Anerkennung der Bevölkerung."
TV-Tipp
Der Artikel wurde 2011 erstmals veröffentlicht und 2024 überarbeitet.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | Die letzte Insel - Retten Kleingärten unseren Planeten? | 28. Juli 2024 | 22:00 Uhr