Klimawandel und Missernten DDR-Erfindung löst Dürre-Problem
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07. August 2022, 11:52 Uhr
Flüsse, die sich in Rinnsale verwandeln und Äcker, auf denen nur mickrige Pflanzen wachsen – solche Bilder sehen wir seit dem Hitze-Sommer 2018 jedes Jahr im Fernsehen. Das Wasserdefizit hält an. In Sachsen und Brandenburg ist die Schwarze Elster ausgetrocknet. Vielerorts darf kein Wasser mehr aus Bächen und Seen entnommen werden. Eine fast vergessene Einrichtung aus DDR-Zeiten könnte zumindest in der Landwirtschaft Abhilfe schaffen: ein Netz von kleinen Stauseen.
In der DDR wurden rund neun Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche beregnet. Dafür wurden mehr als 600 kleine Stauseen gebaut, um das Wasser für die angrenzenden Felder bereitzustellen. Der Freistaat Thüringen möchte nun rund 90 dieser so genannten Brauchwassertalsperren einsetzen.
Einer der Ersten, die wieder darauf zurückgreifen, ist Sylvio Kay. Er ist Geschäftsführer der Agra GmbH in Frohndorf. Die Genossenschaft ist auf Milchproduktion spezialisiert. 850 Kühe stehen in den Ställen, auf 1.200 Hektar Land wächst (unter anderem) ihr Futter: Luzerne, Feldgras und vor allem Mais. Denn Mais ist für Kühe in etwa das, was für uns Menschen Brot ist. Auf Kraftfutter in Form anderer Getreidesorten können die Tiere notfalls verzichten – so wie wir Menschen auf so manche Delikatesse verzichten können. Wenn es aber zu wenig Mais gibt, müssen Milchkühe hungern.
Trockenheit bis in tiefere Bodenschichten
Das könnte für Milchproduzenten wie Sylvio Kay und die 54 Beschäftigten bald zu einem ernsthaften Problem werden, wenn der Klimawandel weiter so rasant voranschreitet. Denn das Thüringer Becken, wo die Genossenschaft liegt, zählt von Haus aus zu den niederschlagsärmsten Gegenden in Deutschland. Durch den Klimawandel regnet es nun noch weniger. Das hat Landwirt Kay im vergangenen Jahr besonders zu spüren bekommen: "Wir hatten die schlechteste Ernte, seitdem ich in diesem Betrieb tätig bin, und das sind immerhin schon 14 Jahre." Die tieferen Bodenschichten seien ausgetrocknet, obwohl Frohndorf für seine lehmigen Böden bekannt ist, die Feuchtigkeit normalerweise lange speichern.
Wir hatten die schlechteste Ernte, seitdem ich in diesem Betrieb tätig bin, und das sind immerhin schon 14 Jahre.
Erfindergeist der DDR schafft Abhilfe
Beim Blick auf seine Maisfelder ist Kay deshalb froh, dass er 2016 in eine moderne Beregnungsanlage investiert hat. Die Idee an sich stammt noch aus DDR-Zeiten. Denn die DDR war insgesamt ein relativ regenarmes Land, wollte ihren Lebensmittelbedarf aber möglichst vollständig selbst decken, um keine Devisen dafür auf dem Weltmarkt ausgeben zu müssen. Fast neun Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche wurden beregnet – klingt nicht nach viel, ist es aber im Vergleich zu anderen Ländern.
Die LPGs hatten für die Beregnung eigene Beregnungsbrigaden, die im Sommerhalbjahr in zwei Schichten arbeiteten. In der LPG Frohndorf/Orlishausen waren das 25 Mann. Werner Tänzer, damals Chef der Brigade Melioration und Beregnung, erinnert sich, dass polnische Schüler und Studenten sogar aushelfen mussten. Die DDR zeigte sich bei der Beregnung von ihrer modernen Seite: Um die benötigte Wassermengen zu berechnen, wurde eine computergestützte Beregnungsberatung eingerichtet. Die LPGs mussten dafür die natürlichen Niederschläge übermitteln und ein zentrales Rechenzentrum rechnete aus, wieviel Wasser die einzelnen Kulturen bekommen sollen. Zweimal wöchentlich wurde die Empfehlung per Fax verschickt. 75 Prozent aller beregneten Flächen in der DDR waren an dieses System angeschlossen.
Das Wasser für die Beregnung kam aus mehr als 600 Brauchwassertalsperren, die in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren extra für die Landwirtschaft im Rahmen eines DDR-weiten staatlichen Programms gebaut wurden. Nach der Wiedervereinigung wurden sie jedoch nicht mehr genutzt – die Eigentumsverhältnisse waren unklar, sowohl bei den Talsperren selbst, als auch bei den unter den Feldern verlegten Wasserleitungen, die einst von mehreren LPGs gemeinsam gebaut worden waren.
Altbewährtes in Thüringen neu entdeckt
Nun sollen in Thüringen die etwa 90 Brauchwassertalsperren, die es im Freistaat gibt, wieder einer landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden. Die Agra GmbH aus Frohndorf ist einer der ersten landwirtschaftlichen Betriebe, die eine solche Kooperation geschlossen haben – für die nahegelegene Talsperre Frohndorf. Zu festgesetzten Zeiten nach vorheriger Bestellung durch den Betrieb wird die nötige Wassemenge in den Fluss Scherkonde abgelassen, aus dem es dann auf die Felder gepumpt werden kann. Eine fast 14 Kilometer Leitungen wurde dafür gebaut und zehn moderne Kreisberegner von der Agra GmbH angeschafft.
Die Durchschnittsjahre sind wärmer, die Sommerniederschläge werden unregelmäßiger. Und mit dem voranschreitenden Klimawandel wird es an einigen Standorten zunehmend schwieriger werden, gerade in trockenen Jahren eine vernünftige Produktion hinzubekommen.
Zukunftsweisende Idee?
Der Freistaat sucht jetzt nach Nachahmern, die eine der Brauchwassertalsperren übernehmen wollen, berichtet Markus Möller, der bei der landeseigenen Thüringer Fernwasserversorgung für das Projekt zuständig ist. Die oft 40 Jahre alten Talsperren würden zwar einiges an Instandsetzung erfordern, aber angesichts des fortschreitenden Klimawandels könnte es für viele Bauern eine gute Investition sein, sagt er. "Wir haben eine sehr ausgeprägte Frühsommertrockenheit an diesen Standorten, die es früher so nicht gab. Die Durchschnittsjahre sind wärmer, die Sommerniederschläge werden unregelmäßiger. Und mit dem voranschreitenden Klimawandel wird es an einigen Standorten zunehmend schwieriger werden, gerade in trockenen Jahren, eine vernünftige Produktion hinzubekommen." Moderne Beregnungsanlagen wie in Frohndorf lassen sich übrigens von nur einer einzigen Person bedienen – ganz anders als zu DDR-Zeiten.
Hitze und Dürre 2022: Waren die Sommer schon immer so heiß?
Auch wenn man "am Stammtisch" viele behaupten, die Sommer wären früher "schon immer" so heiß wie heute gewesen: Die Wetteraufzeichnungen, die bis ins Jahr 1881 zurückgehen, wiederlegen das ganz klar. In Hamburg wurden im Juli 2022 beispielsweise 40 Grad Celsius erreicht - ein Wert, der noch nie zuvor dort gemessen wurde. Die Wetterdaten zeigen klar: Der Juni 2022 war im Vergleich zum Klimamittel der Jahre 1961-1990 drei Grad wärmer. Der Juli 2022 war ungefähr 2 Grad wärmer als das o.g. Klimamittel.
Dürre ist die Folge dieser nie dagewesenen Hitzesommer. Denn im Juni 2022 sind nur 65 Prozent der üblichen Regenmenge gefallen, im Juli sogar nur 35 Prozent. Die Flusspegel fallen seit wochen und der Grundwasserspiegel sinkt. Die Schwarze Elster ist in Sachsen und Brandenburg auf Teilabschnitten ausgetrocknet. Und Besserung ist nicht in Sicht: Auch der August 2022 soll Prognosen zufolge heiß und trocken werden. Schlechte Zeiten für Landwirte und Kleingärtner.
(Der Artikel wurde erstmals im September 2020 veröffentlicht und 2022 um aktuelle Wetterdaten ergänzt.)