Montag, 13.11.2023: Vergeben können
Der Hinterhalt war gut gewählt. Im Schutz einer Schlehenhecke warteten wir, bis unsere Erzfeinde Knülling und Büsebrink sich arglos die Straße entlang näherten. Dann eröffneten wir das Feuer. Mit den Wildäpfeln, die hier in Hülle und Fülle am Boden herumlagen, zielten wir auf unsere Gegner und so mancher Wurf traf. Die Schlacht dauerte nicht lange. Dann zogen die Gegner geschlagen ab. Wir Jungen feierten unseren Sieg. Doch die Freude währte nur kurz. Es dauerte keine drei Tage, bis der Anführer unserer Gruppe sein Fahrrad vermisste. Es wiederzufinden, war nicht allzu schwer. Auf dem nahen Spielplatz hatten wir es schnell entdeckt.
Das Problem: Es war mit einem fremden Zahlenschloss oben an der Querlatte der Schaukel aufgehängt worden. Wir schäumten vor Wut. Das rief nach Rache. Da wir es mit den deutlich älteren Gegnern nicht direkt aufnehmen konnten, zogen wir den großen Bruder eines Freundes hinzu, um unserer berechtigten Forderung nach Öffnen des Schlosses und Herausgabe des Fahrrads Nachdruck zu verleihen. Dessen Anwesenheit und der Umstand, dass er ihnen einige Backpfeifen androhte, halfen ungemein, dass Knülling und Büsebrink schließlich das Zahlenschloss öffneten und unserem Anführer sein Fahrrad zähneknirschend zurückgaben. Dann trollten sie sich von dannen. Allerdings nicht, ohne uns noch einmal darauf hinzuweisen, dass sie sich schon darauf freuten, uns beim nächsten Mal wieder ohne unseren großen Beschützer anzutreffen.
Zugegeben. Das ist nur eine Kindheitserinnerung. Allerdings: Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt, von Aggression und Rache war auch uns vertraut. Ein Dilemma, vor dem, wie mir scheint, auch die Großen dieser Welt nicht gefeit sind.
"Auge um Auge - und die ganze Welt wird blind sein." So hat es Mahatma Gandhi formuliert, der friedliche Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung. Verzeihen können. Vergeben. Eine Aufforderung an jeden von uns, die so unglaublich schwerfällt. Doch ohne die unser Leben weniger lebenswert ist.
Auge um Auge - und die ganze Welt wird blind sein. Ich denke, jeder von uns findet in seinem Alltag genug Gelegenheiten, selbst zu entscheiden, ob es dazu kommen muss.
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