Mittwoch, 12.06.2024: Mein Tagebuch
"Schau mal, wo wir vor einem Jahr waren." Meine Ehefrau hält mir ihr Smartphone unter die Nase. Ich sehe ein Bild und erinnere mich. Urlaub. Freunde. Enkel. Ein schöner Tag. Mein Gott, ist das lang her, denke ich.
War das wirklich erst letztes Jahr? Gut, dass es diese automatische Erinnerung gibt. Leider rauscht auch sie dann einfach an einem vorbei wie so Vieles. Heute ist der Tag des Tagebuchs. Ich weiß gar nicht, wie viele das noch kennen.
Ein Tagebuch zu führen, ist eine aufwendige Sache. Ich muss mir Zeit nehmen, einmal am Tag die für mich wichtigen Erfahrungen und Ereignissen mir vor Augen zu halten und meine Eindrücke und Gefühle in Sätze zu formulieren. Das geschieht nicht nebenbei wie bei einem schnellen Selfie, sondern braucht Ruhe.
Es entstehen Bilder durch Worte. In einem Tagebuch landen auch nicht nur die schönen Erinnerungen - wie es bei Fotos oft der Fall ist - nein, auch den traurigen und ärgerlichen Momenten wird Raum gegeben. Nicht wenige Tagebücher lassen auf manchen Seiten getrocknete Tränen erkennen. Deshalb sind die Bücher auch sehr privat. Niemand soll sie lesen.
Der Inhalt ist das Geheimnis des Verfassers. Zuweilen wir dieses Buch zu einem Gesprächspartner: "Mein liebes Tagebuch" beginnen manche ihre Eintragungen. Das klingt fast schon intim. Manches wird nur dem Tagebuch gesagt. Wenn dann doch jemand unerlaubt drin liest, ist das eine schwere Verletzung der Intimsphäre.
Ich gebe zu, ich hatte nie ein Tagebuch. Aber das Innehalten war mir immer wichtig. Eine Zeit zu haben, wo ich frage, was habe ich erlebt, was ist passiert? Warum habe ich mich so geärgert? Warum war das so schön? Eine solche Zeit ist wichtig. Modern nennt man das Selbstreflektion. Für mich ist es Gebet, Gespräch mit Gott. Auch da gibt es Gedanken, die ich nur ihm sage. Er lässt mich damit nicht allein.