Dienstag, 27.06.2023: Triggerwarnung
Immer öfter liest man in sozialen oder anderen Medien das Wort "Triggerwarnung". "Trigger" ist englisch und bedeutet Auslöser. In der Psychologie meint der Begriff, dass eine oft profan wirkende Situation negative Gefühle in uns hervorrufen kann. Die Warnung davor meint, dass ich selbst entscheiden soll, ob ich mir den folgenden Inhalt antuen möchte. Wenn ich zum Beispiel aufgrund einer schlimmen Erfahrung kein Blut sehen mag, kann es hilfreich sein, wenn vor einem Beitrag über blutige Ereignisse gewarnt wird.
Es ist gut, dass eine Gesellschaft sensibel ist für individuelle Verletzungen. Und es ist auch gut, wenn nicht von jedem Mensch erwartet wird, dass er "stark sein muss" oder sie sich "zusammenreißen soll"; so wie das von früheren Generationen oft gefordert wurde. Schützen aber können wir uns nicht vor allem. Denn wo fängt man an, wo hört das auf? Müsste nicht jeder Nachrichtensendung eine Dauertriggerwarnungsschleife vorausgehen vor Gewalt und Gesetzlosigkeit, Hass und Hunger, Blut und Betrug? Kann nicht jedes Kollegenfrühstück Trauer hervorrufen, weil eine Mitarbeiterin anders als die anderen eben keine Kinder hat, mit denen sie sonntags im Zoo war? Ist nicht an jeder Kirchentür eine Warnung vonnöten, immerhin hängt da ein ermordeter Mensch symbolhaft an einem Kreuz? Und kann die Triggerwarnung "Achtung Blut" nicht selbst schon das dahinterliegende Trauma (auch so ein Trendwort) hervorrufen?
Leben geht, Gott sei's geklagt, immer mit individuellen Verletzungen einher. Alle, die bislang von größeren verschont geblieben sind, sollten dankbar dafür sein. Wichtig ist, eine Resilienz (ein drittes Trendwort) zu entwickeln, um mit unseren Narben leben zu können. Mir hilft dabei mein christlicher Glaube. Gemeinsam mit den Betern der tausende Jahre alten Psalmen bringe ich vor Gott alle Trauer und Trigger, alle Träume und Traumata. Und vertraue darauf, dass Gott es wohl machen und manches heilen wird. So naiv und untrendig das vielleicht auch klingen mag.
Montag, 26.06.2023: Gottesdienst
Gehen Sie sonntags in den Gottesdienst? Ich nicht immer, aber wenn, dann zumeist gern. Oft bin ich dabei selbst dienstlich involviert oder besuche Abendgottesdienste. Manchmal bin ich auch neugierig, wie andere Gemeinden ihre Gottesdienste feiern und gehe in Kirchen, die ich noch nicht kenne.
Unlängst wollte ich in einem mir bislang fremden Gotteshaus den Sonntagsgottesdienst besuchen. Meine Begleitung und ich waren spät dran und gingen mit dem Glockenläuten hinein. Dafür musste man an einer Aufsicht vorbei und eine schwere Holztür öffnen. Dann stand man vorn neben dem Altarplatz, denn die einzige offene Tür ließ die Menschen von vorn in die Kirche hineintreten. Das heißt, dass alle bereits anwesenden Augen auf die Hinzukommenden blickten. Kein schönes Erlebnis wenn man fremd ist und sich auch so fühlt.
Ich jedenfalls bin in einem unbekannten Kirchgebäude am liebsten für mich, sitze irgendwo hinten und versuche mich in den Ort und das Geschehen hineinzufühlen. Hier aber war das nicht möglich, auf Schritt und Tritt gab’s Beobachtung. Darum habe ich mich hinter eine Säule gestellt, bis mir bedeutet wurde, dass ich mich hinsetzen solle. Von oben kam zeitlos klassische Orgelmusik, von vorn ein salbungsreicher Sermon des Ortsgeistlichen, von überall schauten die Leute.
Gewiss begann für die Gemeinde gerade ein segensreiches geistliches Ereignis. Für mich aber nicht, ich wollte wieder hinaus, ich ging zur Seitentür – und die war geschlossen. Ich schaute nach hinten – auch die Tür sah zu aus. Es half also nichts, ich musste dort hinaus, wo ich reinkam, also vorn, vorbei am Altarplatz. Jedoch, was stand an dieser einzigen vermeintlich offenen Tür? „Kein Ausgang“. Weil es aber einen Ausgang aus einem (für mich) unpassenden Gottes-Dienst geben musste, öffnete ich illegal das schwere Tor, ging vorbei an der Aufsicht und hinaus ins Freie. Durchatmen.
Nun kenne ich viele Bemühungen christlicher Glaubensgeschwister, damit Leute möglichst ohne physische und psychische Barrieren in Gottesdienste hineinkommen. Jetzt weiß ich, dass es auch wichtig ist, niedrigschwellig wieder hinauszukönnen. Manchmal passt es einfach nicht.