Dienstags direkt | 21.01.2025 | 20-23 Uhr Bürgergeld: Brauchen wir eine Reform der Reform?
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Als vor gut zwei Jahren das Hartz-IV-System vom Bürgergeld abgelöst wurde, sollte das auch dafür sorgen, Transferleistungen in ein positiveres Licht zu rücken. Es sollte weniger gefordert und besser gefördert werden. Es ging darum, nicht nur die Existenz zu sichern, sondern den Weg zurück ins Berufsleben erleichtern. Soziale Teilhabe verbessern - ohne Stigmatisierung. Angepriesen als größte Sozialreform der Geschichte, fragen wir: Welche Ziele wurden erreicht, welche nicht, und braucht die Reform schon wieder eine Reform?
Diese Gäste sind live bei Dienstags direkt im Gespräch:
Alle Menschen in Notsituationen brauchen Solidarität, soziale Sicherheit und einen verlässlichen Schutz vor Armut - dafür brauchen wir eine echte menschenwürdige Grundsicherung.
- Dr. Dietrich Engels | Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH
Ein moderner Sozialstaat sichert für jeden das soziokulturelle Existenzminimum, damit niemand wegen Armut aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt wird.
Was wir gern vergessen: Wirtschaft und Arbeit sind die Grundlagen unseres Wohlstandes und genau der implodiert gerade. Das alte Prinzip 'Fordern und Fördern' gilt nicht mehr, aber damit Deutschland nicht vollends unter die Räder kommt, muss das Bürgergeld abgeschafft werden.
Lohnt sich Arbeit noch?
Wenn über diese Frage diskutiert wird, dann schwingt häufig gegenüber Bürgergeld-Empfängern der Generalverdacht der Faulheit mit.
Warum sollten Menschen die "soziale Hängematte" verlassen wollen, wenn sie als Berufstätige - gerade im Niedriglohnsektor - am Ende des Monats nur etwas Geld mehr in der Tasche haben als mit der Grundsicherung? Wie steht es um das sogenannte Lohnabstandsgebot, also dem Unterschied zwischen Nichterwerbstätigen und Erwerbstätigen beim verfügbaren Einkommen?
Das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Ifo-Instituts untersucht. Sie haben typische Haushalte in einer Einkommenstabelle abgebildet (Single, Alleinerziehend, Doppelverdiener mit Kind usw.) und diese mit Transferleistungsbezug in Arbeitslosigkeit verglichen. Auch die durchschnittlichen Mietkosten und andere Faktoren wurden einbezogen.
Heraus kam, dass zwar das Lohnabstandsgebot erfüllt ist: Wer zum Mindestlohn arbeitet hat mehr Geld zur Verfügung als bei reinem Sozialleistungsbezug. Allerdings lohnt es sich kaum, mehr oder höher qualifiziert zu arbeiten. Das höhere Einkommen wird mit den Transferleistungen verrechnet.
Der Studie zufolge haben Alleinerziehende mit durchschnittlichen Mietkosten, wenn sie statt 2.000 Euro brutto nun 3.000 Euro monatlich bekommen, am Ende nur 59 Euro mehr im Portemonnaie. Solche Fälle lassen sich für diverse Haushaltskonstellationen berechnen.
Menschen fehlt Perspektive und Würde
Pfarrer Bernd Siggelkow ist bekannt als Gründer der Kinderhilfsorganisation "Arche". Die ist längst weit über den Ursprungsort Berlin hinaus aktiv: Derzeit sind es 32 Standorte in ganz Deutschland. Auch in Dresden, Meißen und Leipzig gibt es Einrichtungen. Kinder sollen in der Arche neben Essen, Spielangeboten und Lernhilfen vor allem das Vertrauen in sich und andere Menschen finden.
Was den Kindern fehle, seien Vorbilder, sagt Siggelkow. Oft lebten die Eltern in Umständen, die es ihnen schwer mache, Vorbilder zu sein. Frage er die Kinder nach ihrem Berufswunsch komme zumeist: Influencer, Arche-Mitarbeiter oder Bürgergeldbezieher. Seiner Meinung nach müsse in der Bildung, der Verwaltung oder auch in der Arbeitswelt vieles anders und kindgerechter organisiert werden. Ausführlich beschreibt er das im Buch "Das Verbrechen an unseren Kindern" mit Wolfgang Büscher.
Einfach ließe sich z.B. umzusetzen, dass sogenannte "Aufstocker", d.h. also Menschen, die mit ihrer Arbeit so wenig verdienen, dass das Existenzminimum nur über zusätzliche Sozialleistungen erreicht wird, dafür nicht "auf's Amt" müssen. Das Geld könnte über die Arbeitgeber mit dem Lohn ausgezahlt werden. Die alleinerziehende Mutter hätte dadurch mehr Zeit für ihr Kind. Außerdem mache es etwas mit den Menschen, wenn sie trotz Arbeit immer wieder zum Bittsteller würden.
Neuer Name, alte Probleme
Als Helena Steinhaus 2015 den Verein "Sanktionsfrei e.V." gründete, hatte sie die Idee, Hartz IV den Schrecken zu nehmen. Empfängerinnen und Empfänger sollten keine Angst haben müssen, in Armut zu versinken, wenn ein Teil der Bezüge gestrichen wird. Der Verein schießt auf Antrag das fehlende Geld nach und unterstützt auch bei Einsprüchen.
Mit der Sozialreform war Hartz IV zwar Geschichte, aus Sicht des Vereins hat sich durch das Bürgergeld aber wenig geändert. Auf der Internetseite vom Sanktionsfrei e.V. steht: "... unsere Arbeit bleibt im Kern dieselbe. Es wird weiter sanktioniert, der Regelbedarf ist auch mit Bürgergeld viel zu niedrig... Fehler und behördliche Willkür passieren in Jobcentern weiterhin."
Steinhaus sagt, die überwiegende Mehrheit derer, die Bürgergeld erhalten, seien aus verschiedenen Gründen gar nicht in der Lage zu arbeiten. Dass sie von der Gesellschaft geschmäht und ausgegrenzt werden, bezeichnet sie als "krass".
Die Interviewpartner sind:
- Helena Steinhaus | Gründerin "Sanktionsfrei e.V."
- Bernd Siggelkow | Gründer & Leiter "Arche"
- Lilly Fischer | Volkswirtin am ifo Institut
Redaktion & Moderation:
Leitung: Ines Meinhardt