Eine Frau hält ein Portemonnaie in der Hand, in dem Geldscheine stecken.
Wer sollte Bürgergeld beziehen dürfen und wie viel? Die Debatte darüber ist komplex. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Monika Skolimowska

MDRfragt Bürgergeld: Vier von Fünf würden Regelungen und Sanktionen verschärfen

03. Januar 2025, 03:00 Uhr

81 Prozent der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer würden die Regelungen dafür, wer Bürgergeld erhält und die Sanktionen für abgelehnte Arbeitsangebote verschärfen. Vor allem die älteren Befragten teilen diese Forderung. Zugleich spricht sich die Mehrheit auch für eine zeitliche Begrenzung des Bürgergeldes aus. Das zeigt das aktuelle MDRfragt-Stimmungsbild aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit fast 25.000 Befragten.

MDR-Redakteurin Anna Siebenhaar
MDR-Redakteurin Anna Siebenhaar Bildrechte: MDR / David Sievers

Nachdem das Bürgergeld im vergangenen Jahr deutlich gestiegen ist, wird es in diesem Jahr keine Erhöhung geben. Darüber hinaus könnte die neue Bundesregierung, welche voraussichtlich am 23. Februar gewählt wird, das Bürgergeld als Grundsicherung auf den Prüfstand stellen. Vor allem die Fragen, wer Bürgergeld beziehen kann und inwiefern abgelehnte Arbeitsangebote sanktioniert werden, könnten hierbei im Fokus stehen.

In der MDRfragt-Gemeinschaft fällt die Antwort auf beide Fragen recht eindeutig aus: 81 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, sowohl die Festlegungen dafür, wer Bürgergeld erhalten kann, als auch die Sanktionen zu verschärfen. Nur 10 Prozent würden den aktuellen Status Quo beibehalten und 4 Prozent fordern eine Lockerung.

MDRfragt - Regelungen für Bürgergeld
Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Wenngleich die Forderung nach verschärften Bürgergeld-Regelungen und Sanktionen in allen Altersgruppen mehrheitlich geteilt wird, zeigt sich, dass diese mit zunehmendem Alter der Befragten noch einmal stärker befürwortet wird.

MDRfragt - Forderung „Bürgergeld-Regelungen verschärfen“
Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Wer soll Bürgergeld beziehen dürfen?

Der Blick in die Kommentare der Befragten zeigt eines deutlich: Hinter dem Zuspruch für verschärfte Regelungen verbirgt sich oft der Wunsch nach einer strengeren Festlegung, wer Bürgergeld beziehen darf und wer nicht.

MDRfragt-Mitglied Franziska (70) aus Chemnitz ist zum Beispiel der Meinung, dass Bürgergeld nur diejenigen Menschen erhalten sollten, "die irgendwann in die Sozialkassen eingezahlt haben". Des Weiteren kommentiert Joachim (83) aus dem Landkreis Stendal: "Bürgergeld sollten nur die bekommen, die nicht arbeiten können. Alle anderen sollten in den Arbeitsmarkt vermittelt werden." Darüber hinaus würde er Personen, die nicht in den Arbeitsmarkt vermittelt werden können, zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten. Dem schließt sich auch Thomas (51) aus dem Wartburgkreis an und teilt eine Ansicht, die immer wieder in den Kommentaren auftaucht: "Wer sich trotz Arbeitsfähigkeit dem Arbeitsmarkt entzieht, sollte nicht belohnt werden."

Wer sich trotz Arbeitsfähigkeit dem Arbeitsmarkt entzieht, sollte nicht belohnt werden.

MDRfragt-Mitglied Thomas (51) aus dem Wartburgkreis

Nicht wenige Befragte gehen davon aus, dass zahlreiche Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger die Leistung zu Unrecht erhalten, da sie eigentlich arbeiten könnten. Auch der Kommentar von MDRfragt-Mitglied Ida (30) aus dem Burgenlandkreis spiegelt diesen Eindruck wider. Sie schreibt: "Manchmal denke ich, Bürgergeld-Empfänger sollten eine Karte bekommen, wovon sie nur das Nötigste bezahlen können."

Bürgergeld als Kampfbegriff

Andere MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer hingegen kritisieren die in ihren Augen einseitige Darstellung zahlreicher Bürgergeld-Empfängerinnen und Empfänger als "arbeitsunwillig".

Auch Yasmina (20) aus dem Salzlandkreis lehnt diese "klischeehaften Äußerungen und Bemerkungen gegenüber Bürgergeld-Beziehern" ab und berichtet aus ihrer eigenen Erfahrung. Sie kommentiert: "In meinem sozialen Umfeld kenne ich einige Menschen, die Bürgergeld beziehen. Sie wollen so gern arbeiten gehen, aber kein Unternehmen möchte sie einstellen. Sie beziehen aktuell Bürgergeld, weil sie gesundheitliche Einschränkungen haben und sie nicht jeder Arbeitgeber haben möchte." Aus ihrer Sicht ist Faulheit nur einer vieler Gründe, der nicht auf alle übertragen werden sollte.

Es wird Stimmung gegen die Verlierer unserer Gesellschaft betrieben, weil einige Wenige diese Absicherung ausnutzen!

MDRfragt-Mitglied Nico (33) aus dem Landkreis Leipzig

Nico (33) aus dem Landkreis Leipzig sieht das ähnlich und fasst die Kritik Vieler so zusammen: "Es wird Stimmung gegen die Verlierer unserer Gesellschaft betrieben, weil einige Wenige diese Absicherung ausnutzen!"

Dem schließt sich Patrick (32) aus dem Unstrut-Hainich-Kreis an und kommentiert: "Das Kernproblem ist die mangelnde Differenzierung zwischen denjenigen, die nicht arbeiten wollen und denjenigen, die nicht können. Bei Ersteren sind Kürzungen absolut zumutbar, bei Zweiteren hingegen kommt es einer doppelten Bestrafung gleich."

Dabei greift Patrick eine Sichtweise auf, die immer wieder geteilt wird. Denn in einem Punkt herrscht oftmals Einigkeit: Wer Bürgergeld erhalten darf, der soll davon auch leben können. MDRfragt-Mitglied Jörg (72) aus dem Landkreis Bautzen formuliert es abschließend so: "Wer das Bürgergeld wirklich benötigt, sollte auch so viel bekommen, dass er menschenwürdig leben kann."

Mehrheit wertet Bürgergeld-Regelsatz als zu hoch

Doch über welchen Betrag sprechen wir eigentlich? Eine alleinstehende Person, die auf Bürgergeld angewiesen ist, bekommt derzeit einen Regelsatz von 563 Euro. Bei Bedarfsgemeinschaften ist es je Partner etwas weniger.

Die Mehrheit der Befragten wertet diesen aktuellen Bürgergeld-Regelsatz als zu hoch. Gut ein Viertel hält ihn hingegen für angemessen und jeder Zehnte wiederum für zu niedrig.

MDRfragt - Bewertung Höhe Bürgergeld
Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Wir haben diese Frage bereits im November 2023 gestellt. Damals betrug der Regelbedarf für eine Person mit 502 Euro pro Monat noch deutlich weniger. Dennoch hielt auch damals die Mehrheit der Befragten diesen Betrag für zu hoch.

Lohnt sich Arbeit noch?

In den Kommentaren erläutern viele MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer, warum sie den aktuellen Betrag für zu hoch oder zu niedrig halten. Ein Aspekt taucht dabei immer wieder auf: die als gering empfundene Differenz zwischen dem Bürgergeld und niedrigen Löhnen.

So meint zum Beispiel Rüdiger (69) aus dem Harz: "Verglichen mit den Löhnen hier im Osten ist es definitiv zu hoch, arbeiten lohnt nicht. Ich kenne Arbeitskollegen, die haben nur wenig mehr und müssen dann noch mit dem Auto fahren." MDRfragt-Mitglied Dirk (57) aus Leipzig hält grundsätzlich den "Abstand zum Mindestlohn" für zu gering. Auch Roland meint: "Die Löhne der Geringverdiener sind zu niedrig, im Verhältnis zum Bürgergeld." Aus seiner Sicht werden durch diese Debatte letztendlich "die kleinen Leute gegenseitig aufgehetzt".

Arbeit muss sich lohnen

MDRfragt-Mitglied Christine (73) aus dem Vogtlandkreis

Christine (73) aus dem Vogtlandkreis fordert im Umkehrschluss: "Arbeit muss sich lohnen" und merkt an, dass zum Bürgergeld oftmals noch weitere Nebenleistungen, wie die Miete oder der Strom, ausgezahlt werden. Diese zusätzlichen Nebenleistungen stoßen nicht selten auf Kritik. Doch warum? Wie auch Gabriele (60) aus Saalfeld-Rudolstadt befürchten einige MDRfragt-Mitglieder, dass dadurch "kein Ansporn zu arbeiten" mehr besteht.

Eva (32) aus dem Landkreis Stendal sieht das hingegen völlig anders. Sie kann sich nicht vorstellen, "dass 563 Euro (auch, wenn Miete und Strom zusätzlich übernommen werden) zum Leben ausreichen".

MDRfragt-Mitglied Katja (50) aus dem Landkreis Greiz teilt diese Einschätzung. Ihrer Meinung nach sollten die Nebenleistungen nicht zur Debatte stehen und möglicherweise gekürzt werden, "denn damit trifft man ja auch die Familien und Kinder der Betroffenen".

Welche Rolle spielen niedrige Löhne?

Grundsätzlich betrachtet Stefan (27) aus Halle das Bürgergeld als Existenzminimum und schreibt: "Wenn die Differenz zum Lohn für Vollzeitarbeit zu gering ist, dann ist nicht das Bürgergeld zu hoch, sondern der Lohn zu niedrig."

Darüber hinaus hält David (57) aus Dresden den aktuellen Bürgergeld-Regelsatz an sich für zu niedrig, denn seiner Meinung nach soll das Bürgergeld "nicht nur die nötigsten Kosten decken, es soll auch eine soziale Teilhabe ermöglichen."

Auch Jürgen (60) aus Weimar denkt, dass eine "Teilhabe an der Gesellschaft" mit dem Bürgergeld schlichtweg nicht möglich ist. Marco (37) aus dem Landkreis Meißen ist ähnlicher Meinung und geht in seiner Kritik noch einen Schritt weiter. Er schreibt: "Die Politik rechnet den Bedarf künstlich klein. Jedem steht ein menschenwürdiges Leben zu, auch denen, die keine Arbeit haben und das Bürgergeld ist noch viel zu gering, um die Menschenwürde zu wahren." Daran anschließend kommentiert Andrea (63) aus dem Salzlandkreis: "Es reicht doch nur zum Überleben."

Es reicht doch nur zum Überleben.

MDRfragt-Mitglied Andrea (63) aus dem Salzlandkreis

Reicht es wirklich nur zum Überleben? Einige Befragte beziehen selbst Bürgergeld und teilen ihre Erfahrungen damit in den Kommentaren.

Wir verzichten an dieser Stelle darauf, die Namen der Befragten zu nennen.

Erfahrungsberichte von Bürgergeldempfängerinnen und -empfängern

Ein MDRfragt-Teilnehmer (62) aus dem Vogtlandkreis kommentiert zum Beispiel: "Wer das Bürgergeld als zu hoch einschätzt, der hat noch nicht davon leben müssen – so wie ich. Es wird vergessen, dass man außer der Miete alles davon abdecken muss. Nicht alle medizinisch notwendigen Pillen zum Beispiel bezahlt die Krankenkasse. Allein die machen bei mir 70 Euro im Monat aus. Man sollte sich erst erkundigen, dann denken und dann reden!"

Eine weitere MDRfragt-Teilnehmerin (34) aus Leipzig sieht das ähnlich und erzählt: "Gerade bei uns reicht das Geld dann oft nicht für eine ordentliche Ernährung. Schulden lassen sich nur wenig abbezahlen. [...] Die Bearbeitung von Anträgen dauert ewig. Auch für meinen Sohn ist die Armut echt schlimm und trägt nicht zu einer Chancengleichheit bei, sondern eher zur Diskriminierung. Wenn man krank ist, muss man Wege zum Arzt oder Heilmittel selber zahlen, das ist kaum möglich und oft gar nicht. So verringert sich immer mehr die Aufnahme einer Arbeit, da Krankheiten nicht behandelt werden."

Gerade bei uns reicht das Geld dann oft nicht für eine ordentliche Ernährung.

MDRfragt-Teilnehmerin (34) aus Leipzig

Viele Betroffene schildern, dass das Bürgergeld kaum ausreicht, wenn man gesundheitlich eingeschränkt ist und auch diejenigen, welche das Bürgergeld als ausreichend empfinden, müssen mitunter Abstriche machen.

So schreibt ein MDRfragt-Teilnehmer aus Gotha (43): "Ich lebe selbst von Bürgergeld und es ist genug. Aber zum selbstbestimmten Leben ist es nicht ausreichend, da jenseits der Notwendigkeiten nur geringste Auslagen möglich sind."

Insgesamt scheint vielen Befragten die Situation der Betroffenen jedoch durchaus bewusst zu sein. Stellvertretend für einige, die selbst kein Bürgergeld beziehen, fasst Christian (40) aus dem Vogtlandkreis die daraus resultierende Kritik am Bürgergeld so zusammen: "Wenn manche dafür mit arbeiten aufhören und andere davon nicht leben können, dann ist nicht die Höhe, sondern die Berechnung falsch."

Jeder Zweite hält zeitliche Begrenzung des Bürgergeldes für sinnvoll

Unabhängig von der Debatte über die Höhe des Bürgergeldes, sind sich viele Befragte darin einige, dass diejenigen, welche arbeiten können und wollen, dies auch tun sollten. Doch welche Maßnahmen könnte die Politik ergreifen, um mehr Bürgergeld-Empfängerinnen und Empfänger in Arbeit zu bringen?

Auch hier stößt die Verschärfung von Sanktionen, beispielsweise bei Ablehnung eines zumutbaren Jobangebots, auf großen Zuspruch bei den Befragten. Zugleich spricht sich jeweils eine Mehrheit für die zeitliche Begrenzung des Bürgergeldes sowie die verbesserte Anerkennung ausländischer Ausbildungsabschlüsse und die Streichung oder Verringerung von Nebenleistungen aus.

Darüber hinaus halten zwei Fünftel der Befragten die grundsätzliche Kürzung des Bürgergeldes für eine sinnvolle Maßnahme, um mehr Menschen in Arbeit zu bringen.

MDRfragt - Politische Maßnahmen um Bürgergeldempfänger in Arbeit zu bringen
Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Wenngleich härtere Sanktionsmaßnahmen den größten Zuspruch erfahren, werden diese in den Kommentaren der Befragten auch kritisiert. So ist Michael (55) aus Magdeburg der Meinung, "Sanktionsmaßnahmen führen nicht dazu, dass Menschen motiviert und produktiv in Arbeit gehen". Aus seiner Sicht sollte "die Motivation gefördert und die Qualifizierung erhöht werden".

MDRfragt-Mitglied Gerlinde (66) aus dem Landkreis Stendal hält zudem eine zeitliche Begrenzung des Bürgergeldes für sinnvoll und denkt, dass sich dann "mehr Menschen um Arbeit bemühen".

Auch Carsten (43) aus dem Harz würde "gar keine Sanktionen verhängen, da sie zu aufwändig und bürokratisch sind". Stattdessen schlägt er folgendes vor: "Ich würde das Bürgergeld nur maximal fünf Jahre auszahlen, danach gibt's gar nichts mehr. In den fünf Jahren hat derjenige Zeit, mit Hilfe des Jobcenters eine Arbeit zu suchen und sich gegebenenfalls zu qualifizieren. Wenn jemand nicht arbeiten kann, so muss das der Amtsarzt feststellen."


Über diese Befragung Die Befragung vom 22. bis 26. November 2024 stand unter der Überschrift: "Wie weiter mit dem Bürgergeld?".

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.

Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 24.823 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.

MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell TV | 03. Januar 2025 | 21:45 Uhr