Fragen & Antworten Wer sind Jehovas Zeugen und wie leben sie?
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15. Oktober 2024, 04:00 Uhr
Die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas - in Deutschland Jehovas Zeugen K.d.ö.R. - gibt es schon seit über 150 Jahren und hat heute weltweit mehr als acht Millionen Mitglieder. Während der NS-Diktatur und zu DDR-Zeiten war sie Repressalien und Verfolgung ausgesetzt. Was sie glauben, wie sie leben und ihre Geschichte, erfahren sie hier.
Inhalt des Artikels:
Was sind die Zeugen Jehovas?
Jehovas Zeugen sind eine christliche Gemeinschaft mit einer eigenen Auslegung der Bibel. Die Anhänger glauben an Jehova als "allmächtigen Gott und Schöpfer". Sie sind davon überzeugt, dass das irdische Weltende bevorsteht, vor dem auserwählte Gläubige gerettet werden.
Die Glaubensgemeinschaft verspricht ihren Mitgliedern Stabilität, Identität und Zusammenhalt, erwartet aber auch die Einhaltung strenger Regeln und Gebote.
Gegründet wurde die Gemeinschaft im 19. Jahrhundert in den USA. Sie hat weltweit etwa 8,5 Millionen Mitglieder, in Deutschland sind es etwa 170.000.
Die Welt-Zentrale der Gemeinschaft sitzt in Brooklyn/ New York, die deutsche in Selters im Taunus. Die weltweite Organisation finanziert sich aus Spenden.
Seit 2017 ist die Religionsgemeinschaft in allen deutschen Bundesländern als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt. Damit könnte sie Kirchensteuern erheben, kirchliche Beamte beschäftigen oder Stiftungen gründen. Mit dem Status des K.d.ö.R. sind Jehovas Zeugen von der Pflicht zur Entrichtung von Körperschafts-, Vermögens- und Grundsteuer entbunden.
Was ist die Geschichte der Zeugen Jehovas?
Charles T. Russell, Sohn eines Tuchwarenhändlers aus Pennsylvania, ist der Gründer und erste Präsident von Jehovas Zeugen. Seine Eltern waren Anhänger der Presbyterianer, einer evangelisch-reformierten Kirche, von der sich Russell enttäuscht abwendet.
Seinen eigenen Bibelstudienkreis gründet er 1870 und nennt sie "Ernsten Bibelforscher". Nach dem Verkauf der Anteile am Geschäft seines Vaters, widmet sich Russell ganz seiner religiösen Tätigkeit.
1879 gründet er die Zeitschrift: "Zion's Watch Tower and Herald of Christ's Presence", dem Vorläufer des heutigen "Wachtturm". So steht zu Beginn nicht die Gründung einer Religionsgemeinschaft, sondern die einer Druckerei. In Deutschland erscheint 1897 erstmals die Zeitschrift "Der Wachturm“.
1931 benennen sich die "Ernsten Bibelforscher" in "Jehovas Zeugen" um. Der neue Name stützt sich auf das Alte Testament, Jesaja 43, Vers 10 und 11: "Ihr seid meine Zeugen (…). Ich - ich bin Jehova, und außer mir gibt es keinen Retter."
Im Nationalsozialismus gehören die Zeugen Jehovas zu den frühen Opfern des NS-Regimes und werden schon 1933 verboten. Als Volksverräter gebrandmarkt, werden sie als Handlanger des Judentums bezeichnet. Im alltäglichen Leben werden ihnen die Verweigerung des "Hitlergrußes" und des Kriegsdienstes zum Verhängnis.
In der DDR setzt sich ab den 1950er-Jahre deren Verfolgung fort. Die Staatsführung duldet es nicht, dass die Zeugen Jehovas aufgrund ihres Glaubens die Teilnahme an Wahlen, politischen Initiativen und den Wehrdienst verweigern. Bis 1985 werden über 6.000 Gläubige verhaftet. Sie werden wegen angeblicher Spionage, Kriegs- und Boykotthetze angeklagt und verurteilt.
Woran glauben Jehovas Zeugen?
Als Fundament ihres Glaubens sehen Jehovas Zeugen ihre Bibel. Darin, so ihr Selbstverständnis "findet man zuverlässige Antworten auf die großen Fragen des Lebens“. Sie glauben an den allmächtigen Gott Jehova und an seinen Sohn Jesus Christus. Obwohl sich die Gemeinschaft selbst als christlich ansieht, unterscheidet sie sich von den großen christlichen Kirchen. So glauben nicht an die göttliche Dreieinigkeit, sie lehnen die Kindertaufe ab - ebenso wie die Ökumene.
Die Zeugen haben eine eigene Bibelübersetzung – die "Neue-Welt-Übersetzung". Sie sind überzeugt, dass sich ihre Übersetzung besonders genau dem Urtext entspricht. Sie sind der Auffassung, dass nicht alles in der Bibel wörtlich zu nehmen sei. Bei der Bibelauslegung helfen ihnen ihre Zeitschriften "Der Wachtturm" und "Erwachet!", die weltweit millionenfach erscheinen und kostenlos verteilt werden.
Jehovas Zeugen glauben, dass das Ende der Welt - die Vollendung des menschlichen Zeitalters - unmittelbar bevorsteht und die Zeugen gerettet werden. Zudem soll - nach ihrer Vorstellung - eine begrenzte Zahl von 144.000 Menschen in den Himmel kommen und dort mit Jesus eine Weltregierung bilden. Dies sind für die Zeugen Jehovas Menschen mit "himmlischer Hoffnung" - andere Gläubige mit "irdischer Hoffnung" würden friedlich die "paradiesische Erde" besiedeln, was Kritiker als Zweiklassengesellschaft im Glauben ansehen.
Andere Menschen werden nach ihrer Vorstellung in Harmagedon bei der großen Endzeitschlacht vernichtet. Eine Hölle gibt es bei den Zeugen nicht.
Nach welchen Regeln leben die Zeugen Jehovas?
Dem Staat stehen Jehovas Zeugen distanziert gegenüber, auch wenn sie ihn als "von Gott geduldete Übergangsordnung" akzeptieren. Sie achten Gesetze, haben jedoch eine kritische Haltung in Bezug auf staatliche Strukturen. An Wahlen nehmen sie selten teil, den Wehrdienst lehnen sie ab und organisieren sich nicht außerhalb ihrer Gemeinschaft.
Übermäßigen Alkoholgenuss, Tabak und das Feiern von Festen, wie Weihnachten, Ostern, Advent, Geburtstage, Namenstage, Fasching, Muttertag, Silvester missbilligen sie. Außerdem pflegen sie kaum Kontakte außerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft.
Die Ehe gilt für sie als heiliger Zusammenschluss. Untreue ist Sünde, Scheidung ist nur möglich, wenn der Partner untreu war. Homosexualität lehnen sie kategorisch ab. Der Standpunkt der Bibel ist für sie ganz klar: Gott hat die Sexualität nur für die Ehe zwischen Mann und Frau gedacht.
Der Mann gilt als Vorstand der Familie, der Frau wird ans Herz gelegt, ihren Mann zu lieben und ihn als Haupt der Familie zu respektieren. Bei der Wahl des Ehepartners sollten sich Zeugen Jehovas nach dem Grundsatz richten: "Bildet kein ungleiches Gespann mit Ungläubigen“. Sie meinen, dass "wenn man jemand heiratet, der Jehova nicht dient, kommt es in der Regel zu vielen Problemen."
Den Zeugen Jehovas ist es außerdem verboten, Bluttransfusionen anzunehmen. Dies wird als Verstoß gegen das göttliche Gebot gesehen. Diese Weigerung brachte der Glaubensgemeinschaft viel Kritik ein.
Jehovas Zeugen überlassen es allen Mitgliedern selbst, sich impfen zu lassen. Das heißt, dass sie grundsätzlich keine Impfgegner sind.
Was schätzen die Mitglieder an ihrer Glaubensgemeinschaft, wie ist sie organisiert?
Neben dem Bibelstudium und dem Predigen der "guten Botschaft vom Königreich Gottes", helfen Zeugen Jehovas Bedürftigen und engagieren sich in der Katastrophenhilfe. Die Mitglieder der Zeugen Jehovas schätzen ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl in ihrer Organisation, das getragen wird von gegenseitiger Unterstützung und dem Gefühl von Sicherheit.
Ein aktiver Zeuge Jehovas investiert pro Monat etwa 17 Stunden seiner Freizeit in die Missionstätigkeit, meist bei Gesprächen über Gottes Wort an der Haustür oder beim Verteilen der Zeitschriften "Der Wachturm" oder "Erwachet!". Hinzu kommen mehrere Stunden pro Woche für Schulungen, Gottesdienste und freiwillige Arbeiten am örtlichen Gemeindehaus.
Jehovas Zeugen sind in sogenannten Versammlungen (Gemeinden) organisiert. Jede von ihnen wird von einer Ältestenschaft geleitet.
Die Versammlung trifft sich zweimal wöchentlich zu Zusammenkünften, die knapp zwei Stunden dauern und gewöhnlich im "Königreichsaal" stattfinden. Die Zusammenkunft an den Wochenenden umfasst neben Liedern und Gebeten, einen Vortrag und eine gemeinsame Diskussion über einen Artikel des "Wachtturms".
Die weltweite Führung Jehovas Zeugen übernimmt die "leitende Körperschaft", ein Gremium bestehend aus derzeit acht Männern, das in der New Yorker Weltzentrale tagt.
Zeugen Jehovas - Religiöse Glaubensgemeinschaft oder doch Sekte?
Kritiker werfen der Gruppe eine sektenähnliche Struktur vor. Die Zeugen Jehovas würden durch psychische Abhängigkeitsverhältnisse eine freie Persönlichkeitsentfaltung behindern.
Nach Angaben der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, erwarten die Zeugen Jehovas unbedingten Gehorsam, für kritische Rückfragen oder Bedenken liesen sie keinen Raum: "Wegen strenger Schulungen, gegenseitiger Kontrollen und der Erwartung des baldigen Weltendes gelten sie als die Sekte schlechthin", so die Zentralstelle.
Jehovas Zeugen widersprechen diesem Vorwurf. Auf ihrer Internetseite heißt es dazu: "Nein, Jehovas Zeugen sind keine Sekte. Fakt ist: Wir sind Christen und versuchen, so zu leben, wie es uns Jesus Christus vorgelebt hat, und uns nach seinen Lehren auszurichten“. Jehovas Zeugen haben "keine neue Religion erfunden", sehen "keinen Menschen als ihren Führer an" und leisten "einen wertvollen Beitrag zum Gemeinwohl" im Kampf gegen Alkohol- und Drogenmissbrauch, in der Katastrophenhilfe, bei Bildungsprogrammen. "Wir setzen viel daran, eine Bereicherung für das Leben anderer zu sein, genau wie Jesus es seinen Nachfolgern geboten hat".
Quellen: ARD, epd, KNA, JW.ORG, EZW, bpb