Reportage Mein Bruch mit den Zeugen Jehovas: Sophies neue Freiheit
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13. März 2024, 10:30 Uhr
Sophie Jones wächst in der Glaubensgemeinschaft "Jehovas Zeugen" auf. In ihrer Jugend beginnt sie gegen deren Regeln zu rebellieren und steigt mit 18 Jahren aus. Damit beginnt für sie ein gänzlich anderes Leben. Auf ihrem Social-Media-Kanal erzählt sie von ihren Erlebnissen und bietet anderen Aussteigern eine Plattform, um von ihren Erfahrungen zu berichten.
Sophie ist 28 Jahre alt und will zum ersten Mal ihren Geburtstag feiern. Bis zu ihrem 18. Geburtstag durfte sie das nicht, denn Sophies Eltern gehörten zur Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen. Sie wächst in einem streng religiösen Elternhaus auf, lernt Bibeltexte auswendig und zieht schon früh missionierend von Haustür zu Haustür. Sophie sagt, ihre Kindheit war geprägt von strengen Regeln und der ständigen Angst vor dem Bösen.
Ankämpfen gegen die Isolation
Sophie Jones erinnert sich an düstere Weltuntergangsszenarien, Demütigungen und Einsamkeit. Das setzt ihr so zu, dass sie mit 14 Jahren versucht, sich das Leben zu nehmen. Sie kämpft, stellt Fragen, beginnt zu rebellieren und widersetzt sich den Regeln der Gemeinschaft.
Ich habe rebelliert. Ich habe mich an viele Regeln nicht gehalten. Und dann immer die Frage, bin ich jetzt vom Teufel besessen, weil ich solche bösen Sachen denke? Gott sieht ja, dass ich böse Sachen denke.
Mit 18 Jahren löst sie sich von der Glaubensgemeinschaft und betritt damit eine für sie neue Welt. Sie fühlt sich als Abtrünnige, zu Familie und Freunde hat sie keinen Kontakt mehr. Eine soziale Isolation, von der viele Aussteiger und Aussteigerinnen berichten. Doch Sophie sieht darin eine Chance.
Ich habe alles verloren, aber mein Leben gewonnen. Mein Koordinatensystem war völlig weg. Doch mein Überlebenswille hat ausgereicht zu sagen: Ich werde euch beweisen, ich kann leben!
Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts
Bis 2017 haben sich Jehovas Zeugen in allen deutschen Bundesländern den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts erstritten. Sophie Jones hat dazu ihre eigene Meinung: "Ich erwarte vom Staat die Aberkennung des Körperschaftsstatus, weil keine Rechtstreue vorliegt aufgrund von Ächtung, aufgrund von Eingriff in die Kernfamilie, aufgrund der Gefahren, die für minderjährige Kinder ausgehen, aufgrund der Diskriminierung von Frauen, aufgrund der Diskriminierung von Homosexuellen und Transsexuellen."
Dem widersprechen Jehovas Zeugen und argumentieren mit ihrer Bibelauslegung. Bestätigt sehen sie sich durch das Urteil des Bundesverfassunggerichtes aus dem Jahr 2000. Darin heißt es sinngemäß: Vorbehalte "zu Gunsten ihres Gewissens und ihrer aus dem Glauben begründeten Entscheidungen" sind kein Grund, das rechtstreue Verhalten einer Religionsgemeinschaft grundsätzlich in Frage zu stellen.
Zum Vorwurf Ausgestiegener, Familie und Freunde würden den Kontakt abbrechen, heißt es von Jehovas Zeugen Deutschland:
Jeder einzelne Zeuge Jehovas entscheidet nach seinem eigenen Gewissen, ob er den Kontakt abbrechen oder einschränken möchte.
Die eigenen Erfahrungen auch für andere nutzen
Heute arbeitet Sophie Jones als Bibliothekarin und lebt in der Nähe von Leipzig. 2021 erscheint ihre Biografie "Erlöse mich von dem Bösen". Sie möchte ihre Geschichte mit Menschen teilen und aus ihrem Leben als Zeugin Jehovas erzählen. Das Buch, ihre Podcasts, ein YouTube-Kanal - Sophie wird zur Ansprechpartnerin.
Mit ihrem Buch ist sie viel auf Lesereise unterwegs. Ihre Biografie ist keine leichte Lektüre. Darin gibt Sophie tiefe Einblicke in ihr Seelenleben. Bei Lesungen kommt es vor, dass sie von Menschen kontaktiert wird, die ähnliches erlebt haben.
Für mich ist es der richtige Weg, offen darüber zu sprechen, weil ich damit der Sache die Macht nehme.
Als im März 2023 ein Aussteiger der Zeugen Jehovas einen Amoklauf verübt und acht Menschen tötet, bewegt das Sophie sehr: "Natürlich gibt es viele Aussteiger, die vielleicht sogar Rachegedanken hegen, aber Gedanken hegen und in die Tat umsetzen, ist etwas völlig anderes. Viele Leute sind geschockt, aber es führt nicht wirklich zu einer Aufarbeitung. Und das nervt mich. Und diese Tat dieses einzelnen Irren wird jetzt stellvertretend gesehen, vielleicht für den Gemütszustand von anderen Aussteigern. Und das finde ich so daneben", relativiert Sophie Jones.
"Normales" Leben führen
Als Autorin und Influencerin ist Sophie Jones viel beschäftigt. Nun wagt sie sich auf neues Terrain und probiert sich als Stand Up-Comedienne in einer Leipziger Bar aus. "Ich sehe Comedy auch als Möglichkeit, mein sonst so düsteres Thema humorvoll zu verpacken. Und ein Publikum zu erreichen und eigentlich indirekt aufzuklären, was ich sonst nie erreicht hätte", so die 28-Jährige.
Sophie Jones weiß, dass sich ihr altes Leben nicht einfach abschütteln lässt. Das will sie auch nicht, denn:
Durch meine Vergangenheit, habe ich Fähigkeiten erlernt und Stärken entwickelt, die mich heute ausmachen. Das nutze ich, auch für andere!
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 14. März 2024 | 22:40 Uhr