Weihnachtsgeschichte(n) Mehr Licht! Wie das Erzgebirge zum Weihnachtsland wurde
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22. Dezember 2024, 04:00 Uhr
Schwibbögen in allen Fenstern, meterhohe hell leuchtende Pyramiden auf jedem Dorfplatz, Bergmänner und Engel tragen Lichter in ihren Händen. Im Erzgebirge begeht man nicht einfach Weihnachten, man zelebriert es. Und Licht, viel Licht gehört dazu. Woher kommt diese Tradition?
Es gibt Mythen, die sind einfach schön und an denen muss nicht gerüttelt werden. An diesem aber schon: Dem Mythos von der Sehnsucht des Bergmanns nach Licht, weil er es nie sieht. Da er bei morgendlicher Dunkelheit in den Schacht einfährt, abends im Dunkel ihn wieder verlässt.
Mythos vom Bergmann in ewiger Dunkelheit
"Das ist nicht haltbar", sagt Jörg Bräuer, Kurator der Annaberger Museen und verweist auf die Bergordnung seiner Stadt. Schon 1509 wird darin der Achtstundentag für Bergleute festgeschrieben. "Wir wissen genau, wann die Schicht losging. Nämlich früh um sechse die erste, die ging bis um zwei nach dem Mittag. Die zweite Schicht ging von um zwei bis Abend um acht. Und die dritte, wenn es die gab, bis früh wieder." Heißt Bräuer zufolge: "Da gab es immer Zeiten, wo es nicht dunkel war."
Und doch: die vielen Lichter, die hell erleuchteten Pyramiden und Schwibbögen. Die Schnitzereien im Erzgebirge. Andere historische Bergbauregionen wie der Harz, das Berchtesgadener Land, die Alpen kennen diese Traditionen nicht. Trotz gleicher Voraussetzungen: Holzreichtum, das Auf und Ab des Bergbaus, dass die Bergmänner zu Nebentätigkeiten zwingt. Und dunkel ist es in allen Schächten. Warum also entwickelt ausgerechnet der erzgebirgische Bergmann ein solches Faible für Licht?
Inspiriert von höfischer Pracht?
Der Kunsthistoriker Igor Jenzen führt dies auf "eine bestimmte Konstellation zwischen den Bergleuten und – das klingt jetzt erst einmal merkwürdig – dem Hof in Dresden" zurück. Jenzen leitete bis 2021 das Dresdner Museum für Volkskunst. Seinen Forschungen zufolge beginnt alles im September 1719. Da heiratet der Sohn Augusts des Starken die Kaisertochter Maria Josepha. Höhepunkt der vierwöchigen Feiern ist ein Bergfest im Plauenschen Grund bei Freital mit 1.500 Bergmännern. Sie marschieren aus dem Dunkel zum lichtüberfluteten Saturntempel, in dem August feiert.
"Da hingen an der Decke überall Kronleuchter", berichtet Jenzen und nennt sie ein wesentliches Element der erzgebirgischen Weihnacht. Spinne, so sage der Erzgebirger dazu. Zurückgehen sie seiner Meinung nach auf das besagte Saturnfest. "Erst seit diesem Fest gibt es überhaupt Lichterbergmänner", meint Jenzen.
Tiefe Frömmigkeit der Bergleute
Jörg Bräuer dagegen glaubt nicht an die Übernahme höfischen Prunks, sondern verweist auf die tiefe Frömmigkeit der Bergleute, begründet in ihrer harten und gefährlichen Arbeit. Im Christentum stehe das Licht für Jesus, von dem es in der Bibel heiße, er sei das Licht der Welt. Und deshalb, so Bräuer, haben Kerzen und Kienspan für Knappen ihre besondere Symbolik. Zugleich seien Bergleute bei ihrer Arbeit auf künstliches Licht angewiesen und brauchten dafür Halterungen: "Deshalb gibt es diese vielen Figuren, diese Leuchter, diese Pyramiden, die alle Lichter halten."
Schwibbögen, Pyramiden, Räuchermännel als Massenphänomen
Zum Massenphänomen wird das Bauen von Pyramiden, Räuchermänneln, Bergmännern und Engeln aber erst im 19. Jahrhundert, als sich Weihnachten zum Familienfest entwickelt. Kunsthistoriker entdecken und preisen die erzgebirgischen Schnitzereien als unverdorbene echte Volkskunst. Und sie erfinden die passenden Traditionen gleich mit. So zum Beispiel jene, Engel und Bergmann ins Fenster zu stellen, um die Zahl der Jungen und Mädchen im Haus anzuzeigen. Ein Brauch, der erst vor gut 100 Jahren aufkommt.
Noch jünger sind die großen Ortspyramiden und die Schwibbögen. Entworfen 1937 von der Leipzigerin Paula Jordan. "Mit dem schnitzenden Bergmann auf der linken und einer klöppelnden Frau auf der rechten Seite, ist das der Schwibbogen schlechthin", erläutert Kunsthistoriker Jenzen: "Und dann schwirren noch zwei, drei Engelchen herum, und in der Mitte sind zwei Bergleute, die ein Wappen von Sachsen halten."
Das Kunstwerk der Bibelillustratorin Paula Jordan ist zum Inbegriff des weihnachtlichen Erzgebirges geworden. Auch weil eine Geschichte dazu erfunden wird, die Bergbau und Schnitzkunst formvollendet verbindet. Das Halbrund des Bogens symbolisiert demnach den Stolleneingang, die Lichter ringsum die ewig währende Sehnsucht des Bergmanns nach Licht.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 22. Dezember 2024 | 09:15 Uhr