Ich, 23, Priester
Jonas bei der Gartenarbeit im Erfurter Priesterseminar Bildrechte: MDR/Florian Friedrich

NORMsprenger:in Ich, 23, Priester: Woran Jonas glaubt

03. Juni 2021, 04:13 Uhr

Jonas ist  23, kommt aus Berlin und will katholischer Priester werden. Damit hat er sich für einen Beruf entschieden, der ihm Vieles verbietet, was ein junges modernes Leben ausmacht: Beispielsweise Sex oder eine eigene Familie. Für Jonas ist das kein Hindernis, den langen Weg zu seinem Traumjob zu beschreiten. Dabei fällt es ihm manchmal schwer, das zu akzeptieren, was die Katholische Kirche vorschreibt.

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Wie stellt man sich eine Person vor, die schon mit 18 Jahren beschlossen hat, katholischer Priester zu werden? Über Jonas wusste ich vor unserem ersten Treffen nur, dass er 23 ist und sich in Erfurt zum Priester ausbilden lässt. Ich war der Überzeugung, dass Jonas bestimmt aus einer streng religiösen Familie kommt und den Katholizismus sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen hat. Vermutlich würde sein Weltbild fürchterlich veraltet sein und er selbst völlig humorlos. Anders konnte ich mir einen angehenden Priester einfach nicht vorstellen. Wer sonst würde freiwillig seine individuellen Freiheiten für einen so altmodischen Beruf aufgeben?

Frühschoppen nach dem Gottesdienst

Mein Bild vom katholischen Priester mag angesichts vieler engagierter Pfarrer ungerecht sein. Aber es spiegelt wohl schlicht meine eigenen Erfahrungen mit der katholischen Kirche in meiner Kindheit wider.

Tatsächlich ist Jonas dann auch kein TikTok-Priester, der Urban Outfitters trägt. Aber genauso wenig stellt er sich als der weltfremde Geistliche heraus, der auf die strengen Regeln der Kirche pocht.

Priester zu werden, heißt für mich nicht, seine Freiheiten aufzugeben, sondern frei zu werden. Wenn jemand Apotheker werden möchte, dann sagt man: 'Ja gut, dann werde halt Apotheker und mach' dein Ding. Und ich sage einfach: Ich möchte Priester werden und mein Ding machen.

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Jonas will Priester werden. Dabei fällt es ihm manchmal schwer, das zu akzeptieren, was die Katholische Kirche vorschreibt. Etwa im Umgang mit Themen wie Suizid oder Homosexualität.

Do 26.11.2020 18:49Uhr 01:20 min

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Daten & Fakten 2.138 Priester-Anwärter gab es laut Deutscher Bischofskonferenz noch vor 25 Jahren.

2018 waren es nur noch rund 470.

Die Hälfte davon bricht in der Regel die achtjährige Ausbildung ab.

Insgesamt gibt es in Deutschland 22.600.371 Katholiken – das sind 27,2 Prozent der Gesamtbevölkerung.

2019 traten insgesamt 272.771 Menschen aus der katholischen Kirche aus – so viele wie noch nie.

Aufgewachsen ist Jonas in Berlin. Seine Eltern sind beide nicht religiös. Seinen Weg zu Gott, wie er es selbst nennt, findet er erst in der Schulzeit. Nach der Grundschule besucht Jonas ein katholisches Privatgymnasium. Dort fühlt er sich in der Gemeinde sehr wohl: "Da gab's dann auch mal Frühschoppen nach dem Gottesdienst", erzählt er. Der Wunsch, selbst Priester zu werden, habe sich ganz langsam entwickelt. Er habe nie ein Berufungserlebnis mit einer Erscheinung im Schlaf oder Ähnlichem gehabt, wie es andere Priester erzählen können, erklärt er. Er habe einfach gemerkt, dass die Gemeindearbeit ihn interessiere.

"Es gibt kaum einen Beruf, der so vielfältig ist"

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Früh aufgestanden Bildrechte: MDR/Florian Friedrich

Für Jonas ist ein Priester ein Mensch, der Jesus nachfolgt, der in einer sehr besonderen Beziehung mit ihm steht und, das ist Jonas ganz besonders wichtig, der sein Leben mit Anderen teilt. Aus seiner Sicht eigentlich ein ganz normaler Mensch.

Auf jeden Fall niemand, der abgehoben oder abgeschottet von der Gesellschaft lebt.

Ich glaube, es gibt kaum einen Beruf, der so vielfältig und herausfordernd sind, weil du so viele markante Momente im Leben mit den Menschen teilst; von der Geburt über die Trauung oder Hochzeit bis hin zum Tod.

Jonas

Bereits mit 18 begann Jonas, das Priesterseminar zu besuchen und Theologie zu studieren. Zuerst war er ein Jahr zur Vorbereitung in Bamberg, dann drei Semester in Frankfurt am Main, es folgten drei Semester zum Auslandsstudium in Paris, seit einem Jahr lebt er in Erfurt. Dort wird er noch ungefähr ein Jahr bleiben und seine Magisterarbeit schreiben.

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Orgelspielen ist Jonas' Leidenschaft. Bildrechte: MDR/Florian Friedrich

Einen Alltag, wie er ihn im Priesterseminar lebt, könnten sich wahrscheinlich nur die wenigsten Studierenden vorstellen: Jeden Morgen schon um 6 Uhr aufstehen, um die Morgenmesse vorzubereiten. Drei Mal täglich Gottesdienst. Vorbeten. Und die Orgel spielen. Für Jonas ist das kein Problem. Dass er für seinen Traumjob auch noch zölibatär, also ohne eine Beziehung und ohne Sex leben muss, sei für ihn kein Argument dagegen gewesen, erklärt er.

Das Zölibat war immer Thema und wird Thema bleiben. Klar, fragt man sich: 'Kann ich so leben?' Das Zölibat ist aber nicht das, was uns von Minute zu Minute beschäftigt.

Jonas

Es wäre ja schlimm, meint er, wenn er sich die Zölibats-Frage rund um die Uhr stellen müsste. So wie in Dokus, die er sich mal auf Youtube angeschaut habe, die nur um diese eine Thema kreisten: "Ich rede da gerne mit dir drüber, aber lass uns auch über andere Sachen sprechen, ok?", sagt er.

Stichwort: Priester

In der Katholischen Kirche Betreut ein Priester die Gemeinde theologisch und seelsorgerisch, außerdem übernimmt er Verwaltungsaufgaben. Ein Priester ist grundsätzlich ein Mann, der von einem anderen Priester das Sakrament der Weihe empfangen hat und damit in der sogenannten Apostolischen Sukzession steht. Das heißt, die Weihenden bilden eine Traditionskette, die sich bis zur Urkirche zurückführen lässt. Zugleich steht ein Priester in einer Hierarchie, an deren Spitze der Papst als weltweites Oberhaupt steht.

Rom und die Realität

Und reden kann man mit Jonas über eigentlich alles. Er erzählt, wie er sich im Priesterseminar dann doch mal verliebt hatte und warum es ihm manchmal schwer fällt, das zu akzeptieren, was Rom für den katholischen Glauben vorschreibt. Besonders ärgert er sich darüber, dass Menschen, die in seelischer Selbstmord begangen haben, nicht kirchlich beerdigt werden dürfen. Auch dass Homosexuelle nach wie vor ausgegrenzt werden, kann er nicht nachvollziehen.

Manchmal kann man sich nur an den Kopf fassen und sagen, da ist die Katholische Kirche noch nicht in der Realität angekommen.

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Diskussionsbereit Bildrechte: MDR/Florian Friedrich

In einem Jahr wird er das Priesterseminar verlassen und seinen zweijährigen Pastoralkurs in einer Gemeinde beginnen. Vergleichbar einem Referendariat bei angehenden Lehrer:innen. In Thüringen wird er dafür aber nicht bleiben, denn ein Priester muss immer wieder in die Region zurückgehen, in der er vom Bischof berufen wurde. In Jonas Fall also nach Berlin. Dort hofft er, die Jugend mit seiner Freude am Glauben zu begeistern.

Du gehst als junger Mensch zur Kirche und erlebst diesen Mumienverein; alte Leute, alte Priester, alte Musik. Folglich sagt du, du kannst dich mit dieser Kirche nicht identifizieren und trittst aus. Wenn Kirche nicht als jung erfahren wird, dann kommen auch keine jungen Menschen.

Jonas