Missbrauch in der evangelischen Kirche Ein Jahr nach der ForuM-Studie: Es bleibt noch viel zu tun
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23. Januar 2025, 10:00 Uhr
Ein Jahr nach Veröffentlichung der bundesweiten Missbrauchsstudie (25.01.2024) für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) fällt die Bilanz gemischt aus. Während sich die evangelische Kirche selbst bei der Aufarbeitung auf einem guten Weg sieht, besteht aus Sicht von Betroffenenvertretern und der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung noch Handlungsbedarf. Seit Veröffentlichung der ForuM-Studie haben sich auch bei den Anlaufstellen der Landeskirchen in Mitteldeutschland weitere Betroffene gemeldet.
"Die Erkenntnisse, die uns die Studie vor einem Jahr geliefert hat, bewegen uns bis heute", erklärte EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs am Montag (20.01.2025) in Hannover. Das meine sie sowohl im emotionalen als auch im realen Sinn. "Wir arbeiten ja schon seit Jahren an notwendigen Richtlinien und Standards für Aufarbeitung und Prävention, nun aber tun wir es auf wissenschaftlicher Grundlage", so die Hamburger Bischöfin. Die Schlussfolgerungen aus der Studie hätten Steine ins Rollen gebracht.
Mehr Betroffenenbeteiligung gefordert
Nach Ansicht von Nancy Janz ist die Studie ein notwendiger Schritt und eine gute Grundlage, um in der Aufarbeitung weiterzukommen. Janz ist Sprecherin der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Die Betroffenenvertreterin verwies auf Beschlüsse der EKD bei deren Synode im Herbst. Damit würden Schritte umgesetzt, die das Beteiligungsforum aus den Empfehlungen der Studie erarbeitet habe. Dazu zählten unter anderem ein "Recht auf Aufarbeitung" für Betroffene und eine zentrale Ombudsstelle, die noch in diesem Jahr eingerichtet werden solle. Zudem werde die Gewaltschutzrichtlinie der EKD erneuert mit dem Ziel, einheitliche Standards bei Aufklärung, Anerkennung, Prävention und Aufarbeitung zu schaffen.
Insbesondere im Umgang mit den Betroffenen und der Anerkennung ihrer Expertise bleibt Janz zufolge noch viel zu tun. "Die Betroffenenbeteiligung ist deutlich ausbaufähig“, betonte sie. Zwar sei inzwischen das Betroffenen-Netzwerk "BeNe" als digitale Vernetzungsplattform gestartet, doch mit Blick auf die Landeskirchen und bis in die Gemeinden hinein bestehe noch deutlicher Handlungsbedarf.
Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Kerstin Claus vermisst zudem ausreichende Bemühungen um einen Kulturwandel in der evangelischen Kirche. "Nur, weil man einen Maßnahmenplan erarbeitet hat, weil man über Anerkennungszahlungen debattiert und weil man Fortbildungen intensiviert, löst man noch keinen Kulturwandel aus", so Kerstin Claus.
Noch mehr Betroffene auch in Mitteldeutschlands Landeskirchen
Nach Veröffentlichung der Studie Anfang 2024 hatten sich noch viele weitere betroffene Personen gemeldet: In der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) sind 31 neue Fälle aktenkundig geworden. In der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz gibt elf es weitere Fälle von sexualisierter Gewalt, in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens haben sich 16 weitere Personen an die zuständige Anlaufstelle gewandt.
Anlaufstellen für Missbrauchsopfer
Zentrale Anlaufstelle help. für Betroffenen von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie
E-Mail: zentrale@anlaufstelle.help
Kostenlos und anonym Telefon: 0800 5040112
Terminvereinbarung für telefonische Beratung:
Mo: 14.00 – 15.30 Uhr Di bis Do: 10.00 – 12.00 Uhr
Internet: https://www.anlaufstelle.help/
Landeskirchliche Ansprechpersonen für Betroffene sexualisierter Gewalt
Internet: https://www.ekd.de/Ansprechpartner-fuer-Missbrauchsopfer-23994.htm
Studie vom Januar 2024
Im Januar vergangenen Jahres hatte ein unabhängiges Forscherteam die bundesweite ForuM-Studie zu Ursachen und Ausmaß sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie vorgelegt. Darin zählten die Forschenden mindestens 1.259 Beschuldigte, darunter 511 Pfarrer, und mindestens 2.225 Betroffene. Zugleich gingen sie von einer weit höheren Dunkelziffer aus. Zudem stellten sie Mängel im Umgang mit Missbrauchsfällen und Betroffenen fest.
Quelle: EPD, KNA
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Religion & Gesellschaft | 25. Januar 2025 | 09:05 Uhr