Jetzt streamen in der ARD Mediathek Doku-Tipp: Kirche und die AfD
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26. August 2024, 10:00 Uhr
Sechs ostdeutsche katholische Bischöfe machten im Januar 2024 den Anfang. Es folgte die Deutsche Bischofskonferenz und schließlich stellte auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) klar, eine Partei mit völkisch-nationalistischem Weltbild sei für Christen nicht wählbar. Doch was bedeutet diese Positionierung für den Alltag in den Gemeinden? Die MDR-Doku zeigt Momentaufnahmen aus Leipzig, dem Eichsfeld oder der Grenzregion zu Polen – kurz vor den Landtagswahlen im September 2024 in Thüringen, Sachsen und Brandenburg.
In deutschen Kirchgemeinden brodelt es. Nicht jedem passt, dass die beiden großen Kirchen unmissverständlich erklärt haben, völkischer Nationalismus widerspreche dem christlichen Menschenbild – und eine Partei wie die AfD, die ihm zunehmend fröne, sei deshalb für Christen nicht wählbar.
Kirchen warnen vor AfD-Wahl
Die AfD stelle sich "gegen die Grundwerte des menschlichen Zusammenlebens und der Demokratie", so die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) in ihrer Erklärung vom 22. Februar 2024. Die Verbreitung rechtsextremer Parolen – dazu gehörten insbesondere Rassismus und Antisemitismus – sei unvereinbar mit einem haupt- oder ehrenamtlichen Dienst in der Kirche, stellten die katholischen Bischöfe außerdem klar. Kurz darauf zog die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) nach und warnte ebenfalls vor der Wahl rechtsextremer Parteien, "weil sie Minderheiten ausgrenzen und die Demokratie gefährden".
Eine so klare Stellungnahme zu einer im Bundestag vertretenen Partei sei außergewöhnlich, räumte der DBK-Vorsitzende, Bischof Georg Bätzing ein.
EKD-Präses Heinrich: "Klare Grenze ziehen"
In der MDR-Doku erklärt Anna-Nicole Heinrich als Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland die Einmischung in die Politik für legitim: "Genau jetzt ist die Zeit, diese klare Grenze zu ziehen", sagt sie mit Blick auf die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September 2024. Zugleich sei klar, "dass Menschen dazu andere Positionen haben": "Aber wir brauchen das Gespräch darüber und unsere Kirchen sind dafür die besten Orte."
Genau jetzt ist die Zeit, diese klare Grenze zu ziehen.
Zerreißprobe für die Gemeinden in Ostdeutschland?
Doch was bedeutet diese klare Positionierung für den Alltag an der Basis, wird sie zur Zerreißprobe für die Gemeinden? In Ostdeutschland sind weniger als 15 Prozent der Bevölkerung Mitglied der evangelischen Kirche, in der katholischen sind es nicht mal fünf Prozent. Zugleich wird die AfD gerade in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vom Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextremistisch" eingestuft und tritt besonders aggressiv auf. Funktioniert Kirche da als offener Diskussionsort und was passiert, wenn sich eine Pfarrerin oder ein Pfarrer klar positioniert?
"Wahlessen" in Leipzig-Leutzsch: Mehr als Dampf ablassen
In Leipzig-Leutzsch hat Pfarrerin Sabine Wagner einen ganz eigenen Weg gefunden. Sie hat mit dem "Wahlessen" ein Diskussions-Format für die St. Laurentius-Gemeinde etabliert. Nach einem Gottesdienst kam sie auf die Idee: "Wir standen zusammen und haben uns unterhalten über unsere Sorgen, darüber, wie die Wahlen wohl ausgehen oder wohin sich unsere Gesellschaft entwickelt." Beim "Wahlessen" geht es nicht ums Dampf ablassen.
Wagner will ins Gespräch kommen über Demokratie, Wahlen oder Flüchtlingspolitik. Auch AfD-Mitglieder könnten mitdiskutieren. Den Gedanken findet Horst Siegemund gewöhnungsbedürftig, "auch wenn ich nicht alle Menschen in der AfD als für die Demokratie verloren bezeichnen würde." Er ist zum "Wahlessen" gekommen, wenngleich er zudem "ein bisschen skeptisch" ist, "wie weit sich die Kirchen politisieren sollen." Die Seelsorge muss aus seiner Sicht im Mittelpunkt stehen. Und die sei natürlich auch für AfD-Mitglieder da.
Die Kirchgemeinde in Leutzsch sieht sich als liberale, offene Gemeinde. Der Leipziger Christoph Koop und seine Familie sind kürzlich eben deshalb dorthin gewechselt. Er hat zuvor anderes erlebt: das Transportieren eines AfD-konformen Weltbildes. Es sei "befremdlich, wie da mit Feindbildern gearbeitet und der Teufel an die Wand gemalt wurde". Die Klarstellung der Kirchenleitungen findet er vor diesem Hintergrund positiv: "Auch wenn die gesellschaftliche Reputation der beiden Kirchen zurückgegangen ist, bieten sie vielen Menschen noch immer Orientierung und das müssen sie geltend machen und nutzen." Leider nutzen nicht sehr viele das Angebot zur Diskussion.
Gemeindefrühstück im Eichsfeld: "Leben ja nicht außerhalb der Gesellschaft"
Anderswo registrieren Pfarrer, die sich klar gegen die AfD positionieren, die unterschiedlichen Strömungen in ihrer Gemeinde. "Wir sind gehalten, uns aus der Politik herauszuhalten", sagt dazu Priester Markus Hampel. Im thüringischen Eichsfeld, wo noch 50 Prozent der Bevölkerung katholisch sind, betreut er vier Kirchorte und stellt klar, warum er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg halten kann: "Wenn eine Partei Werte pusht, die für uns als Christen nicht in Frage kommen, dann weise ich die Leute schon mal drauf hin. Und dann sage ich auch, dass das für mich nicht wählbar ist." AfD-Mandatsträger können aus seiner Sicht kein Amt in der Kirche bekleiden. Anders sei das, wenn jemand bloß küstert, die Kerzen anzündet oder den Altar abräumt.
Beim Gemeindefrühstück wird viel diskutiert. Wolfgang Kolitsch begrüßt die klare Position seines Pfarrers und findet sie unerlässlich: "Wir leben ja nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern wir wollen uns auch in die Gesellschaft einbringen mit unseren christlichen Werten und Vorstellungen." Stephan Baldßun empfiehlt, das AfD-Programm zu lesen: "Das führt ins Chaos." Horst Grimm meint, in einer Demokratie müsse man auch mit Gegnern sprechen.
Grenzregion: "Thema Migration zu lange den Rechtern überlassen"
Die evangelischen Pfarrer Simon Klaas und Tobias Jachmann aus dem süd-brandenburgischen Forst mahnen hingegen schon lange, Hass und Intoleranz Grenzen zu setzen. Die Region an der polnischen Grenze gehört nicht zu den blühenden Landschaften, sondern ist stark vom Strukturwandel betroffen. Illegale Migration ist ein großes Thema. Die AfD stößt bei ca. einem Drittel der Wahlberechtigten auf Zustimmung.
Wenn ich diese engen nationale Ideen vertrete, will ich doch eigentlich gar nicht mehr mit der Kirche zusammenarbeiten. Wir stehen ja für Vielfalt, für Toleranz, für all diese Dinge.
Klaas ärgert, wie lange die demokratischen Parteien brauchten, sich dazu zu äußern, mit einer politischen Haltung, die aus der Mitte kommt". So sei das Thema eine Spielwiese für die Rechten geworden, die vorgäben, das Problem zu lösen. Klaas und Jachmann plädieren schon lange für eine klare Haltung. Auf ihre Initiative wurde vor zwei Jahren im Gemeinderat entschieden, keine Aufträge mehr zu vergeben an ortsansässige Handwerker, die AfD-Mandatsträger sind. Das schlug hohe Wellen. Eben weil jeder jeden kenne und es dann heiße: "Aber der ist doch nicht rechtsextrem." Für die beiden Pfarrer eine eher unverständliche Reaktion.
Beim Gemeindekaffeetrinken treffen sie aufeinander die Meinungen über die Grenzen der Integration, unwidersprochen bleibt hier nichts. Klaas betont:
Wir werden als evangelische Kirche der heutigen Zeit nicht die Fehler der Dreißiger Jahre wieder begehen.
Magdeburger Bischof erinnert an christliche Werte
Auch für den Magdeburger Bischof Gerhard Feige stehen Ansichten von Parteien wie der AfD im Widerspruch zum christlichen Menschenbild. In Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen sind die Landesverbände der AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Auch deshalb haben die ostdeutschen katholischen Bischöfe auf eine klare Positionierung gedrungen.
"Wir verehren keinen germanischen Stammesgott. Gott ist für alle Menschen da", sagt Feige und betont, dass seine Kirche grundsätzlich keine Menschen ausschließe, sondern das Gespräch suche. Das bedeute aber auch Respekt vor der gegenteiligen Position. "Es hat alles seine Grenzen, auch in der Art der Kommunikation." Natürlich gelte es Lösungen zu finden, geflüchtete Menschen gut zu integrieren. Feige treibt eine Sorge um:
Ich fürchte mich weniger vor einer Überfremdung von außen als vor einer Entmenschlichung von innen.
Die Erklärung der Bischöfe ist ein Appell an das Gewissen und eine Aufforderung zu demokratischem Engagement. Eine Handhabe, wie Kirchgemeinden konkret mit der AfD, ihren Mitgliedern oder Abgeordneten im Gemeindeleben umgehen sollen, ist sie allerdings nicht.
Quelle: MDR Religion und Gesellschaft (Anna Neuhaus), Redaktionelle Bearbeitung: ks
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Kirche und die AfD | 22. August 2024 | 22:40 Uhr