Schabbat Schalom | MDR Kultur | 05.01.2024 Rabbiner Alexander Nachama: Vom hohen Gut der Freiheit
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03. November 2023, 12:00 Uhr
Die Freiheit ist kostbar. Und sie kann schnell verloren gehen, mahnt Rabbiner Alexander Nachama in seiner Auslegung des Wochenabschnitts Schemot.
Wir beginnen in dieser Woche mit Sch’mot, dem zweiten Buch der Tora. Die Israeliten befinden sich in Ägypten. Joseph und alle seine Brüder waren gestorben, wie es heißt, "alle Menschen desselben Zeitalters".
Die Tora erzählt: "Es kam ein neuer König zur Regierung über Ägypten". "Ein neuer Bürgermeister, eine neue Ministerpräsidentin" – das hört und liest man auch heutzutage immer wieder. In der Tora ist diese Formulierung eher ungewöhnlich. So ungewöhnlich, dass dies tatsächlich die einzige Stelle ist, die uns von einem "neuen König" berichtet.
Ein neuer König, der nichts von Joseph wissen wollte
Im Talmud finden sich dazu zwei Theorien: Die erste Theorie besagt: Es könnte eine neue Dynastie sein, die hier an die Macht kommt. Vielleicht sogar eine, die nie oder zumindest sehr lange nicht mehr geherrscht hat.
Die zweite Theorie lautet: Es war ein König, der eine "neue" Politik durchsetzen und sich dadurch von seinen Vorgängern abgrenzen wollte.
Es heißt weiter: "Es kam ein neuer König zur Regierung über Ägypten, der den Joseph nicht gekannt hatte." Oder besser gesagt: Der von Joseph nichts wissen wollte – "Jada", wie es im Hebräischen heißt, kann auch mit "wissen“ übersetzt werden. Aber worauf bezieht sich das "nicht wissen wollen"?
Weniger auf Joseph persönlich, mehr auf seine Verdienste. Denn es ist doch davon auszugehen, dass der neue Pharao Berater hatte, die ihm die Geschichte von Joseph hätten erzählen können. Aber wenn jemand nicht hören will, dann nützt die Geschichte nichts mehr, dann sind alle Verdienste wertlos, dann ist sogar die Einladung eines Vorgängers wertlos – vielleicht sogar nachteilig, wenn man sich von ihm oder seiner Dynastie abgrenzen möchte.
Der neue Pharao will Israeliten nicht ziehen lassen
Der neue Pharao spricht zu seinem Volk: "Siehe, das Volk der Israeliten ist zahlreicher und stärker als wir. Wohlan, lasst uns dasselbe überlisten, dass es sich nicht vermehre, und es geschehe, wenn Krieg eintritt, dass es sich bekenne zu unseren Feinden und gegen uns streite und aus dem Land ziehe."
Der Pharao kann den Israeliten nichts Konkretes vorwerfen, er kann ihnen lediglich vorwerfen, dass sie existieren. Warum aber will der Pharao die Israeliten nicht ziehen lassen? Ein Grund könnte darin liegen, dass die Israeliten dem einen, einzigen Gott dienten. Gleichzeitig galt der Pharao in Ägypten selbst als Gott. So wäre die Entlassung Israels gleichzeitig die Erlaubnis: Geht und dient eurem eigenen Gott.
Das will der Pharao aber nicht, stattdessen will er, dass die Israeliten ihm dienen. Daher versklavt und demütigt er sie. Als klares Zeichen, auch für sein eigenes Volk: Der Pharao ist der mächtigste!
So setzt uns die Tora ein Zeichen, das uns lehrt, wie kostbar die Freiheit ist, und wie schnell sie verloren gehen kann. Ein Zeichen, das uns mahnt nicht blind zu folgen, so wie es die Ägypter in dieser Erzählung tun, sondern die Dinge stets kritisch zu hinterfragen.
Schabbat Schalom!
Zur Person: Alexander Nachama Geboren 1983 in Frankfurt am Main. 2005 erhielt er von Rabbiner Zalman Schachter-Shalomi, dem Gründer der Rabbiner- und Kantorenschule "Aleph", eine Urkunde als Kantor. 2008 erhielt er einen Bachelor in Judaistik (Freie Universität Berlin), 2013 einen Master (Universität Potsdam). Ab 2007 absolvierte er eine Ausbildung am Abraham Geiger Kolleg mit Studienaufenthalten in Israel, die er 2013 mit der Ordination zum Rabbiner abschloss. 1998 - 2011 amtierte Alexander Nachama zunächst als ehrenamtlicher Vorbeter, später als Kantor in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. In den Jahren 2012 - 2018 war er Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Dresden. Von 2018 bis August 2023 war er Landesrabbiner der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen.
Schabbat Schalom bei MDR KULTUR
Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.
Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.
"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 05. Januar 2024 | 15:45 Uhr