Inklusionspreis für Porzellanwerk Hermsdorf
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Inklusionspreis für die Wirtschaft 2020 Preis für Porzellanfabrik Hermsdorf: "Inklusion ist machbar!"

07. Februar 2022, 11:08 Uhr

Unternehmen brauchen fähige Mitarbeitende, Menschen mit Behinderungen brauchen eine Chance, sagt Sybille Kaiser. Sie ist Geschäftsführerin der Porzellanfabrik Hermsdorf in Thüringen. Dort hat Inklusion eine gewisse Tradition. Beschäftigt sind 108 Mitarbeiter, zehn davon sind Menschen mit Behinderung. Für "Selbstbestimmt" war Moderator Martin Fromme vor Ort, um zu erfahren, was die Firma in Sachen Inklusion besser als viele andere macht.

Die Porzellanfabrik Hermsdorf in Thüringen hat den Inklusionspreis für die Wirtschaft 2020 gewonnen. "Wir waren sehr überrascht, aber natürlich wahnsinnig stolz", sagt Chefin Sybille Kaiser. Toll sei vor allem das Echo von außerhalb: "Es kommen viele Geschäftsführerkollegen, die fragen: 'Mensch, wie macht ihr das, könnt ihr uns helfen? Und das machen wir natürlich gerne", meint Kaiser.

Lange Tradition

Inklusionspreis für Porzellanwerk Hermsdorf
Gegründet 1890 Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Das mittelständische Unternehmen stellt technische Keramik für die Industrie her. Beschäftigt sind dort 108 Mitarbeiter, zehn davon sind Menschen mit Behinderung. Für Inklusion setzt sich Chefin Sybille Kaiser schon seit vielen Jahren in der Firma mit der langen Geschichte ein. 1890 gegründet, wurde zu DDR-Zeiten ein Kombinat daraus: "Bereits in diesem ehemaligen Kombinat war Inklusion selbstverständlich, auch wenn man es damals noch nicht so nannte", so Kaiser: "Es gab sehr viele Mitarbeiter mit Beeinträchtigungen. Sie hatten dann Kollegen, die sich um sie kümmert haben und teilweise mitgelaufen sind." Nach der Wende konnte nicht mehr so viel Personal dafür zur Verfügung gestellt, wie Kaiser erklärt.

Inklusion als Teil der Unternehmenskultur

Inklusionspreis für Porzellanwerk Hermsdorf
Initiatoren des Preises waren neben der Bundesagentur für Arbeit auch der Bund der deutschen Arbeitgeber und die Charta für Vielfalt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Es wurden neue Lösungen gefunden: Dass Inklusion in der Porzellanfabrik Hermsdorf zur Unternehmenskultur gehört, vermittelt sich gleich am Empfang. Die beiden Mitarbeiterinnen dort sind Rollstuhlfahrerinnen. Für Barrierefreiheit im Gebäude sorgen zwei Aufzüge und ein entsprechend ausgestatteter Sanitärraum. In der Produktion gibt es Hebehilfen, die körperliche Belastungen reduzieren helfen. Außerdem wurden Arbeitszeiten und Schichtrhythmen angepasst, wie die Geschäftsführerin weiter erklärt. Das sei für so genannte leistungsgewandelte oder psychisch eingeschränkte Mitarbeitende wichtig. Die Kombination all der Maßnahmen habe geholfen, viele Fachkräfte im Unternehmen zu halten.

Ressourcen statt Defizite sehen, technische Lösungen finden

Inklusionspreis für Porzellanwerk Hermsdorf
Florian Zapf lernt Industriekaufmann. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Für Kaiser gehört es zur unternehmerischen Verantwortung, für vormals gesunde Mitarbeitende eine Beschäftigung zu finden, die sie auch mit Behinderung gut ausüben können. Genauso gilt es, wie sie findet, bei der Ausbildung von jungen Fachkräften, die Ressourcen und nicht die Defizite in den Blick zu nehmen – sowie technische Möglichkeiten zur Inklusion zu nutzen.

Dank einer speziellen Hardware inklusive Kameratechnik, mittels besonderer Software und Lehrbüchern in elektronischer Form absolviert Florian Zapf gerade seine Ausbildung zum Industriekaufmann in der Firma. Der 21-Jährige lebt mit einer starken Sehbehinderung. Zwischen fünf und zehn Prozent Restsehvermögen hat er noch. Die Agentur für Arbeit finanzierte die Einrichtung seines Arbeitsplatzes abgestimmt auf seine Bedürfnisse:

Mir war es schon immer wichtig, trotz meiner Beeinträchtigung alles auf möglichst normalem Weg zu bestreiten. Ich bin froh, dass ich nicht in irgendeinem Förderungswerk oder einer Werkstatt arbeiten muss, sondern ganz normal wie jeder andere auch hier in der Porzellanfabrik Hermsdorf.

Florian Zapf Azubi
Inklusionspreis für Porzellanwerk Hermsdorf
Jan Paech schaffte nach einem Unfall einen Neuanfang. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Im gleichen Büro hat auch Jan Paech seinen Platz. Der 36-jährige ist in der Firma unter anderem für die Qualitätsprüfung verantwortlich. Bevor er in die Porzellanfabrik kam, arbeitete er als Messtechniker im Werkzeugbau. Ein schwerer Verkehrsunfall vor vier Jahren veränderte alles. Bis heute lebt Jan Paech mit Schmerzen. In seinen alten Beruf konnte er nicht mehr zurück. Lange schrieb er erfolglos Bewerbungen.

Bis eine Betreuerin vom Berufsförderungswerk den Kontakt zu Sybille Kaiser herstellte: "Frau Kaiser hat mich von Anfang an so genommen wie ich bin, hat nicht so sehr auf meine Beeinträchtigung geschaut, sondern auf meine berufliche Vorgeschichte, dass ich viel im Qualitätsbereich gearbeitet hatte." Zunächst machte er ein Praktikum. Messen, Prüfen, Kontrollieren in der Hermsdorfer Porzellanfabrik – das ist seit fast einem Jahr nun Jan Paechs neue berufliche Welt, dass sie in der Firma inklusiv gestaltet ist, gefällt ihm besonders:

Es ist einfach, mit Leuten in Kontakt zu treten, die auch eine Beeinträchtigung haben. ​Man tauscht sich aus, man ist interessiert, was hat der andere, was habe ich. Man schaut, wie man sich gegenseitig helfen kann.

Jan Paech Qualitätsprüfer

Viele Unternehmen fürchten sich vor Konflikten

Inklusionspreis für Porzellanwerk Hermsdorf
"Selbstbestimmt"-Moderator Martin Fromme im Gespräch mit Sybille Kaiser Bildrechte: MDR FERNSEHEN

Der Inklusionspreis für Wirtschaft wird seit acht Jahren deutschlandweit vergeben. Initiatoren waren neben der Bundesagentur für Arbeit auch der Bund der deutschen Arbeitgeber und die Charta für Vielfalt. Irena Michel von der Agentur in Jena kennt Sybille Kaiser und deren Unternehmen gut, Michel findet, man müsse nicht nur Gutes tun, sondern auch darüber reden, damit herausragende Beispiele Schule machen.

Inklusionspreis für Porzellanwerk Hermsdorf
Irena Michel von der BfA Jena kennt die Vorbehalte. Bildrechte: MDR FERNSEHEN

Insgesamt konstatiert sie eine Öffnung und meint, die Unternehmen würden diverser, was auch handfeste Gründe habe: Auf der einen Seite herrsche Fachkräftemangel, auf der anderen Seite gebe es "sehr viele leistungsgewandelte Menschen", die nicht mehr in ihrem alten Beruf, etwa auf dem Bau arbeiten könnten, aber sehr viel Know How mitbrächten. Trotz einer gewissen Öffnung fürchteten viele Unternehmen aber immer noch vermeintliche bürokratische Hürden oder Konflikte nach einer Einstellung, beklagt Michel und erklärt dazu: "Wenn Jemand beispielsweise mit fehlender Motivation kommt oder eben auch faktisch seine Leistung nicht erbringt oder nicht erbringen will, ist er genauso zu behandeln wie jeder andere Arbeitnehmer."

Hilfen nutzen: "Inklusion ist machbar!"

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"Erstaunlich große Unterstützung" Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Von Konfliktfällen hat Sybille Kaiser nichts zu berichten. Aus ihrer Sicht ist Inklusion machbar. Vor allem angesichts der staatlichen Hilfen, die es gibt, wie sie betont: ​"Was ich anfangs überhaupt nicht wusste, ist, wie groß die Unterstützungsmöglichkeiten durch die Agentur für Arbeit sind. Das war uns neu." Inklusion als Teil der Unternehmenskultur zu etablieren, darauf kommt es aus Sicht von Sybille Kaiser an. Nur so herrsche die nötige Offenheit, "ganz speziell auf die Art der Beeinträchtigung des Bewerbers oder der Bewerberin einzugehen. Praktika seien wichtig, um herauszufinden, welche Arbeit geeignet sei und ob man zueinander passe:

Man kann nicht irgendeine Arbeit zuweisen, zu der ein Mensch mit Behinderung gar nicht in der Lage ist. Man muss sich sehr auf den Menschen einstellen.

Sybille Kaiser Geschäftsführerin Porzellanfabrik Hermsdorf

Für Sybille Kaiser steht fest: "Bei entsprechender Eignung ist jeder eine vollwertige Fachkraft – ob mit oder ohne Behinderung." Ob als Industriekaufmann, als Qualitätsprüfer oder Reinigungskraft. Was Inklusion dem Unternehmen bringt, beschreibt die Geschäftsführerin so: "Bezeichnend sind die hohe Motivation, die Loyalität, die Zuverlässigkeit und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden mit Behinderung, erklärt Sybille Kaiser: "Das wirkt sich nicht nur spürbar positiv auf die Produktivität, sondern auch auf das Betriebsklima aus. Die Hilfsbereitschaft ist groß."

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt | 13. Dezember 2020 | 08:00 Uhr