Sexueller Missbrauch in der Kirche Polen: Onlinekarte mit pädophilen Priestern
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08. Oktober 2018, 14:09 Uhr
Mitte September sorgte in Deutschland eine Studie zum Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche für Schlagzeilen und Empörung. Immerhin wurde das Thema hierzulande von der Kirche selbst in Angriff genommen. Die katholische Kirche Polens schweigt sich dagegen aus und auch die nationalkonservative PiS-Regierung zeigt wenig Interesse an Aufklärung. Eine Stiftung ist daher in die Bresche gesprungen und hat eine interaktive Karte mit pädophilen Priestern online gestellt.
Die interaktive Karte zeigt Orte, wo Priester sich an Kindern vergangen haben – oder vergangen haben sollen. Rund 360 Orte sind bisher verzeichnet. "Wir haben die Polnische Bischofskonferenz mehrmals um Informationen gebeten, unsere Anfragen blieben aber ohne Antwort", sagte die liberale Sejm-Abgeordnete Joanna Scheuring-Wielgus, die das Projekt unterstützt, der Tageszeitung "Rzeczpospolita". Die Arbeiten daran hätten eineinhalb Jahre gedauert.
Kindesmissbrauch an mehr als 300 Orten
Auf der Karte sind zwei Kategorien von Missbrauchsfällen mit virtuellen Stecknadeln markiert: zum einen Priester, die wegen Kindesmissbrauchs rechtskräftig verurteilt wurden, zum anderen Missbrauchsopfer, deren Fall juristisch noch nicht aufgearbeitet wurde. Betreiber der interaktiven Karte ist die von Missbrauchsopfern gegründete Stiftung "Fürchtet euch nicht". Als Vorbild diente eine ähnliche Initiative aus Italien.
Die Initiative ist umstritten. Kritiker beanstanden unter anderem, dass neben rechtskräftig verurteilten Priestern, deren Schuld vor Gericht nachgewiesen wurde, auch Opferberichte berücksichtigt werden, deren Wahrheitsgehalt man nur bedingt überprüfen könne, sowie Medienberichte über Fälle, die juristisch noch gar nicht aufgearbeitet wurden. Die Stiftung versichert jedoch, alle Opferberichte auf Glaubwürdigkeit überprüft zu haben. Außerdem gehen die Aktivisten von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus.
Staatliches Sextäterregister ohne Geistliche
Die Karte mit pädophilen Priestern ist als Ergänzung zu einem ebenso umstrittenen Projekt der PiS-Regierung gedacht. Diese hatte im Oktober 2017 im Internet eine Datenbank von Sexualstraftätern veröffentlicht. Darin sind Bürger verzeichnet, die wegen eines Sexualdelikts verurteilt wurden – mit Klarnamen, Adresse und Passfoto, auch dann, wenn sie ihre Strafe längst verbüßt haben. Neben Vergewaltigern nimmt man dabei insbesondere Pädophile ins Visier. Die Daten von etwa 800 Straftätern, die als besonders gefährlich einstuft werden, sind dort für jedermann zugänglich – eine Art digitaler Pranger, der von Datenschützern scharf kritisiert wird, aber auf reges Interesse der Bevölkerung stößt. Zum diesjährigen Schuljahresbeginn Anfang September veröffentlichten viele Zeitungen umfangreiche Bildergalerien mit Screenshots daraus – mit Überschriften von der Art "Schaue dir die Täter aus deiner Gegend an".
Was allerdings schnell auffiel: Namen von pädophilen Priestern sucht man an diesem digitalen Pranger vergebens. Nach Ansicht von PiS-Kritikern steckt kein Zufall dahinter – die nationalkonservative PiS-Regierung, die sich gern auf christliche Werte beruft und von vielen Bischöfen unterstützt wird, habe ihre Verbündeten aus den Reihen der Kirche schützen wollen, so der Vorwurf. Genau diese Lücke will nun die von einer Stiftung aufgelegte Online-Karte füllen.
Kirche geht halbherzig gegen pädophile Priester vor
Die polnische Kirche selbst tut wenig, um Missbrauchsfälle aufzuarbeiten, obwohl das ein zentrales Anliegen von Papst Franziskus ist. Seine Null-Toleranz-Politik gegenüber pädophilen Priestern wird in Polen nur halbherzig umgesetzt. Zwar hat die Polnische Bischofskonferenz bereits 2015 eine Richtlinie dazu herausgegeben. So sollte der langjährigen Praxis ein Ende gesetzt werden, dass Missbrauchsfälle vertuscht und die pädophilen Priester nicht bestraft, sondern nur versetzt werden. Doch selbst der offizielle Kinderschutzbeauftragte der polnischen Kirche räumt ein, dass es nach wie vor erheblichen Widerstand unter den Priestern gibt, Kinderschänder aus den eigenen Reihen zu melden.
Kritiker außerhalb der Kirche beanstanden, dass die Richtlinie zu schwammig formuliert sei. Vieles im konkreten Umgang mit den auffälligen Priestern sei deren Vorgesetzten überlassen und die Teilnahme an einer Therapie bleibe freiwillig. Medienberichten zufolge werden Missbrauchsopfer zudem nur selten entschädigt. Außerdem seien solche Zahlungen oft als "Stipendien" getarnt und mit einer Schweigeverpflichtung für die Opfer verknüpft worden.
Anklage-Film lockt Millionen Zuschauer
Dass das Thema auf reges Interesse in der Bevölkerung stößt, zeigt der enorme Erfolg des Spielfilms "Kler", der Ende September in den polnischen Kinos angelaufen ist und neben Geldgier der polnischen Geistlichen den Kindesmissbrauch innerhalb der Kirche anprangert. Bereits drei Tage nach der Premiere hatten eine Million Zuschauern den Kinofilm gesehen.
Hunderte Kinderschuhe an Kirchenzäunen sollen mahnen
Zum ersten Mal hat sich Polen in diesem Jahr auch an der weltweiten Aktion "Baby Shoes Remember" - auf deutsch "Baby-Schuhchen erinnern" - beteiligt. Am ersten Septembersonntag hängten in mehr als 50 Städten Hunderte Aktivisten an Kirchenzäunen Kinderschuhe auf, um symbolträchtig an Kinder und Jugendliche zu erinnern, die von katholischen Priestern missbraucht wurden. Die Aktion hat ihren Ursprung in Irland und findet dort seit 2011 statt.
Mit diesem Happening wollten die Aktivisten die Verantwortlichen in der Kirche beschämen. "Alle Geistlichen und Gläubigen, die unsere Kinderschuhe wieder entfernt haben, haben sich damit an der Vertuschung von Kindesmissbrauch beteiligt", erklärte die Mit-Organisatorin Nina Sankari die beabsichtigte Wirkung der Aktion, die vielerorts von Fernsehkameras und Fotoreportern dokumentiert wurde. Eine medienwirksame Aktion, aus der die katholische Kirche Polens im Grunde gar nicht ohne Gesichtsverlust herausgehen konnte. Denn die vielen Kinderschuhe hängen zu lassen, wäre genauso wenig in Frage gekommen.
(baz)
Die Stiftung "Fürchtet euch nicht" wurde im Herbst 2013 von Missbrauchsopfern gegründet. Sie unterhält eine Hotline, unterstützt die Opfer juristisch und psychologisch und will Entschädigungen erwirken. Außerdem setzt sie sich für härtere Strafen und längere Verjährungsfristen ein. Der Name "Fürchtet euch nicht" spielt auf einen Bibelvers an, der zu den Lieblingsbibelzitaten Johannes Paul II. (1978-2005) gehörte. Dem aus Polen stammenden Papst, inzwischen heiliggesprochenen, wird vorgeworfen, Kindesmissbrauch in der Kirche vertuscht zu haben.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 16. September 2018 | 19:30 Uhr