Verkehr Millionenstrafen wegen unpünktlicher und ausgefallener Regionalzüge

17. März 2024, 05:00 Uhr

Streik, Personalmangel oder umgewehte Bäume auf Gleisen: Pendler und Ausflügler haben im Vorjahr oft vergeblich auf ihren Zug gewartet. Deshalb hat das Land den neun Regionalzug-Anbietern in Thüringen massiv die Zuschüsse gestutzt.

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Verspätete und ausgefallene Züge sowie Servicemängel kommen Regionalzugbetreibern in Thüringen teuer zu stehen. Der Freistaat hat einer vorläufigen Auswertung zufolge im vergangenen Jahr deshalb rund 27 von 282 Millionen Euro an Zuschüssen einbehalten oder zurückgefordert.

Das teilte das Infrastrukturministerium MDR THÜRINGEN auf Anfrage mit. Sprecherin Konstanze Gerling sagte, es handle sich dabei um Mittelkürzungen und Vertragsstrafen.

Verspätungen kosten fast zehn Millionen Euro

Allein wegen unpünktlicher Züge hätten die neun beauftragten Eisenbahnunternehmen etwa 9,8 Millionen Euro eingebüßt. Vertragsstrafen in Höhe von rund 8,1 Millionen Euro seien wegen ausgefallener Regionalzüge ausgesprochen worden. Weitere 900.000 Euro sind den Eisenbahnunternehmen entgangen, weil sie zu wenige Zugbegleiter eingesetzt haben. Weitere Gründe für Minderungen waren beispielsweise verschmutzte Züge, zu wenige eingesetzte Waggons oder Probleme beim Fahrkartenverkauf.

Das Land stützt sich bei der Beurteilung auf Berichts- und Meldepflichten der Unternehmen, auf Fahrgastbeschwerden sowie auf Kontrollen des Landesamtes für Bau und Verkehr. Wie sich die Strafen auf die neun Regionalzugbetreiber in Thüringen aufteilen, wird nicht offengelegt. Zu ihnen gehören unter anderem die Bahn-Tochter DB Regio, Abellio Rail Mitteldeutschland und die Süd-Thüringen-Bahn.

Langfristige Verträge für Regionalzugverkehr Im Auftrag des Landes Thüringen sind im Jahr 2023 die neun Eisenbahnbetreiber DB Regio, Abellio Rail Mitteldeutschland, Erfurter Bahn, Süd-Thüringen-Bahn, Harzer Schmalspurbahnen, DB RegioNetz, Cantus, Die Länderbahn und die City-Bahn Chemnitz auf regionalen Zugstrecken gefahren. Das Land hat mit ihnen Verträge meist für fünf bis 15 Jahre geschlossen und bestimmte Regionalzug-Kapazitäten zu festgelegten Qualitätskriterien bestellt. Die Landesmittel garantieren den Zugbetreibern eine Grundvergütung, um unabhängig vom Fahrkartenverkauf, beispielsweise ihre Mitarbeiter und die Schienenbenutzung bezahlen zu können.

Regionalverkehr mit Qualitätsmängeln

Ministeriumssprecherin Gerling sagte, die aktuelle Betriebsqualität entspreche "nur eingeschränkt den Ansprüchen des Freistaats Thüringen als Besteller der Zugleistungen an ein attraktives Angebot". Die Mängel hätten 2023 weiter zugenommen. Das Land bespreche die Defizite regelmäßig mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen und dem Schienennetzbetreiber Deutsche Bahn.

Vertragsstrafen kaum noch wirksam

Allerdings sind Vertragsstrafen laut Ministerium nur bedingt wirksam. "Angesichts der ohnehin sehr hohen Rückforderungsbeträge lässt sich die Situation durch weitere Mittelkürzungen oder zusätzliche Vertragsstrafen nicht verbessern", so Ministeriumssprecherin Konstanze Gerling.

Die Eisenbahnunternehmen hätten auch kaum Möglichkeiten, die Mängel abzustellen. So leide die Pünktlichkeit vor allem unter Unregelmäßigkeiten bei Bauarbeiten, kaputter Leit- und Sicherungstechnik oder Unwetterschäden. Dazu käme, dass das Deutschlandticket teilweise für überfüllte Züge sorge und sich die Ein- und Ausstiegszeiten verlängerten. Zusätzliche Waggons und Loks für die höhere Nachfrage seien aber nur mit mehreren Jahren Vorlauf erhältlich.

Die Eisenbahnunternehmen sind in der besseren Position. Die Machtverhältnisse haben sich zu einem Anbietermarkt gedreht.

Prof. Matthias Gather, FH Erfurt

Matthias Gather, Professor für Verkehrspolitik und Direktor des Instituts für Verkehr und Raum an der FH Erfurt, hält Vertragsstrafen ebenfalls nicht für zielführend. Die Eisenbahnunternehmen hätten kein Interesse daran, die Verträge mangelhaft zu erfüllen, "schon, weil es rufschädigend ist". Noch härtere Vertragsstrafen könnten dagegen dazu führen, dass sich weniger Unternehmen für den Regionalzugverkehr bewerben.

Der Wissenschaftler schätzt ein: "Die Eisenbahnunternehmen sind in der besseren Position, die Machtverhältnisse haben sich zu einem Anbietermarkt gedreht." Ausschreibende, wie das Land Thüringen, seien froh, wenn sich überhaupt ein Eisenbahnunternehmen bewerbe, eine Auswahl zwischen mehreren Bewerbern hätten sie meist gar nicht mehr.

Matthias Gather, Professor FH Erfurt Verkehrspolitik
Matthias Gather, Professor für Verkehrspolitik an der FH Erfurt, glaubt, dass härtere Strafen die Bahnunternehmen davon abschrecken könnten, Thüringen seine Dienste anzubieten. Bildrechte: FH Erfurt

Thüringen fordert mehr Geld von Bund fürs Schienennetz

Das Thüringer Infrastrukturministerium sieht den Bund in der Pflicht, den Regionalverkehr zuverlässiger zu machen. Es seien "dringend Investitionen in moderne Stellwerktechnik, ausreichend Personalreserven und störungsarme Infrastruktur mit ausreichenden Resilienzen erforderlich". Ein Jahr zuvor hatte sich das Ministerium außerdem an die Bundesnetzagentur gewandt, um angesichts personell unterbesetzter Stellwerke bei der bundeseigenen Deutschen Bahn zu intervenieren.

Das enttäuschende Ergebnis: "Die Bundesnetzagentur hat das Verfahren nicht weiterverfolgt", so Ministeriumssprecherin Gerling. Immerhin sei es mittlerweile der Bahn-Tochter DB InfraGO offenbar selbst gelungen, kurzfristig Mitarbeiter zu gewinnen und die Situation zu verbessern.

"Planmäßiger" Ausfall wegen Personalmangels

Generell kämpfen alle Eisenbahnunternehmen mit Personalmangel. Laut Verkehrsministerium hat sich das weiter verschärft und es ist keine Entspannung absehbar. Teilweise würden Regionalzüge deshalb "planmäßig" ausfallen, damit wenigstens ein verlässlicher Busersatz gewährleistet ist. Für vom Land gewünschte Sonder- und Zusatzzüge fehlten den Eisenbahnunternehmen ebenfalls Mitarbeiter. Deshalb könnten nur punktuell Verbesserungen erreicht werden.

MDR (kah, ost)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 17. März 2024 | 18:00 Uhr

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