Sprache So steht es um das Gendern in Thüringer Schulen und Hochschulen
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09. Februar 2023, 19:00 Uhr
Nach dem Krieg, dem Klimawandel und der Inflation scheint das Gendern der viertgrößte Aufreger der Deutschen zu sein. Eine aktuelle repräsentative Umfrage des WDR zeigt aber auch den Trend: Die Gender-Akzeptanz ist leicht rückläufig, nur 38 Prozent halten das Gendern derzeit für wichtig oder sehr wichtig.
Auch wenn die deutliche Mehrheit der Deutschen das Gendern ablehnt, die Infratest-Dimap-Umfrage im Auftrag des WDR hat auch gezeigt, die Doppelnennung der "Kolleginnen und Kollegen" findet mehr als die Hälfte der Befragten in Ordnung.
Die Sprechpause ist nur bei 27 Prozent beliebt, 69 Prozent mögen sie nicht. Die zahllosen Symbole stehen mit 35 Prozent Ablehnung und 59 Prozent Zustimmung etwas besser da.
Doch wahrscheinlich ist den wenigsten klar, welche Vielfalt es bei den Zeichen mittlerweile gibt. Professor Csaba Földes, Sprachwissenschaftler an der Uni Erfurt, zählt einige Varianten auf, die ihm schon begegnet sind: Stern, Punkt in der Mitte, Punkt unten, Häkchen oben, Schrägstrich, Doppelpunkt, Klammern oder gar ein X. "StudentXinnen" lässt sich nur von trainierten Zungenpiercing-Trägern unfallfrei aussprechen.
Geschlechterneutral und genderbar - was gilt an Thüringer Schulen?
Bei den Zeugnissen ändert sich in Thüringen nichts. In den Beurteilungstexten dürfen "sie" und "er" weiter vorkommen, es sei denn, es gibt den ausdrücklichen Wunsch des Betroffenen, hier ausschließlich den Vornamen zu verwenden. Das sagte Thüringens Bildungsminister Helmut Holter im Interview mit MDR THÜRINGEN. Was das Gendern betrifft, setzt Thüringen auf Toleranz. Minister Holter hat den Schulen mitgeteilt, sicherzustellen, dass Schülern keine Nachteile entstehen, wenn sie in Arbeiten gendern.
Das Gendern ist eine persönliche Angelegenheit. Es darf nicht als Fehler angesehen werden, wenn jemand gendert oder nicht.
Ein großes Thema ist das Gendern innerhalb der Kultusministerkonferenz nicht, sagt Helmut Holter. Zwar werde auf der Fachebene darüber gesprochen, es gäbe aber aktuell keine Pläne, die Minister darüber befinden zu lassen, ob irgendwelche Genderregeln in Schulbüchern und Lehrplänen Einzug halten sollten.
Gesteuerter und ungesteuerter Sprachwandel
Das Wort "gesteuert" hat eine unschöne Note bekommen, seitdem die "große Weltverschwörung" ausgerufen wurde. Aber "die da oben" sind hier nicht gemeint, es passiert eher von der Seite.
Professor Földes betont zunächst, dass seine Sprachwissenschaft eine beschreibende ist. Man beobachtet die sprachlichen Entwicklungen und weist auf die Schwierigkeiten hin, die entstehen können, wenn jemand bei voller Fahrt eine sofortige Kursänderung einfordert. Sprache ist ein behäbiger Tanker, der sich von ein paar wellenschlagenden Badenden nicht so schnell vom Kurs abbringen lässt. Das ist seit Jahrtausenden so.
Veränderungen sind aber eine ganz normale Angelegenheit und spätestens wenn der Duden seinen Segen gibt, dann ist es sozusagen amtlich. Zum Beispiel: "Wegen" verlangt den Genitiv, doch wurde dieses Rufen von einem Großteil der Bevölkerung über Jahre ignoriert, der Dativ war an dieser Stelle stärker und steht nun im Duden nahezu gleichberechtigt.
Sprachwandel passiert
Dieser natürliche Sprachwandel von unten funktioniert deutlich besser als einer, der von wem auch immer vorgeschrieben wird. Das hat schon der antifaschistische Schutzwall erfahren müssen, der als banale Mauer in die Geschichte eingegangen ist. Und dass Prof. Földes als Student in Berlin als offizieller "Stadtbilderklärer" unterwegs war, hat auch nicht dazu geführt, den Stadtführer oder Reiseführer sprachlich zu ersetzen.
Man wollte den "Führer" vermeiden und so ist daraus der Stadtbilderklärer geworden. Aber von oben angeordneter Sprachwandel funktioniert nicht immer.
Und es gibt noch ein weiteres Problem. Die Verwendung von bereits existierenden Begriffen als gendergerechter Ersatz führt zu sachlich falschen oder verwirrenden Aussagen. Stichwort: Studierende statt Studenten.
Vorsicht! Schlafende Radfahrende!
Studierende sind nur so lange studierend, wie sie im Hörsaal sitzen oder anderswo ihrer primären Tätigkeit nachgehen. Diese Partizipialformen drücken nämlich in der Regel aus, dass man diese Handlung gerade in diesem Moment vollzieht und bezeichnen nichts Allgemeines, so Professor Földes.
In der Mensa sind die vor Kurzem noch Studierenden zunächst Wartende in der Schlange und bei Tische dann Essende. Die essenden Studierenden hingegen tun ihren Mägen nichts Gutes, während essende Studenten alles richtig machen.
Ganz grotesk wird es, wenn man die Studierenden auf die Schlafenden überträgt. Dort käme niemand auf die Idee, die Schlafenden in einen Dauermodus zu versetzen. Oder anders ausgedrückt: An welcher Stelle im Tagesablauf unserer klassischen Spätaufstehenden findet der Bestimmungswechsel statt? Die Schlafenden sind nach dem Aufwachen kurz Aufstehende und auf dem Weg zur Uni nur eine Weile Radfahrende. Eben bis sie ihr Rad vor der Uni abstellen. Aber Studierende sollen sie ständig sein?
Professor Földes will die neue Anwendung des Wortes nicht komplett verurteilen, aber er weist eben darauf hin, dass damit einige Nachteile einhergehen. Nämlich das Verständnis betreffend, für folgende Generationen und alle, die Deutsch lernen wollen. Als wäre unsere Sprache nicht schon schwer genug, in der jemand, der auf einen Ball tritt, ganz woanders mitspielt, als jemand, der auf einem Ball auftritt.
Es ist nicht alles Bio
Das grammatische Geschlecht darf nicht so einfach mit dem biologischen Geschlecht gleichgesetzt werden. Földes klärt uns auf, dass es sich beim grammatischen Geschlecht eigentlich um eine Klassifikation von Substantiven handelt. Dummerweise wurde diese irgendwann mit "Geschlecht" übersetzt, man hätte besser "Kategorie" genommen oder irgendetwas anderes. Das hätte uns viel Ärger erspart, den andere Sprachen gar nicht kennen.
Ursprünglich gab es nur männlich und sächlich. Weiblich waren die Sammelnamen und die Abstrakta [nichts Gegenständliches, wie z.B. Glück]. Das sind nur Sortierungsklassen gewesen, die ursprünglich nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun hatten.
Im Englischen gibt es bekanntlich nur ein "The" und kein "Der, Die, Das" usw. und es geht dort irgendwie auch diskriminierungsfrei. Mit "The Prime Minister" war Margaret Thatcher genauso gemeint wie ihre Vorgänger, nur unserem Bundeskanzler wird unterstellt, er sei immer nur männlich.
Ist das "...innen" nicht ziemlich sexistisch?
Die Publizistin Nele Pollatschek hat in Heidelberg, Cambridge und Oxford Englische Literatur und Philosophie studiert und in ihrem Buch "Dear Oxbridge: Liebesbrief an England" eine Diskussion mit einem Professor in England skizziert, die viele kennen, die schon einmal einem Amerikaner oder Engländer unsere Genderdiskussion erklären mussten, vor allem dieses "…in" beziehungsweise "…innen". Die Frage des Professors lautete: "Machen denn die Feministen nichts gegen diesen Sexismus in der Sprache?"
Der Gedanke dahinter: Mit dem "…in" am Ende werden Frauen stigmatisiert. Und besonders eine Frage führte zu einer gewissen Sprachlosigkeit bei Nele Pollatschek: "Warum macht ihr das dann nicht auch bei Juden?" Oder eben bei allen anderen, die sich nicht mitgenommen fühlen könnten."
Wie kann es richtig sein, Weiblichkeit in jeder Berufsbezeichnung als Morphem [kleinste Spracheinheit] anzuzeigen, wenn es falsch wäre, Religion, Hautfarbe, Orientierung, Gewicht oder eine Behinderung mit einem Morphem sichtbar zu machen?
Manchmal hilft die Außensicht, das eigene Tun zu hinterfragen. Die meisten Veränderungen in den Sprachen dieser Welt sind auf natürliche Weise entstanden und diesen Weg sollten wir auch den Genderformulierungen eröffnen. Wenn es sich durchsetzt, dann muss es mehrheitsfähig sein. Wahrscheinlich sollten wir ohnehin lieber andere Formen des Respekts und der Wertschätzung finden, als Leer- oder Sonderzeichen.
MDR (thk)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 09. Februar 2023 | 15:50 Uhr
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