Worüber reden wir eigentlich? Gendergerechte Sprache - Darum geht's!
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14. Januar 2022, 16:08 Uhr
Die ZDF-Moderatorin Petra Gerster war eine der ersten, die an prominenter Stelle im Fernsehen mit "Gender-Gap" sprach. Sternchen, Doppelpunkt oder doch das große Binnen-I? Seit rund zwei Jahren läuft nun die Debatte in den Medien, aber auch darüber hinaus. Sollen, ja müssen, Medien heute gendern? Oder ist das Ganze nur ein Medien-Thema, dass sie sich eingebrockt haben?
Egal ob Fernsehen, Radio, Tageszeitung oder Informationsangebote im Netz: Sobald es über unseren unmittelbaren Nahbereich vor der Haustür hinausgeht, sind Medien unser Tor zur Welt. Mit der Art und Weise, wie sie berichten, bestimmen sie dabei auch immer ein Stück mit, wie wir die Welt sehen. Dabei kommt der Sprache eine entscheidende Bedeutung zu. Denn sie ordnet ein, analysiert, kommentiert.
Beim Gendern geht es ganz allgemein darum, die Menschen sichtbar zu machen, die zwar angeblich immer "mitgemeint" sind, aber nicht genannt werden. Wenn beispielsweise bei der Berichterstattung über Krankenhäuser nur von Ärzten die Rede ist, in der Schule nur von Lehrern oder beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur von den Intendanten. War die Diskussion früher vor allem auf das Thema Mann/Frau und das sogenannte "generische Maskulinum" beschränkt, geht sie heute deutlich weiter. 2017 hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum "dritten Geschlecht" einen standesamtlichen Eintrag für Menschen geschaffen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.
Seitdem werden in Stellenanzeigen beispielsweise Jobs als "m, w, d" (für männlich, weiblich, divers) ausgeschrieben. Doch wie gehen Medien mit dieser Herausforderung um, die alte Sprachgewohnheiten über den Haufen wirft?
Keine einheitlichen Standards
"Sprache schafft Bewusstsein und Bewusstsein schafft Sprache" heißt eine vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) veröffentlichte Broschüre. Beim NDR wird schon seit 2017 gegendert, meist in der Form der Doppelnennung. Da ist dann von "Bürgerinnen und Bürgern" die Rede, oder wenn es um Lehrerinnen und Lehrer geht, gern auch funktional von "Lehrkräften" oder "Lehrenden".
"Wenn wir als Rundfunksender mit dieser Sprache nach außen gehen und die Menschen uns hören, dann schärft es auch ihr Bewusstsein. Ich hoffe, dass dieser Sprachwandel, der sicher eine lange Zeit brauchen wird, einen Kulturwandel bewirkt", sagt Nicole Schmutte, Gleichstellungsbeauftragte und Leiterin des Bereichs Gleichstellung und Diversity beim NDR. Für die Journalistin, die lange in der Redaktion von Tagesschau und Tagesthemen gearbeitet hat, stellt Gendern auch kein Problem für die Medien dar. Eher sei das Gegenteil der Fall, so Schmutte: "Wenn ich geschlechtsneutral formuliere, komme ich kurz und knackig zum Ziel, was beim Texten fürs Fernsehen wichtig ist. Wenn ich 'Studierende', 'Beschäftigte' oder einfach 'das Plenum' sage, passt das für alle. Dasselbe gilt für 'Personen', das ist doch auch schön kurz."
Das sehen andere Medienpraktiker anders. Auch, weil sie wie Zeitungen beispielsweise mit Schriftsprache zu tun haben. Jan Hollitzer, Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, sagt im Gespräch mit MDR MEDIEN360G, seine Redaktion entziehe sich nicht der Diskussion. Sie gehe damit aber "sehr behutsam" um. "Wir werden keinen Doppelpunkt oder Gender-Sternchen nutzen. Wir werden da, wo es möglich ist, beide Formen, z. B. Lehrerinnen und Lehrer nehmen, oder eventuell auch zu einer neutralen Form wechseln wie die Lehrenden". Aber dort, "wo es um Sprachökonomie geht, wo auch nicht viel Platz ist wie bei Überschriften", werde es beim generischen Maskulinum bleiben.
Frauen und Jüngere sind aufgeschlossener als ältere Männer
Doch in der Debatte geht es um weit mehr als die Frage, ob Gendern im journalistischen Alltag praktikabel ist. Denn Gendern ist für viele Menschen ungewohnt und wird als Eingriff in die "normale" Sprache gesehen. Das belegen auch Umfragen zum Thema Gendern in den Medien. Bislang stößt es in der Bevölkerung insgesamt überwiegend auf Ablehnung. Und anders als bei vielen anderen Themen beziehen hier die Befragten eindeutig Position. 71 Prozent der Befragten sagten im Juli 2021 bei einer Umfrage des ZDF-Politbarometers, sie fänden die Verwendung von Gendersternchen und Sprechpausen "nicht gut". Dafür waren lediglich 25 Prozent. Unentschieden waren hier deutlich weniger als bei anderen Themen. Nur vier Prozent der Befragten gaben an, sie hätten zum Gendern in den Medien keine Meinung.
Wozu also das Ganze? Gendern soll für eine geschlechtergerechte Sprache und Sichtbarmachung sorgen - auch in den Medien. Doch auch das hielt eine deutliche Mehrheit (73 %) für weniger wichtig. 48 Prozent der Befragten gaben sogar an, dies sei für sie "überhaupt nicht wichtig". Dies zeigt: Gendern ist kein (selbstgemachtes) Problem der Medien, sondern Ausdruck von gesellschaftlichen Veränderungen, die von einem Großteil der Menschen bislang nicht mitvollzogen werden.
Was dabei ebenso deutlich wird: Kritik kommt vor allem von älteren Menschen, besonders von Männern. Frauen und die jüngere Generation stehen der geschlechtergerechten Sprache etwas offener gegenüber. Vor allem bei Jüngeren gehört Gendern schon häufig zum Alltag. Doch auch bei diesen etwas aufgeschlosseneren Gruppen überwiegt die Ablehnung, wie eine nichtrepräsentative Befragung von MDRfragt zeigt, an der sich fast 26.000 Menschen aus Mitteldeutschland beteiligt haben.
Wie positionieren sich Medien in der Debatte?
Für viele Medien stellt sich daher die Frage, wie sie mit diesen Ergebnissen umgehen. Wer ein eher älteres Publikum bedient, wie zum Beispiel Tageszeitungen oder die meisten Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, verhält sich eher abwartend. Gerade bei den Zeitungen gehen die Abo-Zahlen seit langem zurück. Da will keine Redaktion durch solche Veränderungen noch für zusätzlichen Unmut sorgen. TA-Chefredakteur Hollitzer führt die Ablehnung bei weiten Teilen seiner Leserinnen und Leser auch darauf zurück, dass es "für viele jetzt um eine institutionell verordnete Änderung der Sprache" gehe.
Solche Veränderungen in der Sprache betreffen alle Menschen. Deswegen kommt es oft zu heftigen und zunächst meist ablehnenden Reaktionen, so die Linguistik-Professorin Barbara Schlücker von der Uni Leipzig im Interview mit MDR MEDIEN360G: "Wenn man auf immer neue sprachliche Mittel und ganz neue Schreibformen zugreift, ruft das natürlich erst einmal Widerstand hervor. Etwas Neues ist erstmal etwas Komisches, etwas Fremdes."
Zudem habe das Ganze nichts mit der Lebenswirklichkeit der Menschen in Ostdeutschland zu tun, sagt Hollitzer. "Um nochmal auf diese Lesermeinungen zurückzukommen: Warum müssen wir jetzt diese Gender-Debatte in dieser Heftigkeit führen, wo wir doch eigentlich ganz andere Probleme haben", betont er im Interview mit MDR MEDIEN360G. Für seine Leserinnen und Leser sei zum Beispiel die Gleichberechtigung von Ostdeutschen und Westdeutschen mit Blick auf Gehalt und Renten ein wichtigeres Thema. Und die Aufgabe seines Blattes sei, die "ganz normalen, die alltäglichen Dinge zu klären, ehe es darum geht, ob wir jetzt sprachlich mit dem dritten Geschlecht auf Augenhöhe sind."
In der Lebenswirklichkeit jüngerer Menschen ist Gendern dagegen schon angekommen, sagt Andrea Alic von MDR SPUTNIK, wo sich die Moderatorinnen und Moderatoren um geschlechtergerechte Sprache bemühen. "Da gab es keinen einzelnen Moment, wo wir beschlossen haben, das machen wir jetzt auch", es sei viel mehr ein ganz natürlicher Prozess gewesen. "Wir haben ja ein sehr, sehr junges Team und gerade bei den sehr, sehr jungen Menschen ist das ja ein Thema." Und so habe sich beispielsweise das Sprechen mit Gender-Gap "quasi so eingeschlichen, da unsere Moderatoren und Moderatorinnen ja sehr authentisch sind, wenn sie sprechen und automatisch angefangen haben, das in den Moderationen zu verwenden", erzählt Alic.
Bei den Medien wird es also keine schnellen einheitlichen, finalen Lösungen oder Sprachformen geben. Doch der Debatte verschließen, können und tun sie sich nicht.
"Normalisierung des Besonderen"
Fabian Schrader, Host des Podcasts "Somewhere Over the Hay Bale" über queeres Leben auf dem Land, sagt: "Gendern ist super anstrengend ", alle Menschen dürften Gendern anstrengend finden, auch queere Leute, so Schrader. Von Medienschaffenden erwartet er hier aber mehr Engagement: "Ihre Verantwortung liegt darin, das Ganze als einen Lernprozess zu begreifen und zu begleiten, um Lebensrealitäten abzubilden. Als Privatperson kann ich sagen, ich will nicht über Gendern diskutieren", so Schrader. Wer in den Medien arbeitet, habe sich dieser Diskussion aber zu stellen. Dabei werde Gendern nur selten als Chance für die gesellschaftliche Entwicklung gesehen, die Kritik bzw. der Widerstand dagegen viel stärker thematisiert, meint der 31-Jährige.
Luca Renner engagiert sich als Mitglied des ZDF-Fernsehrats für die queere Community. Renner ist non-binär, definiert sich also nicht als Mann oder Frau und hat mit durchgesetzt, dass sich das ZDF geschlechtergerechte Sprache in seine Selbstverpflichtung geschrieben hat. "Das ist ein wahnsinniger Schritt", sagt Renner im Gespräch mit MDR MEDIEN360G. Am Anfang der Diskussion habe es noch geheißen, es sei "nicht nötig, die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt als Thema da explizit mit hineinzuschreiben - das hat sich geändert." Den ZDF-Redaktionen ist dabei freigestellt, wie sie geschlechtergerechte Sprache anwenden. "Es ist wichtig, dass es da keinen Zwang gibt", so Renner: "Natürlich kommt das Thema nicht in allen Sendungen vor - es passt ja auch nicht in jede Sendung." Das Ziel ist "die Normalisierung des Besonderen" , wie Renner es nennt. Denn queere Themen sollten so selbstverständlich vorkommen, wie sie in der Gesellschaft stattfinden - "und nicht bloß einmal im Jahr, wenn Christopher Street Day in Erfurt ist", sagt Renner, die vom Freistaat Thüringen in das ZDF-Gremium entsandt wurde.
Wie Medien konkret mit geschlechtergerechter Sprache umgehen, hält die Initiative genderleicht auf ihrer Homepage akribisch nach. Sie berät auch Redaktionen zum Thema geschlechtergerechte Sprache und ist davon überzeugt, dass die Medieninhalte durch vielfältige Perspektiven und einen bewussteren Umgang mit Sprache besser werden. Das interessiert auch den MDR, der mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ein Forschungsprojekt gestartet hat. Es untersucht, wie verständlich gendersensibel geschriebene Nachrichten tatsächlich sind. Erste Ergebnisse werden 2022 erwartet.
Für Linguistik-Professorin Schlücker hapert es in der Debatte aber auch noch an einer ganz anderen Stelle. "Ein großer Teil des Problems in der gegenwärtigen Debatte, die so heftig geführt wird, ist, dass oft nicht klargemacht wird: Worüber reden wir denn eigentlich?", sagt Schlücker: "Es gibt so viele unterschiedliche Formen und Variationen und Möglichkeiten. Und bevor wir nicht wissen, worüber wir jetzt eigentlich konkret sprechen, bleibt es oft an der Oberfläche."
Denn die Gender-Debatte selbst ist auch nur ein Teil der viel größeren Diskussion, wie sich gesellschaftliche Diversität gerecht abbilden lässt. Und hier geht es um noch viel mehr als den kleinen Unterschied zwischen Mann und Frau.