Werra-Anrainer Hochwasser in Bad Salzungen: "Wann hört das endlich auf?"
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24. Januar 2024, 08:00 Uhr
Vier Wochen lang stand das Wasser der Werra in Gärten, Kellern und Hausfluren. Die Bewohner der Straßen Weinberg und Am Mühlberg sind zwar hochwassererprobt, aber zum Jahreswechsel hat es sie besonders hart getroffen. Sie haben sich an die Stadt gewandt für besseren Hochwasserschutz. Bisher war das nicht einfach, hatten doch gerade Anwohner mit ihrem Protest den Bau einer Schutzmauer bislang verhindert. Jetzt sind neue Vorschläge im Gespräch und der Bürgermeister hat Experten eingeladen.
Dieses Weihnachtsfest werden die Menschen am Weinberg und am Mühlberg so schnell nicht vergessen: Schon vor Weihnachten war die Werra weit in die Auen geschwappt, am Heiligabend stand sie schon auf den Grundstücken, erzählt Sandra Kachel: "Frühs standen wir alle in Wathosen hier und haben Sandsäcke geschleppt und versucht zu retten, was zu retten ist. Aber irgendwann läuft‘s rein – und dann kann man aufgeben."
Das Wasser lief in den Flur, stand bis zum Rand der Gästetoilette, zerstörte die Heizung und die elektrischen Geräte im Wirtschaftsraum. Kachel beziffert den Schaden beim Hausrat auf mehr als 12.000 Euro, beim Gebäude auf weit über 35.000 Euro.
Vier Wochen Ausnahmezustand
Denn Weihnachten war noch nicht das Ende. Am Neujahrstag hatten sie das Grundstück gerade vom angeschwemmten Dreck befreit, da kam das Wasser am nächsten Tag wieder zurück. Insgesamt vier Wochen lang Ausnahmezustand – die Häuser nur über den Hochwassersteg erreichbar, und auch das zum Teil nur mit Gummistiefeln.
"Im Keller stand das Wasser 1,90 Meter hoch", berichtet Heike Duisenberg. "Zehn Zentimeter höher und es wäre eine Etage weiter oben angekommen. Das hat schon Angst gemacht. Man hat immer gedacht: Wann hört das endlich auf?"
Ich kann mich nicht entsinnen, dass wir so etwas schon mal hatten, in dem Ausmaß und so lange.
Weihnachten konnten sie am Weinberg nicht feiern. Bei Sandra Kachel hatte das Hochwasser auch die biologische Kläranlage unbrauchbar gemacht, sie zog mit ihrer Tochter zu den Eltern, ist erst seit gut zwei Wochen wieder zurück. "Ich kann mich nicht entsinnen, dass wir so etwas schon mal hatten", sagt Reiner Kremmer, "in dem Ausmaß und so lange." Er wohnt seit 1960 am Weinberg. Erst dreimal hätten sie Wasser in der Wohnung gehabt, sagt Kremmer: 2011, 2013 und jetzt.
Raum für den Fluss zugebaut
Bad Salzungen lebt seit vielen hundert Jahren mit dem Hochwasser der Werra, berichtet Bürgermeister Klaus Bohl (Freie Wähler). Anfang des 20. Jahrhunderts sei sogar die Innenstadt überschwemmt worden.
Dass das Wasser immer häufiger unerwünscht hoch über die Werraauen hinaus bis zur Siedlung am Fuß des Weinbergs mit rund 30 Häusern steigt, liegt seiner Ansicht nach zum einen daran, dass im vergangenen Jahrhundert der Raum des Flusses durch Bebauung immer stärker eingeschränkt wurde. Dazu der Klimawandel mit häufigerem Extremwetter.
Anwohner hatten Schutzmauer abgelehnt
Schon sein Vorgänger habe sich mit Hochwasserschutz befasst, erzählt der Bürgermeister. Dessen Pläne seien aber von den Anwohnern mehrheitlich abgelehnt worden – und genauso sei es ihm ergangen, als er im Jahr 2010 als Ergebnis einer Studie aktiven Hochwasserschutz vorgeschlagen habe - sprich: eine Mauer entlang der Straße, am niedrigsten Punkt etwa 1,50 Meter hoch.
Damit das Wasser nicht durch die Kiesschichten unter ihr hindurchläuft, sollte Richtung Fluss zusätzlich eine Spundwand in der Tiefe die Mauer abdichten.
Zwei Anläufe scheitern am Protest
Das stieß vor allem aus zwei Gründen auf Protest. Zum einen hatten die Anwohner befürchtet, über Straßenausbaubeiträge bei dem Millionenprojekt zur Kasse gebeten werden. Denn wenn eine solche Mauer gebaut wird, dann müssten auch die Straße und die Straßenentwässerung erneuert und die Haushalte an die Kläranlage angeschlossen werden. Straßenausbaubeiträge gibt es heute allerdings nicht mehr.
Zum anderen sorgen sich die Eigentümer - auch jetzt noch - wegen der Arbeiten an einer Spundwand: "Da sollten so Pfähle gerammt werden, und unsere Häuser sind alle 100 Jahre alt," sagt Reiner Kremmer. "Das vertragen die alten Häuser nicht mehr." Erst recht nicht, wenn die Bausubstanz durch wiederkehrendes Hochwasser geschädigt ist, sagt ein Nachbar.
Land: Teure Bauarbeiten lösen Problem nicht
Also passierte nichts – denn der Bürgermeister stellte klar, nichts zu machen, was die Anwohner nicht wollten. Auch das Land, das für Hochwasserschutz zuständig ist, stellte seine Untersuchungen ein. Sie hätten damals ergeben, teilt das Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz MDR THÜRINGEN mit, "dass alle untersuchten wasserbaulichen Maßnahmen weder das Gesamtproblem lösen […] noch sich unter Ansatz eines angemessenen Hochwasserschutzzieles wirtschaftlich umsetzen lassen".
Das Gesamtproblem - darunter fasst die Behörde ein Bündel zusammen: "aufsteigendes Grund- Schichten- und Hangwasser sowie die ungeklärte Abwasserbeseitigung".
Extrem-Ereignis Hangrutsch 2013
Was dieses Problembündel bewirken kann, erlebte der Weinberg im Sommer 2013: ein "Extrem-Ereignis", so Bürgermeister Bohl. Lange und ausgiebige Regenfälle brachten nicht nur Hochwasser, sondern weichten auch den Steilhang hinter den Häusern auf und sorgten für einzelne Hangrutsche.
Zwischenzeitlich mussten die Bewohner sogar ausziehen, weil es zu gefährlich war. Um den Hang zu entlasten, musste die Stadt nach Ratschlag von Fachleuten die großen Bäume kürzen. Das müsse man auch weiterhin tun, so Bohl.
Beim Hochwasserschutz ist seither allerdings noch nichts vorangekommen. Die Anwohner vermuten, dass es nicht allein der Regen war, der da zum Jahresende auf ihre Grundstücke schwappte. "Die müssen die Talsperren aufgemacht haben, anders ist das überhaupt nicht möglich", meint Hans Duisenberg und berichtet, Ähnliches habe auch die Feuerwehr vermutet.
Anwohner haben Pegelstände im Blick
Die Thüringer Fernwasserversorgung weist das zurück. Die Talsperren und Rückhaltebecken "hielten in der Hochwassersituation zum Jahreswechsel und auch in der Phase der starken Niederschläge vor Weihnachten eine große Menge an Wasser zurück", heißt es auf Anfrage von MDR THÜRINGEN. Die Abflüsse seien bis zu 70 Prozent reduziert worden.
Bei der 300 Zentimeter-Linie wird’s gefährlich, das wissen alle.
Den Werrapegel in Breitungen haben die Anwohner stets auf dem Smartphone im Blick. "Bei der 300 Zentimeter-Linie wird’s gefährlich, das wissen alle", sagt Reinhard Blank. "Nur jetzt war das völlig außer der Reihe, das war nicht zu sehen, dass da so etwas kommt."
Vorschläge der Anwohner
Sie beobachten den Fluss und das Hochwasser genau und haben festgestellt, dass das Wasser an einem Straßendamm flussabwärts sich aufstaut und wieder zurückläuft. Da könnte ein kleiner Damm entlang der Werra helfen, meint Blank, "dass das Wasser ordnungsgemäß abfließt und nicht aufstaut."
Und dann gibt es noch einen Graben, der unterhalb der Siedlung aus einem Seitental in die Werra fließt, aber so ungeschickt geführt wird, dass er bei Hochwasser durch ein Entwässerungsrohr flussaufwärts drückt – dorthin, wo die Werraaue am tiefsten ist: direkt vor der Straße am Weinberg.
Diese Verrohrung könne man doch versuchsweise einmal mit sogenannten "Big Bags", großen Containersäcken verschließen, schlägt Reiner Kremmer vor, einfach ausprobieren, ob das etwas hilft. Sandra Kachel würde gern mobile Wände testen, solche, wie man sie zum Schutz von Altstädten einsetzt.
Treffen mit Experten
Er könne die Verzweiflung der Hausbesitzer gut verstehen, sagt Bürgermeister Klaus Bohl. Da mittlerweile einige neue Eigentümer dorthin gezogen sind und die Initiative von ihnen ausgeht, will er den Hochwasserschutz erneut anfassen. Er geht derzeit davon aus - wie seinerseits auch die Landesbehörden -, dass der aktive Schutz mit Mauer und Spundwand die sicherste Lösung wäre.
Dabei sind die finanziellen Zuständigkeiten geteilt: das Land für den Hochwasserschutz, der Abwasserzweckverband für den Kanal und die Stadt für die Straße. Aber: "Jede Anregung wird geprüft", verspricht Bohl. Für Ende Februar hat er Fachleute und Behörden eingeladen, um zu klären, ob es neue Erkenntnisse und Lösungsmöglichkeiten gibt. "Wir haben einen langen Weg vor uns, aber am Anfang steht, dass wir uns einig werden."
MDR (rub,lou)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 24. Januar 2024 | 18:20 Uhr
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