Der Redakteur | 02.05.2023 Thüringen: Wie retten wir unseren Wald?
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02. Mai 2023, 16:12 Uhr
Der Harz war mal ein Märchenwald. Innerhalb weniger Jahre ist daraus eine Steppe geworden, die nur mühsam wieder begrünt wird. Auch der Thüringer Wald hat schon erschreckend viele kahle Stellen. Was wird getan, um unsere Wälder in Thüringen zu retten?
Die Ursachen für das aktuelle Problem in Mitteldeutschland hat der Mensch vor ca. 300 Jahren gesetzt, in anderen europäischen Regionen sogar schon früher. Man brauchte das Holz der damaligen Wälder. Bei uns für Bergbau, Metall- und Glasproduktion, in Küstennähe war es vor allem der Schiffsbau. Viele Regionen von Italien über Spanien, Portugal bis hinauf nach England haben sich von dem Kahlschlag bis heute nicht erholt.
Eine weitere Ursache für unsere Probleme ist seit 2018 akut, weil seitdem schlicht der Regen fehlte. Auch hier ist der Mensch die Wurzel des Übels, seit der Industrialisierung wird quasi auf einen Schlag das Kohlendioxid freisetzt, das über Jahrmillionen in unseren fossilen Energieträgern weggespeichert wurde.
Es folgten Treibhauseffekt und Klimawandel und im Ergebnis gestaltet sich die Erde wieder um. Das gab es schon immer, wir müssen nur Dinos, Säbelzahntiger und den Thüringer-Wald-Elefanten fragen. Es ist auch nicht einmal direkt die paar Grad höhere Durchschnittstemperatur, die unserem Wald zusetzt, sondern es sind die vielzitierten Wetterextreme. Auf monatelange Trockenheit folgt allenfalls Starkregen, der aber ungenutzt abfließt und nie dort ankommt, wo die Bäume ihre Wurzeln haben.
Wir hatten lange gedacht, dass die Fichte die Baumart ist, die im Klimawandel die meisten Federn lässt und waren 2019 alle regelrecht schockiert, dass auch alte Buchen absterben. Was keiner auf dem Zettel hatte.
Ebenfalls 2019 hat der BUND Thüringen sein Strategiepapier mit Blick auf das Jahr 2100 herausgegeben, verfasst von Frank Henkel. Es war als Reaktion gedacht, auf die Entwicklung und die Zielvorgabe für unseren Wald der Zukunft. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Der Natur ist es egal, es wird irgendetwas wachsen und wenn es am Ende Kakteen sind, aber wir hängen an unserem Heimatbild und wenn wir uns und unseren Enkeln dieses halbwegs erhalten wollen, müssen wir jetzt etwas tun.
Die Energiekrise unserer Vorfahren
Bevor der Mensch vor 200-300 Jahren das Holz aus unseren mitteldeutschen Wäldern holte, war über mehrere Jahrtausende die Buche der prägende Baum. Herbert Roths "Buchen, Fichten, Tannen…" waren von der Reihenfolge her also ziemlich treffend sortiert.
Zu 80-90 Prozent hatten wir Buchenwälder, erzählt Frank Henkel, in den Kammlagen der Mittelgebirge war die Fichte allenfalls rund um die Hochmoore standorttypisch und im Thüringer Schiefergebirge hatte die Weißtanne einen Anteil von 20-25 Prozent. Im Rest des Landes standen im wesentlichen Buchen.
Das alles wurde radikal abgeholzt, Deutschland war fast kahl und es gab nur noch wenige zusammenhängende Waldgebiete, so Henkel. Bis sich dann kluge Menschen gesagt haben: So kann das nicht weitergehen, wir müssen auch wieder neue Bäume pflanzen. Für die damalige Situation erschienen Fichten und Kiefern am besten geeignet. Sie waren auch ganz gut als Nutzholz zu gebrauchen.
Das war nicht die beste Lösung, aber aus damaliger Sicht richtig.
Im Ergebnis haben wir heute die Wälder, die wir haben. Die wären vielleicht sogar stehen geblieben, wir hätten sie nur kontinuierlich gießen müssen, was in diesen Größenordnungen natürlich Utopie ist.
Wald braucht Wasser
Viele Baumsorten, die jetzt in unseren Wäldern stehen, sind auf ständigen Wassernachschub angewiesen. Ist der unterbrochen, ist es vorbei. Einen Baum kann man auch nicht unten anschneiden, wie Blumen in einer Vase. Eine Fichte zum Beispiel, die vom Borkenkäfer so stark befallen ist, dass sie alle Nadeln verliert, die kann nicht wieder austreiben.
Auch Buchen benötigen einen ständigen Wasserzug, um ihre Lebensprozesse aufrecht zu erhalten. Wird dieser unterbrochen, weil kein Wasser mehr nachgezogen werden kann, dann stirbt die Buche ab, sagt Frank Henkel. Sie kann auch später nicht mehr austreiben, wenn wieder Wasser da ist.
Im Gegensatz dazu: Wenn eine alte Eiche von Schädlingen wie Eichenspinner & Co. kahlgefressen wird, gibt es noch Chancen. Eichen können einen kompletten Blattverlust ausgleichen und im nächsten Jahr weiterwachsen. Das sollte man wissen, bevor man die Säge ansetzt.
Im Ergebnis steht nun die Frage, wie geht man mit den Flächen um, deren Bäume kahl geworden sind? Im Südosten des Thüringer Waldes ist das Forstamt Sonneberg auf mehr als 6.000 Hektor entwaldet, das zieht sich in Richtung Nordwesten, Neuhaus ist massiv betroffen und auch Oberhof und Gehren. Für Frank Henkel, der auch Förster ist im Thüringer Wald, eine Katastrophe.
Man möchte sich nicht ausmalen, was da noch auf uns zukommt. Aber die Anzeichen stehen wirklich dafür, dass dieses Schadgeschehen mit diesen dramatischen Bildern um sich greift.
Was sollten wir tun?
Man kann die Frage auch anders stellen: Was sollten wir nicht tun? Hier prallen allerdings zwei Welten aufeinander. Wald sauber fegen und fleißig aufforsten oder alles der Natur überlassen? Vielleicht ist es auch eine Mischung aus allem, in Abhängigkeit von der Situation vor Ort.
Frank Henkel rät als Vertreter des BUND zunächst, das bisschen Wasser, das noch kommt, auf der Fläche zu halten. Dazu gehört, dass alte Bäume stehenbleiben, auch wenn es nicht sonderlich gut aussieht. Die Ruinen spenden den nachwachsenden Bäumchen Schatten und sorgen dafür, dass der Boden nicht völlig austrocknet. Und wenn sie dann umbrechen, sind sie Nährstoffquelle und Wasserspeicher zugleich.
Diese Speicher-Erfahrung hat jeder schon gemacht, der Altholz angehoben hat, das in die Erde versunken war. Es ist unten oft ziemlich feucht. Abgesehen davon, ist alles gut, was den Abfluss bremst, wenn es mal so richtig regnet. Stichwort Wetterextrem Starkregen. Die Nährstoffe bleiben auf der Fläche und das Wasser bekommt Zeit, zu versickern. Unten im Tal als Sturzbach oder als Hochwasser richtet es ohnehin nur Schaden an.
Wenn eine Waldfläche abgestorben ist, dann ist aus Sicht des BUND-Waldexperten ohnehin die Zeit der Pionierhölzer. Das sind Baumarten, die von sich aus sofort anfangen, zu wachsen. Das wären bei uns Birke, Salweide, Zitterpappel, die Eberesche in höheren Lagen, dazu kommen verschiedene Waldsträucher.
Wenn diese Pionierhölzer den Wald besiedeln, dann ist der Aufwuchs für den Wald gesichert.
Anschließend folgen dann andere Hölzer, die im Schutz der Pionierpflanzen wachsen können.
Schaffen wir das Aufforsten überhaupt?
Beim Thema Aufforsten sind wir auch ganz schnell beim Thema Fachkräftemangel. Zu Wendezeiten hatten wir in jedem Revier mindestens fünf bis zehn Leute, die zuständig waren für die Waldpflege, blickt Frank Henkel zurück. Diese Leute fehlen heute und dann brauchen wir natürlich auch geeignetes Pflanzmaterial in riesigen Mengen.
Das darf nicht wieder irgendwas sein, sondern das müssen Hölzer sein, die genau an diesen Standort passen. Und da sind wir auch wieder beim Thema "Wasser auf der Fläche halten". Eine für den Menschen schön aufgeräumte Fläche ist eben ungünstig. Frank Henkel vom BUND kritisiert, dass solche Flächen mit Mulchgeräten "vorbereitet" werden für die Neuanpflanzungen. Damit würde alles, was noch an natürlichen Strukturen vorhanden ist, kleingehäckselt. Das sind eher ungünstige Bedingungen für einen jungen Waldbaum.
Die eher ökologisch orientierte Waldwirtschaft sagt, lass die Natur mal machen! Die wird eine Lösung finden und einen Wald entstehen lassen.
Die Frage ist allerdings, ob sich dieser Wald mit den Bedürfnissen deckt, die wir Menschen haben. Der Wald soll Lunge sein, das Wasser halten, Erholungsort sein, Raum für Sport und Spiel und Lieferant für Holz, Weihnachtsbäume, Pilze und Beeren.
Die klassische Forstwirtschaft sagt auch deshalb, dass wir aktiv eingreifen müssen, einen gezielten Mix aus vielen Baumarten auf die Flächen bringen müssen. Unsere verfügbare "Grundausstattung" an Baumarten, die bei uns wachsen können, schätzt Frank Henkel auf 20 bis 30 Stück. Wobei natürlich nicht jede Baumart für jeden Standort geeignet ist. Was am Ende stehen bleibt und weiterwächst, entscheidet sowieso die Natur. Egal für welche Startvariante man sich entscheidet.
Ich glaube nicht, dass alle Baumarten in den nächsten 20-30 Jahren solche Schwierigkeiten bekommen, dass man auf sie nicht mehr setzen könnte.
Das können wir als positiven Ausblick werten auf unseren Wald, wie auch immer er dann aussehen mag im Jahre 2100. Also im Thüringer Wald, im Schiefergebirge, im Hainich oder im Bereich des Südharzes. Aktuell sieht es wassertechnisch ganz gut aus, sagt Frank Henkel, der Regen der vergangenen Wochen hat die Reservoire aufgefüllt, in einem Meter Tiefe liegen wir sogar bei 100 Prozent, aber es muss auch so weitergehen in den nächsten Wochen - nur Sonne satt ist für unseren Wald eben nicht eitel Sonnenschein.
MDR (dvs)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 02. Mai 2023 | 16:40 Uhr
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