Wirtschaft Vacom, Sungeel & Co: Verhindert zu viel Mitsprache der Bürger Investitionen in Thüringen?

03. Januar 2025, 21:32 Uhr

Bürgerbeteiligung - darauf sind viele Menschen in Deutschland stolz. Sie bringen sich ein, wenn vor Ort gebaut oder umgebaut wird und weisen auf Probleme mit Umweltschutz oder Lärm hin. Manchmal verhindern sie damit auch Investitionen. Sichtbar und laut passiert das zum Beispiel in Thüringen bei Windkraft-Anlagen. Doch auch Industrie-Projekte stoßen auf Widerstand.

"Mega-Projekt geplatzt" - bei dieser Schlagzeile der "Thüringischen Landeszeitung" (TLZ) vom Dezember ging es nicht um die wacklige Intel-Ansiedlung bei Magdeburg. Es ging um die Pläne des Vakuumtechnik-Herstellers Vacom in Großlöbichau bei Jena.

Von rund 500 auf bis zu 2.000 Mitarbeiter wollte das Unternehmen sich dort mit einer Investition von 250 Millionen Euro vergrößern. Drei neue Fertigungshallen, jede einzelne größer als die heute vorhandenen Gebäude des Unternehmens. Zudem ein Hochhaus, das durchaus 60 Meter hoch sein könnte. Für all das hätte der Gemeinderat den Bebauungsplan ändern müssen - lehnte das aber ab. Die Firma strich das Unterfangen schließlich zusammen, investiert dafür groß im US-Bundesstaat Montana.

Vacom ist mit seinen Problemen nicht allein. Ob Kiesabbau, ein neuer Kali-Schacht, Windräder, Solaranlagen, Stromleitungen, Batterie-Recycling oder Klärschlamm-Verbrennung - vieles stößt auf Widerstand. Aus Vereinen, Bürgerinitiativen, Ortsteil- oder Gemeinderäten.

Ein Modell des Firmengeländes der Firma VACOM im Saale-Holzland-Kreis.
Ein Modell des geplanten Firmengeländes der Firma Vacom. Beim Modell bleibt es, das Bauvorhaben ist gescheitert. Bildrechte: MDR/Karsten Heuke

Im vorliegenden Fall hatte Bürgermeisterin Anja Isserstedt-Theilig der TLZ gesagt: "Zur Wahrheit gehört, dass die Bürger kein Hochhaus wollen." Darauf habe der Gemeinderat Rücksicht genommen. Aber die bisherige 13-Meter-Grenze "reicht nicht mal für die Produktionsgebäude", so Vacom-Geschäftsführer Jens Bergner. Also beschränkt er sich auf ein neues Parkhaus und ein vierstöckiges Bürogebäude.

Höhne: Bürgerbeteiligung einschränken

Peter Höhne, Hauptgeschäftsführer der IHK Ostthüringen zu Gera, sagt, neben ohnehin bürokratischen Genehmigungsverfahren, vergleichsweise hohen Steuern und Energiepreisen werde die ausführliche Bürgerbeteiligung zum Problem für den Standort. "Die Unternehmer, die investieren wollen, haben damit sehr viel Aufwand." Auch für die Behörden sei es sehr aufwändig. "Es ist dann ein Problem, wenn es Unternehmen dauerhaft vergrault und die sich überlegen, einen anderen Standort zu wählen."

Es ist dann ein Problem, wenn es Unternehmen dauerhaft vergrault und die sich überlegen, einen anderen Standort zu wählen.

Peter Höhne, Hauptgeschäftsführer der IHK Ostthüringen

Höhne meint, es sei höchst fraglich, ob Deutschland sich das weiterhin leisten könne. "Ich glaube, wir können das nicht. Politik muss sich auf die Fahnen schreiben, die Beteiligung so weit einzuschränken, dass daraus nicht generelle Verhinderungen vor Investitionen werden hier am Standort." Solche Probleme würden sich rumsprechen unter Unternehmern.

Das sieht auch Professor Andreas Freytag so, an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Wirtschaftspolitik. "Das Signal ist fatal. Ein deutscher Unternehmer investiert nicht an seinem Stammsitz, weil die Gemeinde das nicht möchte. Geht in die USA. Warum sollte in amerikanischer Unternehmer dann umgekehrt hier investieren, wenn der sowas liest?"

Wirtschaftswissenschaftler Andreas Freytag
Wirtschaftswissenschaftler Andreas Freytag sieht die Investition von Vacom ins Ausland als fatales Zeichen. Bildrechte: Freytag/FSUJena

Freytag sieht das Problem bei den sogenannten NIMBYs. Das Akronym steht für "not in my backyard", was sinngemäß bedeutet: "Nicht in meiner Nachbarschaft." Das zeige sich etwa im Bereich der Energiewende. Die bekomme grundsätzlich in Deutschland immer wieder Mehrheiten im Umfragen. "Aber wenn es um ein Windrad oder eine Leitung geht, die dafür gebaut werden sollen, sind die Menschen vor Ort mit Mehrheit dagegen.

Wirtschaftsforscher Freytag: Abgeblasene Investitionen schaden im Strukturwandel besonders

Die Politik müsse sich Gedanken machen, wie sie Einspruchsrechte der Bürger wahren kann, gleichzeitig aber wichtige Investitionen trotzdem stattfinden. "Die Menschen machen sich nicht klar, dass das im Moment alles problemlos scheint", so Freytag. Aktuell seien solche abgeblasenen Projekte nicht auf dem Arbeitsmarkt zu spüren. "Aber wenn die wirtschaftliche Lage sich weiter verschlechtert, sind solche Entscheidungen fatal. Weil dann die wirklich nötigen Investitionen unterbleiben, um den Strukturwandel zu bewältigen."

Gerade Hochtechnologieunternehmen wie die Vacom-Gruppe müssten hier gute Bedingungen vorfinden. "Um bei uns Arbeitsplätze zu schaffen. Damit könnten sie auch die Menschen absorbieren, die woanders ihren Arbeitsplatz verlieren. Vor diesem Hintergrund ist das dramatisch."

Manchmal wird Widerstand aber auch befeuert, weil die investitionswilligen Unternehmen aus Sicht mancher Beteiligter nicht offen genug kommunizieren.

Die südkoreanische Firma, die in Gera ein Batterie-Recycling aufbauen möchte und damit schon in Rudolstadt gescheitert war, habe diese Pläne der Öffentlichkeit vor Ort zu plötzlich und unvorbereitet angekündigt, war damals hinter vorgehaltener Hand aus dem Thüringer Wirtschaftsministerium zu hören.

Blick in eine Batterie-Recycling-Anlage des Unternehmens Sungeel
Einr Recycling-Anlage für Lithium-Ionen-Batterien des Unternehmens Sungeel in Südkorea. Eine vergleichbare Produktion soll in Gera entstehen. Bildrechte: SungEel HiTech

Bis heute hält der Widerstand hier an - aus Sicht der Bürgerinitiative Gera-Cretzschwitz sind wichtige Fragen zum Umweltschutz bis heute auch im Rahmen öffentlicher Anhörungen nicht ausreichend beantwortet. Derzeit prüft das Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz das Vorhaben.

E-Auto an Ladesäule. Davor grafische Darstellung von Protestirenden mit Schildern 37 min
Bildrechte: imago images/Shotshop und BI Gera-Cretzschwitz

LEG: Arbeitsplätze sind vor Ort kein Argument mehr

Die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG) kennt das Problem mit dem Widerstand. Sie vermarktet unter anderem landeseigene oder kommunale Flächen an mögliche Investoren. Herbert Stütz ist Abteilungsleiter unter anderem für Investitionsförderung und weiß, dass zwar noch immer viele Investitionen ohne große Probleme stattfinden.

Aber aus seiner Sicht sind die Unternehmen stärker gefragt, müssten offen und vorausschauend kommunizieren - denn viele Menschen seien misstrauisch, hätten oft wenig Vertrauen in gesetzlich festgelegte Abläufe etwa im Rahmen eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens oder in staatliche Akteure.

Es bringt nichts, wenn ein Unternehmen die Medien zu meiden versucht.

Herbert Stütz, Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG)

Unternehmen dürften heute nicht mehr verschwiegen sein mit ihren genauen Vorhaben. "Es bringt nichts, wenn ein Unternehmen die Medien zu meiden versucht. Denn die Bürgerinitiativen suchen Medien und Öffentlichkeit ebenfalls gezielt." Gute Kommunikation könne einen Unterschied machen. "Aber Arbeitsplätze sind vor Ort oft kein Argument mehr."

Jens Bergner muss sich mit Umweltproblemen in Deutschland erstmal nicht weiter beschäftigen - sie waren in seinem Fall auch nicht das Problem. Der Chef der Vacom-Gruppe mit aktuell 60 Millionen Euro Umsatz und mehr als 500 Mitarbeitern widmet seine Aufmerksamkeit gerade stärker der US-amerikanischen Provinz. Montana hat minimal mehr Fläche als Deutschland, allerdings nur etwas mehr als 1,1 Millionen Einwohner.

Mann
Jens Bergner, Chef der Vacom-Gruppe, hätte gerne in Thüringen investiert. Nun fließt das Geld nach Montana (USA). Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"An der Hochschule dort werden genau die Fachkräfte ausgebildet, die wir brauchen. Bisher sind die in der Regel in andere Regionen abgewandert." Zunächst investiert das Unternehmen mehr als 10 Millionen Euro. "In eine Reinigungs- und Montagefabrik, die im März in Produktion geht."

Umgebaut wird dafür eine bestehende Halle einer früheren Werkstatt. Danach kommt eine weitere Produktion dazu, für drei bis vier Millionen Dollar. Das Unternehmen profitiert vom langfristigen Boom der Chip-Industrie, beliefert unter anderem Zeiss. Das große Interesse an den Produkten und Diensten des Unternehmens würde die Großinvestition in Deutschland ermöglichen, so Bergner.

Bei Vacom misst sich Deutschland künftig mit Montana

Stattdessen arbeite man nun an einer weiteren Investition über 50 Millionen Dollar in Montana. "Eigentlich wollten wir die komplette Mechanik-Produktion in Zukunft hier aus Großlöbichau machen. Das können wir aber hier nicht mehr realisieren." Künftig gelte: Großlöbichau muss sich mit Montana messen. "Wo finden wir Platz? Wo finden wir Arbeitskräfte? Wie ist das Arbeitsrecht in Amerika und Deutschland?"

Mann am Laptop
Vacom-Chef Bergner mit einem digitalen Entwurf der Projekte in Montana. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bergner sagt, die USA seien sicher kein Billiglohnland - aber etwa die Zahl der Urlaubstage liege deutlich unter dem deutschen Niveau. Und auch der Wille, lieber länger zu arbeiten als kürzer, sei stark ausgeprägt. Die Steuerlast zudem deutlich geringer. Ein anderer Standort in Deutschland sei für ihn nicht sinnvoll. "Sinnvoll wäre gewesen, alles an einem Ort zu haben."

Auch ohne die Schwierigkeiten vor Ort sei es in Deutschland inzwischen zu kompliziert, groß zu investieren. Bis zu drei Dutzend Genehmigungen und Stellungnahmen müsse man einholen. Das dauere - in vielen Fälle mehrere Jahre, bis überhaupt gebaut werden könne. Doch Firmen, die an Innovationen arbeiten, könnten nicht immer so lange warten.

IHK-Chef Höhne sieht es so: "Nach so langer Zeit ist der Marktvorsprung weg." Genehmigungen müssten in kürzerer Zeit bearbeitet werden, die Prozesse müssten endlich komplett digital ablaufen. "Und wir müssen uns fragen, ob statt drei Dutzend nicht vielleicht auch zehn oder zwölf reichen."

In Montana habe man Vacom den roten Teppich ausgerollt, so Bergner. "Auch da braucht man Genehmigungen, die nicht ohne sind. Aber man bekommt auf allen Ebenen Unterstützung."

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MDR (nir)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 03. Januar 2025 | 19:00 Uhr

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