Erkältungssaison RS-Virus und Grippe-Welle bei Kindern: Lage in Thüringen angespannt, aber nicht kritisch
Hauptinhalt
08. Dezember 2022, 12:21 Uhr
In Thüringen sind 42 Betten in Kinder-Intensivstationen belegt, 19 sind noch frei. Das Land spricht von einer angespannten, aber nicht kritischen Lage bei Grippe und RS-Virus. Ärzte in Praxen und Kliniken berichten von der aktuellen Situation.
- Ministerin Werner: Situation angespannt, aber nicht kritisch
- RS-Viren können vor allem für Säuglinge gefährlich werden
- Nachholeffekt nach zwei Pandemie-Jahren möglich
- Appell: Notdienste nur in dringenden Notfällen nutzen
Immer mehr Kinder müssen derzeit wegen Atemwegserkrankungen zum Arzt oder ins Krankenhaus, auch in Thüringen. Das Bedrohliche daran: Besonders das RS-Virus, das Respiratorische Synzytial-Virus-Infektionen (RSV) hervorruft, kann für kleinere Kinder, insbesondere Säuglinge, gefährlich werden.
Manche von ihnen müssen intensivmedizinisch behandelt werden. Doch auch andere Erreger von Virusinfektionen sind derzeit verstärkt in Umlauf. Die Kinderabteilungen vieler Krankenhäuser im Bundesgebiet sind an der Belastungsgrenze, einige Kliniken können keine kleinen Patienten mehr aufnehmen.
Was ist das RS-Virus und für wen ist es gefährlich?
Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) ist ein eigentlich harmloses Atemwegsvirus, an dem aber vor allem Säuglinge und Kleinkinder besonders schwer erkranken können. An RSV kann man in jedem Alter erkranken. Es wird durch Tröpfchen beim Niesen oder Husten übertragen und befällt die Atemwege. Vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern ist der Erreger bedeutsam.
Die Symptome können denen einer einfachen Atemwegsinfektion gleichen, also Schnupfen, Husten, Niesen, Fieber, aber auch schwere Verläufe bis hin zum Tod sind möglich. Zu Risikopatienten zählt das Robert Koch-Institut (RKI) zum Beispiel Frühgeborene und Kinder mit Lungen-Vorerkrankungen, aber auch generell Menschen mit Immunschwäche.
Gerade in den Wintermonaten bis in den April hinein breitet sich die Krankheit wellenförmig aus und lässt die Fallzahlen in die Höhe schießen. Nach Angaben von Experten ist RSV vor allem für Frühgeborene ein Risiko, da ihre Atemwege noch sehr eng seien und die Kinder zudem noch keine Immunität gegen das Virus aufgebaut hätten.
Ministerin Werner: Lage ist beherrschbar
Dabei ist die Lage in Thüringen laut Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) zwar angespannt, aber beherrschbar.
Die Situation in den Kinderkliniken ist angespannt, aber wir haben keine kritische Situation.
"Die Situation in den Kinderkliniken ist angespannt, aber wir haben keine kritische Situation", sagte Werner am Dienstag in Erfurt. Bisher hätten alle Kinder aufgenommen werden können, kein Kind sei abgewiesen worden. Die Versorgung der Kinder und Jugendlichen sei "gesichert" - vor allem auch in den Intensivstationen der Kliniken. Werner zufolge sind thüringenweit 42 Betten in Kinder-Intensivstationen belegt, 19 freie Betten gebe es noch.
Wir behandeln in unseren Kliniken gegenwärtig auffällig viele Kinder mit schweren Infekten der oberen Luftwege.
Diese Einschätzung bestätigen die Thüringer Krankenhäuser. Eine Sprecherin der Helios-Kliniken Erfurt und Gotha sagte MDR THÜRINGEN: "Wir behandeln in unseren Kliniken gegenwärtig auffällig viele Kinder mit schweren Infekten der oberen Luftwege." Doch "die Versorgung der kleinsten Patientinnen und Patienten" sei aktuell gewährleistet, auch wenn die Klinikmitarbeiter "an der Kapazitätsgrenze" arbeiteten.
Auch im Zentralklinikum Suhl steigen seit etwa vier Wochen die Zahlen stationär behandlungsbedürftiger Patienten, wie der Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Dr. Sebastian Horn, MDR THÜRINGEN mitteilte. "Zudem behandeln wir während der Notdienstzeiten viele Kinder ambulant in unserer Notaufnahme", fügte er hinzu. Gefühlt seien das ein Drittel mehr Patienten in den vergangenen vier Wochen gewesen.
RS-Virus: Atemwege bei Säuglingen schwellen an
Sebastian Horn: "Besonders betroffen sind Säuglinge und Kleinkinder mit noch kleinen Atemwegen." Denn bei ihnen führe das RS-Virus zu einer Entzündung der Atemwege. "Diese schwellen an, was zu einem deutlichen Anstieg des Luftwiderstandes in den Atemwegen führt. Eine Halbierung des Atemwegsquerschnitts führt zu einer Versechzehnfachung des Luftwiderstandes." Besonders kleine Patienten hätten dann nicht mehr ausreichend Kraft, um selbstständig atmen zu können.
Das RS-Virus kann heftige Symptome auslösen, vor allem bei Säuglingen unter sechs Monaten. Für die Großen ist RS kein Drama. Wir Kinderärzte sind da sehr gelassen.
Das bestätigt auch der Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Thüringen, Dr. Dirk Rühling. Er ist Kinderarzt in Weimar und sagt: "Das RS-Virus kann heftige Symptome auslösen, vor allem bei Säuglingen unter sechs Monaten." Auch für Risikopatienten wie herzkranke und frühgeborene Kinder sei das Virus gefährlich. Doch: "Für die Großen ist RS kein Drama. Wir Kinderärzte sind da sehr gelassen."
Dass gegenwärtig viele Kinder krank sind, berichtet auch er. "In Weimar ist es die letzten zwei Wochen sehr krass." Dabei sehe er in seiner Praxis vor allem Influenza-A-Fälle. "In Weimar ist das RS-Virus nicht so im Vordergrund. Das ist regional sehr unterschiedlich", sagt der Kinderarzt. Dass es so viele Kinder erwischt hat, habe mit dem Nachholeffekt der vergangenen zwei Jahre zu tun. "Eine Grippewelle gab es die letzten beiden Jahre nicht, dadurch ist das Level insgesamt jetzt sehr hoch." Und er ergänzt: "Dass die Kinder schlimmer erkranken als normalerweise, kann ich nicht sagen. Es sind halt sehr viele."
Nachholeffekt nach zwei Pandemie-Jahren
Der von Rühling angesprochene Nachholeffekt sorge möglicherweise auch für die vermehrten Fallzahlen bei RSV, so die Sprecherin der Helios-Kliniken: "Möglicher Grund sind die beiden vergangenen kontaktarmen Pandemie-Jahre, in denen das Immunsystem von Säuglingen und Kleinkindern beziehungsweise Geschwisterkindern wenig trainiert wurde."
Das ordnet der Leiter der Uni-Kinderklinik in Leipzig, Prof. Wieland Kieß, so ein: Kinder hätten in der Corona-Zeit insgesamt weniger Umgang miteinander gehabt und hätten sich dadurch weniger etwa mit dem RS-Virus angesteckt. Daher habe es bei den Kindern, die nicht erkrankt waren, weniger Immunität gegeben. "Das heißt: Die waren jetzt, wenn eine neue Welle kommt, weniger geschützt", erklärt Kieß. Man könne aber nicht sagen, dass die Hygieneregeln Schuld an der RSV-Welle seien. "Aber es kann beigetragen haben, dass mehr Kinder betroffen sind."
Verschiedene Viren im Umlauf
Neben vermehrter Grippe- und RSV-Fälle beobachtet Sebastian Horn vom Zentralklinikum Suhl eine Zunahme auch bei Entero-, Parainfluenza- und Metapneumoviren. Nur Sars-Cov-2 spiele zusammen mit den saisonalen Coronaviren eine nachrangige Rolle. Der Chefarzt der Kinderabteilung in Suhl sagt aber auch: "Nichtsdestotrotz kennen wir solche Infektionswellen aus den vergangenen Jahren, auch vor der Covid-19-Pandemie."
Dennoch: Die Situation auf den Kinderstationen der Kliniken ist herausfordernd. Falls sie sich noch verschärfen sollte, können sich die Krankenhäuser laut Gesundheitsministerin Werner bei der Aufnahme neuer Patienten untereinander abstimmen. Notfalls könne auch das sogenannte Kleeblattprinzip angewandt werden. Dieses Konzept sieht vor, dass Patienten auch in benachbarte Bundesländer verlegt werden können.
Die Praxen sind voll. Wir bitten dringend um Ihr Verständnis und Ihre Unterstützung für die aktuell kritische Lage im Gesundheitswesen.
Thüringer Ärzte: Notdienste nur in dringenden Notfällen nutzen
Um die Belastung des Gesundheitswesens einzudämmen, appelliert die Thüringer Landesärztekammer an die Menschen, Not- und Bereitschaftsdienste nur in dringenden Notfällen zu nutzen. "Die Praxen sind voll. Wir bitten dringend um Ihr Verständnis und Ihre Unterstützung für die aktuell kritische Lage im Gesundheitswesen", heißt es in dem Appell.
Das System selbst ist leider chronisch krank.
Doch warum stoßen die Kinderabteilungen der Kliniken so schnell an ihre Belastungsgrenze, obwohl, wie auch der Kinderarzt Dirk Rühling sagt, diese Häufung von Krankheitsfällen nicht ungewöhnlich ist? Dafür ist, da sind sich alle befragten Ärzte einig, zuallererst die Personalsituation verantwortlich. Dirk Rühling: "Ich sehe vor allen Dingen, dass Personal eingespart wurde." Chefarzt Sebastian Horn aus Suhl pointiert: "Das System selbst ist leider chronisch krank."
Wenn uns die optimale Versorgung der Kleinsten ein Anliegen ist, müssen wir die Kosten tragen.
"Die Pädiatrie ist aufgrund des Krankenhausfinanzierungssystems chronisch überlastet. In der jetzigen Situation wird dieser Umstand einmal mehr und zwar sehr drastisch spürbar", sagt er. "Wir sehen, wie wichtig gut aufgestellte Kinderkliniken und Kinderintensivstationen sind, um solchen Erkrankungswellen gewappnet zu sein."
Zudem zeige sich einmal mehr, wie groß der Stellenwert der Kinderkrankenpflege im Speziellen und per se eine ausreichende Zahl an Pflegekräften für solche Spezialbereiche sei. "Kinderheilkunde ist zu einem großen Teil Akutmedizin, auf welche wir optimal vorbereitet sein sollten." Das bedeute Kosten. "Wenn uns die optimale Versorgung der Kleinsten ein Anliegen ist, müssen wir diese Kosten tragen."
Bundesgesundheitsminister Lauterbach verspricht Unterstützung
Das Problem hat offensichtlich auch der Bundesgesundheitsminister erkannt. Angesichts der Lage versprach Karl Lauterbach (SPD) Unterstützung für die überlasteten Kinderkliniken: "Kinderkliniken und Geburtshilfestationen werden zuerst entlastet."
Dafür hatte der Bundestag am Freitag ein Gesetzespaket zu Krankenhäusern beschlossen, das mehr Geld für Kinderkliniken und Entlastungen bei dringend benötigten Pflegekräften bringen soll. Unter anderem soll es für Kinderkrankenhäuser 2023 und 2024 jeweils 270 Millionen Euro zusätzlich geben. Auch soll die Kindermedizin nach den Plänen des Gesundheitsministeriums zum großen Teil aus dem Fallpauschalensystem herausgenommen werden.
Das ist eine Welle und das Gute an einer Welle ist: Sie geht wieder vorbei.
In der aktuellen Situation werden diese Neuerungen wohl nicht mehr helfen. Die Belastung der Praxismitarbeiter sei heftig, sagt der Sprecher der Thüringer Kinder- und Jugendärzte, Dirk Rühling. Doch: "Das ist eine Welle und das Gute an einer Welle ist: Sie geht wieder vorbei." Wie lange sie noch dauert, ist Spekulation. Wenn auch verschiedene Zahlen laut dem Thüringer Gesundheitsministerium darauf hindeuten, dass der Höhepunkt der Infektionswelle mit dem RS-Virus womöglich erreicht ist. Rühling sagt dazu: "Bei uns in Weimar scheint die Welle langsam abzuebben. Insgesamt wird sie sich aber sicher noch bis Weihnachten hinziehen."
Händewaschen, Abstand halten, medizinische Maske
Bis dahin bleibt nur, seinen Ratschlag zu beherzigen: "Wer krank ist, muss zu Hause bleiben." Besonders achtsam sollten Babyeltern sein. Dirk Rühling: "Da müssen wir jetzt einfach durch und hoffen, dass Kinder unter sechs Monaten geschützt werden." So sollten beispielsweise Geschwister, die im Kindergarten sind, wenn es geht, zwei Wochen zu Hause betreut werden. Rühling: "Halten Sie das erste halbe Jahr Abstand, achten Sie auf Hygiene." Diese Regel gelte schon immer. "Das ist auch vor Corona so gewesen", sagt der Kinderarzt.
Überhaupt: Die Hygieneregeln aus der Corona-Zeit schützen auch vor anderen Viren. Katrin Apitius, die Sprecherin der Helios-Kliniken, regt an: "Natürlich empfehlen wir weiterhin das Beachten der Hygienemaßnahmen wie häufiges Händewaschen, Abstand halten und das Tragen einer medizinischen Maske."
MDR (caf)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 08. Dezember 2022 | 18:15 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/4276eb63-0cbb-4adc-b10f-9353b684d776 was not found on this server.