Der Redakteur | 07.03.2023 Warum kann die Polizei Enkeltrick-Betrüger so schwer fassen?
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17. Februar 2023, 16:41 Uhr
Der Enkeltrick hat Konjunktur. Auch wenn die Warnungen schon nerven, offensichtlich sind immer noch nicht alle gewarnt. Das zeigen zwei aktuelle Fälle in Nordhausen. Für die Ermittler ist es schwer die Täter zu erwischen - in einem hat es dank einer aufmerksamen Apothekerin doch geklappt.
Die Situation gibt es täglich, auch in Thüringen. Es gibt einen Erstkontakt der Täter zu möglichen Opfern, plötzlich hat man deren Telefonnummer, oft sogar eine Kontonummer, auf die die Opfer überweisen sollen oder es gibt eine Übergabestelle für Wertgegenstände oder Bargeld.
Polizei informieren und mitspielen
Aber wer wird dann dort angetroffen? Wem gehören Handynummer oder Konto? Täter, die so dämlich sind, das alles mit ihrer echten Identität zu organisieren, sind definitiv nicht lange am Markt. Fakt ist: Wenn ein angehendes Opfer Lunte riecht und mitspielt und die Polizei darüber informiert, dass eine physische Geldübergabe stattfinden soll, der kann sicher gehen, dass hier alles in Bewegung gesetzt wird.
Mit einer gemeldeten Telefonnummer und den damit verbundenen Ortungsphantasien "Marke Tatort" kommen die Ermittler aber erfahrungsgemäß nicht zum Ziel. Zu vielfältig sind die Möglichkeiten, Standort, Nummer, Identitäten und andere Spuren zu verschleiern. Das ist am Ende der Grund, warum hier der Drang geringer ist, den Fall aufzunehmen. Es ist viel Arbeit, viel Schreibkram und von Anfang an zu nahezu 100% sicher, dass die Ermittlungen in einer Sackgasse enden.
Und wer schon einmal die Polizei zur Aufnahme einer Anzeige zu Besuch hatte, der fühlte sich ins vergangene Jahrhundert rückversetzt. Immerhin haben die Beamten schon Kugelschreiber und Papier. Da wird der Fall akribisch aufgenommen, einschließlich aller Daten, die überhaupt erst die Basis sind, für eine spätere rechtsstaatliche Verurteilung des Täters.
Dazu gehören eben Opfer, Zeitpunkte, Tatabläufe usw. und das alles dauert und muss eben gewöhnlich zweimal erledigt werden. Zum Vergleich: In Amerika "sitzt" auf dem Beifahrersitz eines Polizeiautos ein Computer, mit Bildschirm, Tastatur und Internet. Deutsche Polizisten haben in der Regel noch nicht einmal ein Diensthandy, auch wenn sich das derzeit ändert, auch Tablets werden Stück für Stück eingeführt.
Die Polizei ist bundesweit noch in der analogen Welt unterwegs. Der Kollege nimmt die Anzeige mit Zettel und Stift auf und gibt es in der Dienstelle in unterschiedliche Anwendungen ein.
Kleine Fische fangen
Dass das wertvolle Zeit kostet, das ist klar, außerdem ist es ineffektiv, was könnte man in dieser Zeit nicht alles Sinnvolles tun! Streife fahren, Zusammenhänge ermitteln oder vielleicht einen Enkeltrick-Betrüger festnehmen, der zum Übergabetreffpunkt gekommen ist.
Doch in den allermeisten Fällen liegt hier leider oft auch nur jemand in Handschellen am Boden, der so nett war, einen Botendienst zu übernehmen. Das bedeutet: Er wurde vielleicht angesprochen und - wie die Opfer auch - mit einer überzeugenden Geschichte zu der kleinen Gefälligkeit überredet. Der Kontaktmann bleibt anonym, an der Stelle würde also die Spur in der Regel enden. Die nächsthöhere Hierarchieebene beobachtet vielleicht das Treiben aus sicherer Entfernung und ist verschwunden, wenn bei der Übergabe des Geldes etwas schief läuft oder gar die Polizei auftaucht.
Wir haben es mit organisierter Kriminalität zu tun, Bandenstrukturen, professionell aufgebaut, mit Strohmännern und Hierarchien. Das Ziel der Polizei ist es, die Strukturen zu zerschlagen.
Ist es nur die fehlende Digitalisierung?
Wie auch in der Wirtschaft ist der Fachkräftemangel ein großes Problem der Polizei. Es fehlen schlicht Leute, um zum Beispiel überall Abteilungen aufzubauen, die sich ausschließlich mit genau solchen Fällen beschäftigen. Auch ist nicht jeder Polizeibeamte im perfekten Alter, um sich in neue IT-Technik einzuarbeiten. Im Gegenteil: Das Durchschnittsalter ist auch hier recht hoch, das bedeutet: Es gibt zwar ein hohes Erfahrungswissen, das aber in Kürze auch noch verloren geht, wenn die Kollegen demnächst in Pension gehen, so Alexander Poitz. Damit sind wir auch bei der Frage, wie viel Zeit und Aufwand sind sinnvoll eingesetzt z.B. für Schulungen und das Einarbeitungen in völlig neue Arbeitsweisen. Denn die - diese Erfahrung hat jeder schon gemacht - brauchen schlicht eine Weile, bis sie so gut von der Hand gehen, dass sich wirklich ein Mehrwert in der täglichen Arbeit ergibt.
Wie international sind die Täter?
Wir machen es uns zu einfach, wenn wir sagen, dass die Täter sowieso "im Ausland" sitzen. Sie arbeiten schlicht international. Das heißt zum Beispiel: Die Server stehen vielleicht irgendwo in Übersee und wurden von Leuten angemietet, die schon dort schwer greifbar sind. Damit geht die Verfolgung der IP-Adresse schon mal ins Leere. Die nächste Hierarchie-Ebene ist vielleicht eine Art Callcenter am anderen Ende der Welt und trotzdem kann der Kopf und Organisator und wirkliche Profiteur der Truppe in Deutschland sitzen. Das macht deutlich: Die deutsche Polizei alleine wird solche Strukturen nicht zerschlagen können. Deshalb wird auch international ermittelt und das durchaus auch erfolgreich, auch wenn die Netzwerke sehr komplex aufgebaut sind.
In den Fällen, die ich betreut habe, ist es häufig so, dass man Beweise für ein Netzwerk gefunden hat, die nicht in Deutschland waren und die durch internationale Ermittlungen aufgeflogen sind.
Das solche internationalen Ermittlungen Zeit brauchen, das ist logisch. Trotzdem gibt es bei den spezialisierten Staatsanwaltschaften und Landeskriminalämtern durchaus Cyberermittler, die sehr schnell reagieren können, bevor eben digitale Spuren verwischt werden. Diese digitalen Spuren länger zu erhalten, das ist der Wunsch der Polizei und da sind wir beim Thema Vorratsdatenspeicherung, das immer noch diskutiert wird.
Quick Freeze - der Datenkühlschrank
Wieviel Datenschutz ist ausreichend, wo wird die Grenze zum Überwachungsstaat überschritten? Die Verbindungsdaten eines friedlichen Bürgers sind eben nun einmal von denen eines Enkeltrick-Betrügers nicht zu unterscheiden. Die Telekom zum Beispiel löscht Standortdaten nach sieben Tagen, die Daten von Anrufen, Gesprächsdauer, kontaktierte Nummer und Funkzelle bis zu 80 Tage, wenn sie für eine Abrechnung erforderlich sind. Bei einer Flatrate werden die Daten auch schon nach sieben Tagen gelöscht. IP-Adressen ebenso.
Andere Anbieter löschen schon nach drei Tagen oder speichern gar nicht. Seit dem Stopp der Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht im März 2010 gibt weder eine Mindestspeicherpflicht noch eine einheitliche Löschpraxis. Die Begründung des Gerichts damals:
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die gesetzliche Ausgestaltung einer solchen Datenspeicherung dem besonderen Gewicht des mit der Speicherung verbundenen Grundrechtseingriffs angemessen Rechnung trägt.
Das bedeutet: Aktuell dürften viele Wünsche der Polizei in Richtung der Anbieter schlicht ins Leere laufen. Und hier kommt das Gesetz über das schnelle Einfrieren "Quick Freeze" ins Spiel, das derzeit durch die zuständigen Ministerien einschließlich Kanzleramt kursiert. Inhalt des Konflikts: Welcher Zeitraum ist angemessen um einerseits die Interessen der Ermittler zu berücksichtigen, andererseits aber auch die Daten der Bürger zu davor zu schützen, ständig Gefahr zu laufen, Teil von irgendwelchen Ermittlungen zu werden.
Angedacht ist, dass zum Beispiel die Staatsanwaltschaft den Telekommunikationsanbieter auffordert, bestimmte Daten nicht zu löschen, also einzufrieren. Im Gespräch sind ein bis zwei Wochen. Das heißt: So lange müssten die Daten bei den Anbietern erstmal grundsätzlich da sein, um den Ermittlern überhaupt die Chance zu geben, das Löschen zu stoppen. Nur ist dieser Zeitraum aus Sicht der Polizeigewerkschaft viel zu kurz. Die Gründe haben wir erörtert. Aufwändige und rechtssichere Ermittlungen, wenig Personal, schlechte Ausstattung.
Das Ende vom Lied ist, ich mache den Kühlschrank auf und er ist leer.
Nun muss man dazu sagen, dass der Datenzugriff auch künftig nicht auf Zuruf ermöglichst werden soll, das will auch die Polizeigewerkschaft nicht, sondern nur in Absprache mit der Staatsanwaltschaft und mit einem richterlichen Beschluss. Doch der Richter will mindestens stichhaltige Indizien und die zu ermitteln, kostet Zeit, mehr als ein bis zwei Wochen, sagt die Polizeigewerkschaft.
Wenn Sie mit der Polizeigewerkschaft sprechen, die werden immer mehr fordern. Das liegt auch in der Natur von Ermittlern, die wollen aufklären. Aber aus Gründen der Bürgerechte und Freiheiten muss man eine vernünftige Balance finden.
Ob das am Ende entscheidend ist für die Ermittlung von Enkeltrick-Betrügern, das ist eine ganz andere Frage. Und vielleicht ist der Ruf nach Polizei und Staat auch der falsche Ansatz, zumal wir ihm ja auch misstrauen und aus Gründen des Schutzes unserer Freiheit und unserer Daten möglichst wenig Befugnisse zugestehen. Vielleicht sollte sich besser jeder einmal Gedanken machen, welchen Beitrag er geleistet hat, gefährdete Menschen aufzuklären.
Also: Die alte Dame nebenan, den noch alleinlebenden Onkel, den ehemaligen Kollegen. Wenn am Ende alle aufgeklärt genug sind, um nicht empfänglich zu sein für irgendwelche Horrormärchen, wird auch der Sumpf der Enkeltrick-Betrüger austrocknen. Nur ist zu befürchten, dass dann die nächste Lawine auf uns zu rollt. Nicht, dass wir uns noch die "guten" alten Taschendiebe zurückwünschen.
MDR (ifl)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 07. März 2023 | 16:40 Uhr
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