Nach Fall der Mauer Warum Bürgerrechtler vor 35 Jahren die Stasi-Zentrale in Erfurt besetzt haben
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04. Dezember 2024, 07:20 Uhr
Vor genau 35 Jahren besetzten mutige Menschen in Erfurt die Bezirksverwaltung der Staatssicherheit. Es war die erste Stasizentrale in der gesamten DDR, die von Bürgerrechtler gestürmt wurde. Sie wollten erreichen, dass die dort gesammelten Unterlagen nicht vernichtet werden. Die Angst vor einer Eskalation war damals ständiger Begleiter. Ein Rückblick.
- Einer der Bürgerrechtler, die vor 35 Jahren die Stasi-Zentrale in Erfurt besetzten, berichten von Angst vor Gewalt.
- Die Staatssicherheit entschied sich gegen eine gewaltvolle Konfrontation.
- Die geretteten Akten werden einem Mitarbeiter des Stasi-Archivs zufolge immer noch zu tausenden eingesehen.
Ganz besonders heute denkt Tely Büchner an das Jahr 1989 zurück: Heute vor 35 Jahren besetzte sie als eine der ersten die Stasizentrale in Erfurt. An dem Tag habe es überhaupt keine Zeit für Überlegungen gegeben, sagt sie. Früh um sieben habe es an der Tür geklingelt "und da hieß es, wir besetzen heute die Staatssicherheit, bist du dabei?"
Bürgerrechtler befürchteten Eskalation
Bildmaterial vom Tag der Besetzung gibt es nicht. Aber wenige Tage später hat der schwedische Filmemacher Reiner Hartleb mit vielen Beteiligten gesprochen. Bürgerrechtler Klaus-Alfred Vockeroth war damals auch bei der Besetzung dabei. In dem Film spricht er auch über Angst. Anfangs seien sie nur zu zehnt im Gebäude gewesen. Da sei ihnen die Situation nicht ganz geheuer gewesen. "Ich musste da auch mal alleine über einen Gang gehen und überall standen mit sehr aggressiven Gesichtern die Staatssicherheitsleute. Da hatte ich echt Angst und dachte mir, wenn dich jetzt einer greift und in so 'ne Stube zieht, da biste weg."
Der ersten Besetzung einer Stasizentrale in der DDR folgten weitere. Die Bürgerrechtler seien untereinander in Kontakt gewesen, sagt Thilo Günther. Er arbeitet im Bundesarchiv für die Stasiunterlagen in der Außenstelle Erfurt. "Vor allem wichtig war zu wissen, dass das Ganze tatsächlich ohne Gewalt stattfindet. Dass also von Seiten der Stasi auch keine Gewalt, Schusswaffengewalt vor allem gegenüber den Demonstranten und den Bürgerrechtlern stattfindet."
Das sagt in den Aufnahmen des schwedischen Filmmachers auch Jürgen Wagner. Der war bis zum Ende der DDR Stasi-Oberst in Erfurt. Man habe die Bürger nach oben gebeten, mit ihnen gesprochen und gehört, was sie wollten. "In der Zwischenzeit waren aber so viele versammelt, die hier rein wollten ins Haus, da war also zu entscheiden, was machen wir", erinnert sich Wagner. "Das ist ein hochsensibler Bereich, so ein Geheimdiensthauptquartier. Wir haben uns also entschieden, keine Konfrontation zuzulassen und haben als erste Dienststelle in der DDR den Bürgern Einlass gewährt."
Laut Archivar Thilo Günther gab es sogar Anweisungen dazu an die Stasi-Mitarbeiter. Es seien teilweise die absurdesten Kleinigkeiten notiert worden. Ein konkretes Beispiel sei, wie mit den Demonstranten und Bürgerrechtlern gesprochen werden sollte, die vor den Stasidienststellen DDR-weit demonstrierten. "Also da gab es regelrechte Texte, die aus der Zentrale, aus dem Ministerium vorgegeben worden sind und auch wer das vorzutragen hatte und zwar, dass man sagt, wir müssen im Territorialdialekt mit den Menschen reden", sagt Günther.
Menschen wollen immer noch Akten einsehen
Günther setzt weiter auf Aufklärung – vor allem der jüngeren Generation. Und: "Wir sind mit unserer Arbeit noch nicht fertig!" Es gebe jedes Jahr immer noch mehrere tausende Anfragen von Bürgern. Vielen gehe es um die persönliche Akteneinsicht oder die Klärung des Schicksals von verstorbenen nahen Angehörigen. Anderen gehe es um Wiedergutmachung oder Forschung.
All das wäre wahrscheinlich nicht möglich, hätten nicht Bürgerrechtler und Demonstranten die Stasiverwaltungen besetzt und damit das Vernichten von Akten verhindert.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 04. Dezember 2024 | 06:51 Uhr
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