Hass, Bedrohungen und Angriffe Wie Thüringen Politikerinnen und Politiker besser gegen Gewalt schützen will
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17. April 2024, 05:00 Uhr
Politikerinnen und Politiker sind immer häufiger Anfeindungen und Gewalttaten ausgesetzt, besonders in der Lokalpolitik. Der Freistaat Thüringen will mehr dagegen tun und hat deswegen einen Sicherheitsgipfel ausgerichtet. Unter anderem soll eine Stelle geschaffen werden, die Informationen sammelt und die Gefahrenlage einschätzt. Eine Thüringer Landtagsabgeordnete bezweifelt, dass diese Maßnahme tatsächlich etwas bringen wird.
- 2023 hat die Polizei in Thüringen fast doppelt so viele Angriffe auf Wahlkreisbüros registriert als im Vorjahr.
- Viele Gewalttaten richten sich vor allem gegen Lokalpolitikerinnen und -politiker.
- Wie Politikerinnen und Politiker in Thüringen besser geschützt werden können, war Thema eines Sicherheitsgipfels im März.
Eine unschöne Überraschung erlebten in diesem Jahr Astrid Rothe-Beinlich und Madeleine Henfling. Beide sind Grüne-Landtagsabgeordneten mit Wahlkreisbüro. Astrid Rothe-Beinlich unter anderem in Gera, Madeleine Henfling in Ilmenau. Beide fanden dort eines Morgens Misthaufen vor der Tür, die Bauern dort abgekippt hatten. Beide riefen die Polizei: "Der Misthaufen vor meinem Büro wurde eher lächelnd zur Kenntnis genommen", erzählt Henfling.
Angriffe auf Wahlkreisbüros nehmen deutlich zu
Lächeln – das fällt Poltikerinnen und Politikern in Thüringen zunehmend schwerer. Das Klima ist rau geworden im Freistaat, der Ton aggressiver.
Anfeindungen, Beschimpfungen und Drohungen sind an der Tagesordnung. Oder auch mutwillige Zerstörungen. In Suhl sind die Scheiben der Wahlkreisbüros von SPD und Grünen eingeworfen worden. Im Eichsfeld ist das Büro von Landtagspräsidentin Birgit Pommer von den Linken beschmiert worden. Ebenso die Fensterscheiben des Büros von AfD-Fraktionschef Björn Höcke in Heiligenstadt.
Insgesamt 82 Attacken auf Wahlkreisbüros hat die Polizei im vergangenen Jahr registriert. In dem davor waren es 42.
Lokalpolitiker sind besonders betroffen
Noch härter trifft es Lokalpolitiker. Davon kann Thomas Schulz erzählen, er ist Bürgermeister von Oberhof: "Es kam schon mal vor, dass jemand, von dem man weiß, dass er im Besitz von Schusswaffen ist, gesagt hat: 'Wenn ich dich mal treffe, dann vielleicht zwischen die Augen.'" Da ringt der Mann, der seit 18 Jahren im Amt ist und viel erlebt hat, um Fassung. Bei SPD-Lokalpolitiker Michael Müller in Waltershausen blieb es nicht bei einer Drohung. Bei ihm brannte ein Auto und der Eingangsbereich seines Hauses. Die Polizei fand bei den Untersuchungen Brandbeschleuniger. Was ist los in diesem Land?
"Ich denke, die Menschen sind einfach zutiefst unzufrieden und viele wissen nicht, wo sie oder wie sie in eine Gesellschaft, in eine innere Zufriedenheit zurückkommen können und sie glauben, dass es ihnen dadurch besser gehen wird. Aber es geht ihnen dadurch ja nicht besser", versucht sich Simone Post in einer Erklärung. Sie ist Linken-Politikerin und kandidiert bei den Kommunalwahlen für das Bürgermeisteramt in Rudolstadt.
Auch sie hat verbale Attacken längst erlebt. Mehr noch: "Es gab Eierwürfe, es gab Aufkleber-Aktionen und ich wurde auch schon persönlich an Infoständen angegangen. Von Ausspucken vor einem bis zu Sprüchen wie: 'Euch müsste man alle aufhängen.'" Simone Post will sich von all dem nicht beirren lassen. Ihre Kandidatur hat sie nicht in Frage gestellt. Michael Müller aus Waltershausen überlegt derweil, ob er sich für den Stadtrat wieder aufstellen lässt.
Freistaat will weiteren Sicherheitsgipfel veranstalten
Er ist nicht der Einzige. "Die Listen für den Gemeinderat oder den Kreistag zu füllen, war durchaus herausfordernd und schwierig dieses Jahr", erzählt Thomas Gottweiss. Er Landtagsabgeordneter und Fraktionschef der CDU im Kreistag Weimarer Land. Er könne das natürlich verstehen, aber: "Man muss dagegenhalten. Man muss die Mitte einfach zusammenhalten, sie mobilisieren. Das, was uns eigentlich unsere Eltern beigebracht haben: Anstand, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit im Umgang miteinander. Dass man einfach so einen Grundkonsens hat und da zusammenhält, das muss die Reaktion sein. Also ich glaube, der Rückzug wäre schlecht."
Wie Politiker in Thüringen besser geschützt werden können, war Thema eines Sicherheitsgipfels, veranstaltet vom Innenministerium mit dem Gemeinde- und Städtebund. Konkret beschlossen wurde: Im Ministerium soll eine Stelle geschaffen werden, die Informationen sammelt und die Gefahrenlage einschätzt. Ein zweiter Gipfel soll folgen.
Madeleine Henfling von den Grünen zweifelt an der Wirksamkeit dieser Veranstaltungen: "So richtig ernstnehmen kann ich die noch nicht, weil ich nicht sehe, was die eigentlich bringen sollen." Einschüchtern lassen will sich die Landtagsabgeordnete nicht – nicht von Beschimpfungen oder Beleidigungen oder einem Misthaufen vor ihrem Wahlkreisbüro. Den hat sie übrigens abgetragen und unter Gärtnerinnen in Ilmenau verteilt. Die hätten sich gefreut.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 17. April 2024 | 06:08 Uhr