Ein Traktor fährt über ein großes Feld.
Hat Thüringen ein Gesetz verbummelt, mit dem der Verkauf von Ackerland an Investoren verhindert werden soll? Bildrechte: Colourbox.de

Landwirtschaft Landgrabbing in Thüringen: Geplantes Agrarstrukturgesetz steht auf der Kippe

29. Oktober 2023, 06:00 Uhr

Eigentlich soll es den Verteilungskampf in der Landwirtschaft beenden: Mit dem Agrarstrukturgesetz will Thüringen den Verkauf von Äckern an außerlandwirtschaftliche Investoren verhindern. Doch für das geplante und umstrittene Vorhaben sieht es nicht gut aus: Knapp ein Jahr vor der Wahl könnte die Landesregierung das Gesetz verbummelt haben.

David Straub schaut in die Kamera.
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Seit Jahren tobt gerade in Ostdeutschland der Verteilungskampf um landwirtschaftlich genutzten Boden: Lebensmittelriesen oder Wohnungsbaukonzerne nutzen Agrarbetriebe samt deren Flächen als sichere Geldanlage und zahlen den Genossenschaftschefs dafür Millionensummen. Auf der anderen Seite stehen viele, vor allem kleine und junge Betriebe, die nicht wissen, wie sie noch Flächen finden können, um genug für das eigene Überleben erwirtschaften zu können. Das alles ist bekannt.

Seit Jahren wird deshalb in Thüringen um ein Agrarstrukturgesetz gerungen. Der Name dieses Vorhabens klingt zunächst trocken. Doch die Idee dahinter ist gerade für die Kleinbauern mit wenig eigener Fläche mit Hoffnung verbunden: Der Boden- und Grundstücksverkehr soll stärker reguliert und transparenter werden, sodass vor allem Landwirte einfacher an Agrarflächen kommen. Auch mit dem Ziel, dass dadurch die Kauf- und Pachtpreise nicht mehr so stark steigen.

Wie will das Gesetz das schaffen?

Noch im Frühjahr hatte Landwirtschaftsministerin Susanna Karawanskij (Linke) einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgestellt. Er sah unter anderem eine Preismissbrauchskontrolle vor - oder auch Bußgelder, falls Verkäufe nicht bekannt gegeben werden. Außerdem soll das Land ein Vorkaufsrecht haben, um landwirtschaftliche Flächen zu erwerben und sie direkt oder später an einen Bauern weitergeben zu können - eben bevor sie ein außerlandwirtschaftlicher Investor bekommen kann.

Vor allem aber soll das Agrar- und Forstflächenstrukturgesetz (AFSG), wie es in Gänze heißt, die sogenannten Share Deals kontrollieren und gegebenenfalls verhindern. Sprich: Wenn Konzerne wie Aldi oder die Quarterback-Immobilien GmbH Betriebe anteilig kaufen wollen, müsste das ab einem Kauf von 50 Prozent der Anteile angezeigt, und ab einem Kauf von 90 Prozent auch von einer Landesbehörde genehmigt werden. So hätte das Land Thüringen in der Theorie ein Mitspracherecht und könnte Anteilskäufe von außerlandwirtschaftlichen Investoren unterbinden.

Susanna Karawanskij am Rednerpult, davor ein Kameramann.
Landwirtschaftsministerin Susanna Karawanskij (Linke) will das Agrarstrukturgesetz noch vor September 2024 verabschiedet sehen. Bildrechte: IMAGO / Jacob Schröter

Doch die Chancen stehen schlecht

Dass es aber wirklich so kommt, scheint dabei immer unrealistischer. Das zeigen Recherchen des MDR: Ursprünglich wollte Landwirtschaftsministerin Karawanskij den Gesetzentwurf bereits im Sommer in den Landtag einbringen, damit er dort diskutiert, bearbeitet und rechtzeitig vor der heißen Phase des Wahlkampfes beschlossen hätte werden können. Viel "hätte" und aus Juli wurde Herbst - aus Herbst wird nun voraussichtlich Dezember.

Mittlerweile hat das Thüringer Justizministerium den Gesetzentwurf auf juristischer Ebene auf Herz und Nieren überprüft und dem Landwirtschaftsministerium mitgeteilt, wo es noch nachbessern muss. Im November soll sich dann tatsächlich das Thüringer Kabinett mit allen Ministerinnen und Ministern damit befassen. Dass das Justizministerium dabei so lange mit der Prüfung beschäftigt war, liegt eigenen Angaben zufolge an der "umfangreichen und komplexen Materie". Zudem lägen "Ende des Jahres immer viele Gesetzentwürfe gleichzeitig" zur Prüfung vor, weshalb es eben länger gedauert habe.

Bauernverband drohte zu klagen

Nicht entgangen dürfte allen Beteiligten aber auch die Drohung des Thüringer Bauernverbandes (TBV) sein, gegen das Gesetz klagen zu wollen: Im September hatte der TBV mit zwei weiteren Verbänden ein rechtliches Gutachten präsentiert, laut dem das Gesetz unzulässig in den freien Markt eingreifen würde. Der TBV, der in Thüringen unter anderem viele große Landwirtschaftsbetriebe vertritt, sieht die Bauern in ihrem Recht beschnitten, Ackerland und Betrieb gegebenenfalls an einen landwirtschaftsfremden Investor zu verkaufen.

Das Gutachten hatte auch einen der Kritikpunkte gestärkt, der seit längerem die Debatte prägt: TBV und Co. argumentieren demnach, dass das Land Thüringen gar nicht die Kompetenz habe, derartig in die Agrarstruktur einzugreifen. Wenn wäre das die Aufgabe des Bundes.

Professorin hält dagegen

Bestritten wird das wiederum von der Berliner Rechtswissenschaftlerin Antje Tölle. Sie forscht selbst seit Jahren zum landwirtschaftlichen Bodenmarkt und hat auch die Entstehung des Thüringer Agrarstrukturgesetz begleitet. Tölle spricht den Bundesländern durchaus die Regelungskompetenz zu, vor allem auch bei den Share Deals - den Anteilskäufen.

Mit Blick auf die Klage-Drohung des Thüringer Bauernverbandes gibt sich die Thüringer Landesregierung nach außen betont gelassen: Aus dem Haus von Landwirtschaftsministerin Karawanskij heißt es: "Das sehen wir entspannt. Laut Grundgesetz steht der Rechtsweg jedem offen." Und das Justizministerium schreibt auf Anfrage: "Es steht im fachlichen Ermessen [des Landwirtschaftsministeriums], die gegebenen Hinweise, auch zum Umgang mit der Einschätzung des Bauernverbandes umzusetzen."

Aller guten Dinge sind drei

Ob dem Entwurf dann Ende November wirklich alle im Kabinett zustimmen, bleibt abzuwarten. Und hängt auch noch von einem dritten Akteur ab: dem Wirtschaftsministerium. Das will nämlich verhindern, dass der Verkauf von Ackerflächen in kommunalem Besitz noch einmal von einer Behörde kontrolliert wird.

Mit einem Kompromissvorschlag hatte das Haus von Minister Wolfgang Tiefensee (SPD) nach eigenen Angaben darum gebeten, von einer solchen Kontrolle abzusehen - vor allem, wenn eine Gemeinde eh schon beschlossen habe, die Fläche für die Umnutzung, also die Bebauung freizugeben. Das Ziel: Es den Kommunen letztlich leichter zu machen, Agrarflächen in Bauflächen zu verwandeln.

Laut Informationen des Wirtschaftsministeriums findet sich dieses Anliegen aber nicht mehr im aktuellen Gesetzesentwurf. Das Landwirtschaftsministerium wollte sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht dazu äußern. Der Punkt dürfte damit spätestens im Kabinett zur Frage führen, ob auch das Wirtschaftsministerium dem AFSG zustimmen wird.

AbL übt deutliche Kritik

Ein Anruf bei Reiko Wöllert von der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL). Er ist selbst Bauer, kämpft seit Jahren für das Agrarstrukturgesetz und macht dabei Druck auf Politikerinnen und Politiker. "Ich bin relativ pessimistisch, dass das noch was wird", sagt Wöllert, gerade mit Blick auf die Landtagswahl. "Der Entwurf taugt nichts. Wenn das erst im Dezember in Landtag kommt, dann kann da niemand mehr etwas Ordentliches daraus machen." Ihm zufolge hätte der Entwurf schon längst in den Landtag eingebracht werden müssen, um noch vor der Wahl am 1. September 2024 durchzukommen.

Wöllerts Kritik bezieht sich dabei auch auf die Share Deals: Die Regierung müsse in ihrem Entwurf konkreter sagen, nach welchen Kriterien genau Anteilskäufe versagt werden. Beispielsweise indem eine Grenze formuliert würde, nach der ein Investor durch seinen Anteilskauf eine maximale Fläche Acker erwerben kann. So mache es auch Sachsen vor. Mit dem jetzigen Entwurf würde in Thüringen kein einziger Investor daran gehindert werden, einen Betrieb zu übernehmen, kritisiert Reiko Wöllert.

Seine ganze Antwort können Sie auch hier anhören:

Sachsen zieht an Thüringen vorbei

In Sachsen hat bereits ein entsprechender Gesetzentwurf das Kabinett zweimal durchlaufen und wurde an den Landtag weitergeleitet, wie das sächsische Landwirtschaftsministerium dem MDR bestätigte. Reiko Wöllert lobt: "Der sächsische Entwurf ist richtig gut. Wir wären in Thüringen damit also nicht alleine." Neben Sachsen ist zudem auch in Brandenburg ein Agrarstrukturgesetz in Arbeit, das in der Herangehensweise dem in Sachsen ähnelt.

Nach 2024 dürfte es nicht einfacher werden

Sollte das Agrarstrukturgesetz in der auslaufenden und von viel politischem Streit geprägten Legislaturperiode nicht in Thüringen beschlossen werden, ist völlig offen wie es unter einer nächsten Regierung weitergeht.

Sollte die CDU in die Regierungsverantwortung kommen, ist durchaus möglich, dass der künftige Chef des Landwirtschaftsministeriums der jetzige Bauernverbandspräsident und AFSG-Gegner Klaus Wagner wird. Wagner will nach MDR-Informationen nämlich für die CDU 2024 in den Landtag einziehen. Mit einem Minister Wagner sieht die AbL die Chancen, dann einen neuen Anlauf für ein Agrarstrukturgesetz zu starten, eigenen Angaben zufolge zumindest bei null.

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 26. Oktober 2023 | 19:00 Uhr

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