Zwei Menschen sitzen am Schreibtisch und schauen in die Kamera
Der bürokratische Druck auf Thüringer Landwirte ist hoch. Bildrechte: MDR/David Straub

Bauern Albtraum Schreibtisch: Das sind die größten Bürokratie-Monster für Thüringer Landwirte

17. Januar 2025, 17:45 Uhr

Wütend demonstrierten vor einem Jahr Landwirte in ganz Deutschland. Eine der Haupt-Forderungen: Bürokratie abbauen. Was steckt konkret dahinter, wenn Bauern über Bürokratie-Monster schimpfen?

David Straub schaut in die Kamera.
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Draußen ist es kalt und dunkel geworden - so richtig Lust hat er nicht mehr auf dieses Zimmer. Auf die ehemalige "gute Stube" seiner Urgroßmutter. Johannes Köhler betritt den Raum, Aktenordner stehen über der Holzvertäfelung in Regalen. Aktenordner stehen auf den Tischen. Aktenordner liegen auf dem Boden.

"Es bleibt eigentlich immer irgendwas liegen", seufzt Köhler. Den ganzen Tag hat er malocht, jetzt kommt er von der Rinderweide und muss eigentlich noch an den Schreibtisch. Köhler ist die One-Man-Show. Ein Bauer - ein Betrieb, in Kleinromstedt im Weimarer Land.

Köhler produziert nach Bioland-Kriterien Getreide, wie Mais für den Babynahrungsmittelhersteller Hipp, und Fleisch von ein paar Dutzend Rindern und Schafen. Freie Tage gibt es in seinem Leben nicht.

Man muss sich manchmal so richtig zerreißen.

Johannes Köhler

"Ich habe die Stunden, die ich im Büro verbringe, noch nicht aufgeschrieben, aber von einem durchschnittlichen Arbeitstag, der zwölf Stunden hat, sind das ungefähr zwei bis drei Stunden. Also etwa ein Fünftel."

Auch wenn er dann oft müde und unkonzentriert ist, würde er die Büroarbeit am liebsten immer abends machen, sagt Köhler. "Aber da kommt man halt so schlecht an die Behörden ran. Man muss sich manchmal so richtig zerreißen und man weiß nicht, wo man zuerst anfangen soll."

Ein Mann sitzt am Schreibtisch 1 min
Bildrechte: MDR/David Straub
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Wütend demonstrierten vor einem Jahr Landwirte in ganz Deutschland. Eine der Haupt-Forderungen: Bürokratie abbauen. Was steckt konkret dahinter, wenn Bauern über Bürokratie-Monster schimpfen?

MDR THÜRINGEN - Das Radio Do 16.01.2025 10:03Uhr 01:29 min

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Jedes Jahr schüttet die EU etwa 6,3 Milliarden Euro an die deutsche Landwirtschaft aus. Das Fördersystem ist komplex. Es gibt eine Prämie pro Fläche, aber auch an Umweltschutzleistungen oder landschaftspflegende Leistungen gekoppelte Fördermittel.

Zum Aufklappen: Das komplexe EU-Fördersystem

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU ist kompliziert ausgestaltet und wegen ihres Volumens immer wieder heftig umstritten: Jährlich zahlt die EU deutschen Landwirtinnen und Bauern 6,3 Milliarden Euro. Sie will damit einerseits Betriebe wettbewerbsfähig halten und bezahlbare Lebensmittel sichern - gleichzeitig aber auch den Umweltschutz fördern. Über die sogenannte erste Säule - den Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) - fließen vorwiegend die Direktzahlungen, die erst einmal das wirtschaftliche Überleben sichern sollen.

Neu ist mit der Förderperiode ab diesem Januar, dass fast ein Viertel der Mittel aus dieser Säule für sogenannte Öko-Regelungen reserviert werden. Betriebe können mit verschiedenen freiwilligen Maßnahmen also nachhaltiger werden, indem sie zum Beispiel Agroforstsysteme pflanzen und dafür Geld bekommen.

In der zweiten Säule - dem Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) - stecken Fördergelder für den Umwelt- und Klimaschutz, aber auch für den Hochwasserschutz, den beispielsweise Landesministerien abrufen können.

Problem 1: Der Agrarantrag - never ending story

Das Problem beim Agrarantrag, so Köhler: Oft gab es in den vergangenen Jahren Änderungen wie eine neue Software, neue Ökoregeln oder zuletzt die Voraussetzung, dass man sich mit seinem Personalausweis im Antragsportal registriert. Was banal klingen mag, kostet Zeit, weil sich der Landwirt einarbeiten muss oder weil es zu Beginn technische Schwierigkeiten mit der notwendigen App gibt.

Wollte ich immer machen, habe ich aber nie geschafft.

Johannes Köhler

Zwar werden für die Antragsstellung Schulungen angeboten: "Wollte ich immer machen, habe ich aber nie geschafft", sagt Landwirt Köhler dazu. "Und am Ende sitze ich ein paar Tage vor der Frist da und mache Nachtschichten, um den Antrag irgendwie fristgemäß einzureichen."

Dass Bürokratie in der Landwirtschaft ein Problem ist - darauf können sich alle einigen, egal ob man mit großen, konventionellen oder kleinen Bio-Betrieben spricht. Für Johannes Köhler ist eine der größten Herausforderungen die Antragstellung für die EU-Gelder.

Ein Mann schaut in die Kamera
Bauer Köhler vermarktet auch selbst - hier steht er im Hofladen, hinter sich Würste vom Rind. Bildrechte: MDR/David Straub

Großbetrieb mit ähnlichen Problemen

Ortswechsel, vom Weimarer Land nach Südthüringen: Astrid Hatzel wirkt auf den ersten Blick nicht so, wie man sich eine Landwirtin vielleicht vorstellt, in Stallkluft oder Gummistiefeln. Hatzel strahlt die Chefin aus, sie empfängt im Büro ihrer Agrargenossenschaft in Schmalkalden. Mit Stallarbeit kommt sie nur noch selten in Kontakt.

Von ihrem Büro aus führt sie seit über 35 Jahren ein großes Unternehmen: die Genossenschaft bewirtschaftet 2.800 Hektar Fläche, ein Großteil davon Grünland, auf dem etwa 900 Mutterkühe weiden. Hinzu kommen etwa 600 Schafe, verschiedene Getreide im Ackerbau und eine Biogasanlage. Im vergangenen Jahr bezog ihr Unternehmen samt beider Tochterfirmen rund 1,6 Millionen öffentlicher Fördergelder - die komplette Bürokratie dafür läuft letztlich über Hatzels Tisch.

Ein Frau sitzt am Schreibtisch
Von ihrem Schreibtisch aus leitet Astrid Hatzel die Agrargenossenschaft Schmalkalden-Schwallungen EG. Bildrechte: MDR/David Straub

Problem 2: Chaos an rechtlichen Grundlagen

Hatzel engagiert sich neben dem Vollzeitjob auch noch als Funktionärin beim Thüringer Bauernverband. Zum Interview hat sich die Vorsitzende der Agrargenossenschaft vorbereitet und wartet mit einer Liste von Problemen auf.

Hatzel nennt ein Durcheinander von rechtlichen Grundlagen, die Landwirte beispielsweise bei der Acker-Bewirtschaftung in Gewässernähe beachten müssen: zwölf unterschiedliche Auflagen-Werke gibt es beispielsweise - von der generellen Düngeverordnung bis zum Thüringer Wassergesetz. "Das muss einfach verschlankt werden", kritisiert Hatzel, "das ist einfach zu viel. Wir haben einen Wust an Aufgaben zu erledigen."

Problem 3: Parallelstrukturen bei der Nachweispflicht

Eigentlich freut sich Astrid Hatzel, dass es mittlerweile eine Förderung für Mutterschafe und -Ziegen gibt. Die EU bezuschusst damit die schonende und nachhaltige Beweidung durch die Tiere. Für den Pauschalbetrag von 35 Euro pro Tier und Jahr müssen die Betriebe Nachweise erbringen. Doch hier sieht sie ein Problem:

Wie hoch ist die Gefahr, dass ich da einen Zahlendreher drin habe?

Astrid Hatzel

Für jedes Tier gibt es mehrere Kennungen - alle müssen manuell und aktuell in einer Excel-Tabelle gepflegt werden. Das macht bei ihrer Herde 14.000 Nummern. "Wie hoch ist die Gefahr, dass ich da einen Zahlendreher drin habe?" Einfacher wäre, so fordert es Hatzel, wenn es lediglich eine Kennzahl pro Tier gäbe.

Mehrere Zahlenreihen
Ein Ausschnitt aus der Tabelle: Eine Zeile steht für ein Tier. Bildrechte: MDR/David Straub

Hinzu kommt, dass es für die Schafe zum Beispiel vier Datenbanken gibt, also zum Beispiel von der Agrarförderung, der Tierseuchenkasse oder der Antibiotika-Datenbank. Alle existieren parallel. "Unserer Meinung nach müsste aber alles harmonisiert werden, und man müsste mit einer Eingabe mehrere Ausgaben erreichen. Damit alle Datenbanken auf eine Eingabe zugreifen und sie verwenden können", fordert Astrid Hatzel.

Problem 4: Flächen-Nachweis per App "grottenschlecht"

Über einen Punkt zerraufen sich sowohl Astrid Hatzel als auch Bauer Johannes Köhler aus Kleinromstedt die Haare: Die EU fördert, wenn Landwirte auf ihrem Acker bestimmte Kräuter und andere ökologisch wertvolle Pflanzen anbauen. So weit, so gut.

Per Satellit sollen die Flächen eigentlich erkannt und automatisch geprüft werden. Doch oftmals sind die Satellitenfotos einfach zu schlecht und ungenau. Den Landwirten wird deshalb empfohlen, so erklärt es Astrid Hatzel, den Bewuchs selbst noch zu fotografieren an Ort und Stelle.

Um zu beweisen, wie die Fläche tatsächlich bewirtschaftet wird. "Wir haben dafür fünf Tablets angeschafft, mit denen meine Mitarbeiter über das Feld laufen und Fotos schießen." Wenn das Internet beim Hochladen der Fotos vor Ort nicht mitmacht, wird das schwierig.

Ich habe es einfach nicht geschafft

Johannes Köhler

"Und dann erkennt aber die App manchmal diese Kräuter nicht", schüttelt Johannes Köhler den Kopf. Er hat seine Felder zuletzt zwar gemäß den Förderrichtlinien bewirtschaftet, "aber ich habe es einfach nicht geschafft, auf die Flächen zu fahren. Dieses gewisse Extra an Geld hätte ich also gern mitgenommen, aber ich habe es einfach nicht geschafft." Köhler ließ den Fördertopf ungenutzt.

Ein Mann im Stall vor einem Schwein.
Vor zwei Jahren hatte der MDR Johannes Köhler bereits besucht. Hier ist er mit Schwein Rosi zu sehen, das mitlerweile geschlachtet wurde. Bildrechte: MDR/David Straub

Ist die Kontrolle nicht fair?

In der Diskussion um die landwirtschaftliche Entbürokratisierung schwingt oft die Frage mit: Ist es nicht gerechtfertigt, dass die Bauern umfangreiche Nachweise erbringen? Schließlich erhalten sie sehr viele öffentliche Gelder - immerhin ein Drittel des gesamten EU-Budgets ist für Landwirtschaft verplant.

Martin Hirschmann ist Geschäftsführer des Bauernverbandes in Mittelthüringen. Der Jurist kennt diese Frage nur zu gut und sagt: "Weil das immer so klingt, als wollten die Landwirte jetzt einfach wieder allen möglichen Mist machen können - das ist nicht das Ziel. Es geht darum, die Sachen zu vereinfachen und auf das zu reduzieren, was wirklich notwendig und sinnvoll ist. Wir brauchen einfache Systeme, mit denen alle arbeiten können."

Ein Mann schaut in die Kamera
Martin Hirschmann, Geschäftsführer des Bauernverbandes in Mittelthüringen Bildrechte: MDR/David Straub

Problem 5: Die Dünge-Kontrolle

Hirschmann kann in seinem Büro in Erfurt auch noch einen Aspekt erklären, der unter Landwirten und Politikern in den vergangenen Monaten heftig diskutiert wurde. Es geht ums Düngen - genauer um die Frage, wie Bauern nachweisen, dass sie nicht zu viel Stickstoff in die Böden abgeführt haben.

Es geht darum, die Sachen zu vereinfachen und auf das zu reduzieren, was wirklich notwendig und sinnvoll ist.

Martin Hirschmann TBV

Das Reizwort heißt Stoffstrombilanz. Stark vereinfacht bedeutet sie, dass der Stickstoff-Umsatz durchgerechnet wird - und zwar für den gesamten Betrieb. Es wird also geschaut, wie viel Stickstoff der Bauer in Form von Düngemitteln einkauft und wie er den Stickstoff einsetzt.

"Es ist eine Art Kreislauferfassung", so Hirschmann, die "global" den gesamten Betrieb betrachtet. Das Gegenmodell zu diesem Modell ist die Nährstoffbilanz: Sie gibt differenziert nur darüber Auskunft, wie viel Stickstoff - also Dünger - auf der jeweiligen Fläche ausgebracht wird.

"Das Ziel an sich ist gut", sagt Hirschmann. Doch er, der Bauernverband und viele Landwirte kritisieren die Stoffstrombilanz, weil sie komplett neuartig berechnet wird. Sie kritisieren also die Methode an sich, mit ihren "neuen Aufzeichnungspflichten und einem neuen System, das wieder ganz andere Berechnungen erfordert". Der Streitpunkt ist noch nicht vom Tisch: Im vergangenen Sommer hatte Noch-Bundesagrarminister Cem Özdemir von den Grünen angeboten, die Stoffstrombilanz zum nächstmöglichen Zeitpunkt auszusetzen.

Keine Einigung über die Regel vor der Bundestagswahl

Bislang ist das aber nicht passiert. Wie eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums dem MDR mitteilte, wird vor der Bundestagswahl bei dem Thema nichts mehr passieren. Ein Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat scheiterte demnach jüngst am Widerstand CDU-geführter Länder. Erst eine neue Regierung könnte Klarheit schaffen, wie es bei den Düngeregeln weiter geht. Und das, obwohl das Thema im Frühjahr für die Bauern wieder relevant wird.

Eine junge Frau hält ein Mobiltelefon in die Kamera. 29 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Große Erwartung an neue Brombeer-Regierung

Auf Thüringen blickt Martin Hirschmann vom Bauernverband optimistisch. Die neue Brombeer-Regierung aus CDU, BSW und SPD unter Führung von Mario Voigt hat in ihrem Koalitionsvertrag immerhin versprochen, sich "für eine spürbare Entbürokratisierung und Vereinfachung der Verfahren einzusetzen, um den Arbeitsalltag der Landwirtinnen und Landwirte zu erleichtern". Konkreter wird der Plan nicht.

Bauernverbandschef Klaus Wagner, selbst CDU-Mitglied, hat für seine Partei das Kapitel Landwirtschaft allerdings mit ausgearbeitet. Sein Verband hat also beste Bedingungen, um die Thüringer Politik zu prägen. Gelegenheiten bei der Vereinfachung von Nachweisverfahren oder parallelen Rechtsgrundlagen gäbe es für die neue Landwirtschaftsministerin Colette Boos-John genug.

Kleinbauer haben weiter viel Arbeit vor sich

Johannes Köhler aus dem Weimarer Land rechnet nicht mit einer spürbaren Entlastung in den kommenden Jahren. Die Bürokratie wird ihn weiter auf Trab halten. Momentan überlegt er, die Schafe wieder abzuschaffen, "weil sie wirtschaftlich gesehen nicht viel Sinn ergeben".

Das Problem an der ganzen Sache ist, dass man als Kleinbetrieb annähernd die gleiche Bürokratie machen muss wie ein Großbetrieb.

Johannes Köhler

Doch die EU-Leistung, die er für die Tiere bekommt, ist auf fünf Jahre angelegt. Sollte Köhler im kommenden Jahr aussteigen, "weil ich es einfach körperlich nicht mehr schaffe, dann müsste ich die Förderung, die ich erhalten habe, zurückzahlen". Köhler findet das ungerecht.

Trotzdem wird er versuchen, hinterherzukommen. "Das Problem an der ganzen Sache ist, dass man als Kleinbetrieb annähernd die gleiche Bürokratie machen muss wie ein Großbetrieb." Falls es eine Förderung gäbe, mit der er einen Angestellten für den ganzen Papierkram suchen könnte - er würde es machen. Aber dafür fehlt ihm die Zeit.

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 18. Januar 2025 | 18:00 Uhr

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