Geheime Berichte der Stasi Was die DDR-Presse 1981 verschwieg
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24. Juni 2020, 08:35 Uhr
Tödliche Messerstiche durch einen Ausländer in Jena, Meuterei in einer Erfurter Kaserne und tödliche Schüsse auf einen sowjetischen Soldaten in Nordthüringen - brisante Ereignisse im Jahr 1981, die die DDR-Presse verschwieg.
Schlechte Nachrichten und selbstkritische Diskussionen, so waren die SED-Funktionäre überzeugt, nützen niemanden - nur dem Klassenfeind. Deshalb wurden viele Themen in der DDR tabuisiert. "Politische Kriminalität" gab es deshalb quasi nicht. Nichts sollte an die Öffentlichkeit dringen, was ein schlechtes Licht auf den Staat und seine führende Partei werfen könnte, kritische Diskussionen galt es abzuwürgen. Kein Wunder, dass es dann erst recht Gerüchte und Spekulationen gab. Intern fertigte die Staatssicherheit allerdings ausführliche Informationen an - und schickte sie an die DDR-Führung. Jetzt wurden die einst geheimen Berichte als Buch veröffentlicht: "Die DDR im Blick der Stasi. Die geheimen Berichte an die SED-Führung". Der Band für das Jahr 1981 ist bei Vandenhoeck und Ruprecht erschienen.
Tödlicher Gewaltausbruch
Die einst geheimen Berichte machen deutlich: Bereits Anfang der 1980er-Jahre gab es in der DDR gewaltsame Auseinandersetzungen mit Ausländern, zum Beispiel mit Mongolen. In der DDR lebten etwas mehr als 600 mongolische Vertragsarbeiter, viele im damaligen Bezirk Gera. Seit Dezember 1980 registrierte die Staatssicherheit "eine Zunahme von Vorkommnissen". Allerdings seien "noch keine umfassenden Angaben zu den Ursachen und Motiven" möglich. Das Problem wurde nicht öffentlich diskutiert.
Am 5. März 1981 eskalierte nach einem Disco-Abend im Kulturhaus Jena-Neulobeda der Konflikt. 20 Mongolen, die im Kahlaer Porzellanwerk beschäftigt waren, gingen mit Messern und abgebrochenen Flaschen auf einheimische Jugendliche los. Vier Jugendliche wurden dabei verletzt - einer tödlich. Er hatte Messerstiche im Rücken. Die Staatssicherheit hat dazu festgehalten: Der Zwischenfall rief "unter der DDR-Bevölkerung der Umgebung viele, z.T. sehr negative Diskussionen bzw. Gerüchte hervor". Da die Presse über die Probleme mit den Gastarbeitern nicht berichtete, blieb es bei Gerüchten.
Tödliche Fahnenflucht
Auch über Fahnenfluchten wurde nicht berichtet, vor allem wenn es sich um einen Sowjet-Soldaten handelte. "Geht nicht raus!", sprich: Veröffentlichung verboten, steht deshalb über einem internen Stasi-Bericht. Am Nachmittag des 5. Mai 1981 war es am Ortsrand von Effelder im Eichsfeld zu einer Schießerei gekommen. Ein aus Mühlhausen flüchtiger Sowjet-Soldat, bewaffnet mit drei Pistolen, hatte versucht, sich Richtung Westgrenze durchzuschlagen. Er wurde von Volkspolizisten gestellt. Der Untersergeant schoss auf die Polizisten, ohne zu treffen. Die Volkspolizei schoss zurück. Der Sowjet-Soldat wurde "durch einen gezielten Schuss tödlich verletzt".
"Dieses Vorkommnis", so die Staatssicherheit, "wurde durch einzelne Einwohner der Gemeinde Effelder wahrgenommen." Zwei Tage nach dem Zwischenfall stand am Tatort ein aus Haselnussstöcken gefertigtes Kreuz. Ein 22-Jähriger hatte es aufgestellt. Im Stasibericht wird er als "geistesgestörter Einwohner" beschrieben. Der Bürgermeister entfernte das Kreuz sofort. Doch dabei blieb es nicht: „Durch die Verbreitung unterschiedlichster Gerüchte" kamen in den darauffolgenden Tagen 500 katholische Kinder und Jugendliche zum Tatort, beteten und legten Blumen nieder. "Feindlich-negative Aktivitäten und Handlungen", so die Staatssicherheit, "wurden in diesem Zusammenhang nicht festgestellt". Laut MfS distanzierte sich der katholische Pfarrer. Er bezeichnete angeblich seine Gemeinde als "gläubig etwas zu stark engagiert". Nun galt es, die Bevölkerung zu beruhigen. Durch die SED-Bezirks- und Kreisleitung wurden die "Gerüchte und Diskussionen weitestgehend zurückgedrängt". Es gab Versammlungen und Ratssitzungen. Dabei sei von Einwohnern gefragt worden: "Warum wurden wir vom Sachverhalt nicht früher informiert?" Gegen einen Maler aus dem benachbarten Großbartloff leiteten die DDR-Behörden ein Ermittlungsverfahren ein: Er habe das Vorgehen der Volkspolizei öffentlich herabgewürdigt.
Ausschreitungen bei der NVA
Ende Juni 1981 kam es in der Kaserne des Erfurter Artillerieregimentes 4 "zu schweren Ausschreitungen von ca. 50 bis 70 NVA-Angehörigen gegen Offiziere und Wachposten". Der Hintergrund: Am Sonntagnachmittag waren 20 Soldaten durch ein Loch im Zaun vom Kasernengelände verschwunden, um Alkohol zu besorgen. Nach und nach kehrten sie in kleinen Gruppen zurück, die wachhabenden Posten schauten weg.
Als am Abend vier Soldaten zurückkehrten, forderte ein Posten sie zum Stehenbleiben auf, die Soldaten versuchten zu fliehen, der Posten gab einen Warnschuss ab und "feuerte drei kurze Feuerstöße auf die Flüchtenden ab, ohne sie zu treffen". Nach den Schüssen kamen 50 bis 70 Soldaten aus ihren Unterkünften, einige beschimpften den Wachposten. Die Lage eskalierte. Steine und Flaschen flogen. Nur mit vorgehaltener Pistole konnten sich die Wachposten in Sicherheit bringen. Nach 45 Minuten lösten Offiziere die Meuterei auf. Vier Haftbefehle folgten, drei weitere Arreststrafen wurden verhängt. Auch wenn nichts an die Öffentlichkeit drang, intern wurde das Ereignis ausgewertet: "Unmittelbar mit Beginn der Untersuchungen wurde durch die Divisions- und Regimentsleitung sowie durch die Partei- und FDJ-Organisation mit der Auswertung des Vorkommnisses begonnen."
Gescheiterte Republikflucht
Auch andere Ereignisse in Thüringen wurden verschwiegen und lediglich intern ausgewertet - auch wenn westliche Medien darüber berichteten: So zum Beispiel eine versuchte Republikflucht am Grenzübergang Hirschberg in Ostthüringen. In einer Januarnacht hatte ein 26-Jähriger aus Bad Blankenburg versucht, die Grenzübergangsstelle mit einem Sattelschlepper zu durchbrechen. Er scheiterte und wurde festgenommen. Nur sechs Reisende waren zu diesem Zeitpunkt am Grenzübergang. Der Zwischenfall konnte verschwiegen werden.
Prominenter West-Besuch in Rudolstadt
Westliche Medien berichteten auch über eine gemeinsame Reise von Willy Brandt und Francois Mitterrand durch den Süden der DDR. Sogar ARD und ZDF waren dabei. Die DDR-Presse schwieg. Zwar hatte das "Neue Deutschland" im Vorfeld verklausuliert über die bevorstehende Reise berichtet, über das Ereignis berichtete das Parteiblatt jedoch nicht. Trotzdem bekam Honecker von Mielke einen "Information" über die Reise vorgelegt.
Brandt und Mitterrand hatten sich Anfang März am Hermsdorfer Kreuz getroffen. Zuvor hatte der französische Sozialist das ehemalige Kriegsgefangenenlager in Rudolstadt-Schaala besucht, aus dem er vor genau 40 Jahren aus deutscher Gefangenschaft geflohen war. Mitterand spazierte nach dem Lagerbesuch durch die Rudolstädter Innenstadt. "Nach dem Verlassen des Pkw - der Marktplatz war zu diesem Zeitpunkt stark belebt - wurde Mitterrand von einigen Personen begrüßt. Auch beim Verlassen des Hotels begrüßte er einige anwesende Frauen durch Handschlag." Nach einem gemeinsamen Mittagessen mit SED-Funktionären ging es über den Grenzübergang Hirschberg in die Bundesrepublik. So schrieb es die Stasi, die DDR-Presse schrieb gar nichts. Zurück blieben Mutmaßungen, Gerüchte und eine gesteuerte Parteipresse.