BND-Dossier Willi Stoph: kein Fanatiker
Hauptinhalt
18. Dezember 2013, 05:00 Uhr
Der Bundesnachrichtendienst hat 1967 ein Persönlichkeitsprofil über den DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph erstellt. Das Fazit der Analytiker: Er gehört zur Spitzengarnitur und ist verhandlungsfähig.
Über DDR-Ministerpräsident Willi Stoph war im Westen öffentlich nicht viel bekannt. Die Zeitungen rätselten vor dem deutsch-deutschen Gipfeltreffen, wer der Gesprächspartner des Bundeskanzlers eigentlich sei. Selbst westdeutschen DDR-Experten war kaum mehr als Stophs politische Funktionen bekannt. Doch der Bundesnachrichtendienst hatte zumindest einige Informationen und Analysen über den DDR-Politiker zu bieten.
Der BND hatte drei Jahre vor dem Gipfeltreffen ein Dossier über "Die Mitglieder des Politbüros des Zentralkomitees der der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" zusammengestellt. Stophs Profil in der "meldepflichtigen Verschlusssache" umfasst neun Seiten. Neben biographischen Angaben wird Stophs politischer Werdegang ausführlich beschrieben. Der Geheimdienst versuchte sich auch an einer Charakterisierung des SED-Funktionärs: Stophs Umgebung bescheinige ihm "Intelligenz verbunden mit restlosem Arbeitseifer", heißt es in dem Papier. Stoph sei von großer Härte gegen sich selbst. Seine "ruinöse Arbeitsweise" habe ihn Ende der 1950er-Jahre an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Da er sein Magen- und Gallenleiden nie ausgeheilt habe, seien diese inzwischen chronisch.
Tiefe Menschenverachtung?
Zum politischen Charakter notierte der Geheimdienst: Stoph sei kein Fanatiker, sondern vorsichtig und pragmatisch. Er gebe sich als "überzeugter, aber eher leidenschaftsloser Kommunist." In manchen Wesenszügen würde er an Ulbricht erinnern. "Den Wortschatz des kommunistischen Jargons beherrscht Stoph mühelos." Stoph lasse - wie andere Funktionäre auch - im Interesse seiner Position nicht erkennen, "ob er hinter dem Klischee seiner Äußerungen eigene Gedanken oder Vorstellungen verbirgt."
Farblos, kalt und distanziert
Nach den Geheimdiensterkenntnissen hatte Stoph keine engeren Beziehungen zu seinen Mitarbeitern. "Er erscheint vielfach kontaktarm; zuweilen wird ihm auch eine - möglicherweise auf stalinistische Vorstellungen zurückgehende - tiefe Menschenverachtung nachgesagt." Allerdings schränkte der BND sogleich ein, dass dieses Urteil auch "auf einer Missdeutung seiner ausgeprägten Zurückhaltung beruhen" könne. Diese lasse ihn oft farblos erscheinen. Stoph trete ungern in der Öffentlichkeit auf, sei ein schlechter Redner, seine meist abgelesenen Reden seien ermüdend. Im persönlichen Gespräch wirke Stoph kalt und distanziert. "Seine Lebensführung ist sehr einfach und sparsam."
Das Privatleben Stophs biete keine Angriffspunkte, so der BND. Kritik an Stoph sei nie bekanntgeworden. Soweit bekannt, habe Stoph keine Feinde in der SED-Hierarchie.
In der Analyse wird abschießend Stoph ein großes Potential für eine künftige Führungsrolle in der DDR bescheinigt. "In jedem Fall aber besitzt Stoph soviel politisches Geschick, dass ihn auch die Sowjets zur Spitzengarnitur der dünn gesäten jüngeren Führungselite des kommunistischen Systems in der SBZ zählen." Sowjetische Politiker würden im Westen Stoph als verhandlungswürdig empfehlen.